23.11.2024
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Dokument-Nr. 1146

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Beschluss26.09.2005Bundesverfassungsgericht2 BvR 1019/01
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Bundesverfassungsgericht Beschluss26.09.2005

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Dauer von "Organi­sa­ti­o­nshaft"

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat sich erstmals zur Zulässigkeit der sog. Organi­sa­ti­o­nshaft geäußert.

Das Strafgesetzbuch ordnet in § 67 StGB an, dass in den Fällen, in denen die Unterbringung im Maßregelvollzug neben einer Freiheitsstrafe angeordnet wird, grundsätzlich die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird. Organi­sa­ti­o­nshaft liegt vor, wenn ein Verurteilter, für den nicht sofort ein Unter­brin­gungsplatz im Maßregelvollzug zur Verfügung steht, die Zwischenzeit in der "normalen" Strafhaft verbringt.

Der Beschwer­de­führer wurde wegen Betäu­bungs­mit­tel­de­likten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in einer Entzie­hungs­anstalt angeordnet. Da ein Unter­brin­gungsplatz in einer Entzie­hungs­anstalt nicht gleich zur Verfügung stand, verblieb der Beschwer­de­führer nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zunächst in der Justiz­voll­zugs­anstalt. Drei Monate später wurde er schließlich in einer Entzie­hungs­anstalt untergebracht. Rechtsmittel des Beschwer­de­führers gegen die Dauer der "Organi­sa­ti­o­nshaft" blieben vor dem Landgericht und dem Oberlan­des­gericht ohne Erfolg. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt er, die Fortdauer der "Organi­sa­ti­o­nshaft" verletze ihn wegen des Fehlens einer darauf bezogenen gesetzlichen Regelung in seinen Grundrechten: Während des Wartens auf das Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug dürfe er nicht in Haft gehalten werden.

Auf seine Verfas­sungs­be­schwerde hin stellte die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Recht auf Freiheit der Person verletzen. Nach der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ist die "Organi­sa­ti­o­nshaft" zwar nicht grundsätzlich verfas­sungs­widrig. Die Gerichte hätten hier jedoch – in der irrigen Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation der Unterbringung – nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Vollstre­ckungs­behörde unverzüglich die Überstellung des Beschwer­de­führers in den Maßregelvollzug hätte herbeiführen müssen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entzie­hungs­anstalt verfolgen unter­schiedliche Zwecke. Anders als die Freiheitsstrafe ist die Maßregel der Unterbringung auf eine Therapie hin ausgerichtet. Beide Maßnahmen können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden. Das Grundrecht auf Freiheit der Person erfordert es aber, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden.

Nach der gesetzlichen Regelung ist die Maßregel grundsätzlich vor der Strafe zu vollziehen, um die „therapeutisch fruchtbare Zeit“ zu nutzen. Die "Organi­sa­ti­o­nshaft" dient der Vorbereitung der Maßregel. Sie führt aber dann zu einer geset­zes­widrigen und dem zu vollstreckenden Urteil wider­spre­chenden Umkehrung der Vollstre­ckungs­rei­henfolge, wenn die Vollstre­ckungs­behörde nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt. Denn in der Justiz­voll­zugs­anstalt kann die durch die Maßre­ge­l­a­n­ordnung bezweckte Behandlung des Verurteilten nicht gewährt werden.

Die von Verfassungs wegen noch vertretbare Organi­sa­ti­o­nsfrist kann nicht allgemein, sondern nur im jeweiligen Einzelfall unter Berück­sich­tigung der Bemühungen der Straf­voll­stre­ckungs­behörde um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug bestimmt werden. Im Hinblick auf das Freiheits­grundrecht ist es verfas­sungs­rechtlich geboten, dass die Vollstre­ckungs­be­hörden auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behand­lungs­bedarf unverzüglich reagieren und die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung beschleunigt herbeiführen.

Diesen Anforderungen haben die angegriffenen Entscheidungen nicht Rechnung getragen. Auf der Grundlage der Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation der Unterbringung haben die Gerichte im Ergebnis lediglich deren Einhaltung, nicht aber die Umstände für das Zustandekommen einer nahezu dreimonatigen Organi­sa­ti­o­nsfrist geprüft. Die fachge­richtliche Behauptung, die Vollstre­ckungs­behörde habe sich in der gebotenen Zeit und mit der gebotenen Intensität um einen Unter­brin­gungsplatz gekümmert, wird in den Beschluss­gründen nicht erläutert und deckt sich nicht mit dem tatsächlichen Ablauf der Organisation der Unterbringung des Beschwer­de­führers.

Da der Beschwer­de­führer trotz zwischen­zeit­licher Überstellung in eine Entzie­hungs­anstalt ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung hat, ob die gegen ihn vollzogene "Organi­sa­ti­o­nshaft" grund­rechts­widrig war, wird die Sache zu erneuter Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.10.2005

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