21.11.2024
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Dokument-Nr. 2762

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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.06.2006

Tarifbegrenzung des Einkom­men­steu­er­tarifs ist verfas­sungsgemäß

Die von 1994 bis 2000 geltende Kappung des Einkom­men­steu­er­tarifs (§ 32 c Einkom­men­steu­er­gesetz) bei dort näher bestimmten gewerblichen Einkünften war mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht auf eine Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs hin.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Mit dem Stand­ort­s­i­che­rungs­gesetz vom 13. September 1993 führte der Gesetzgeber mit § 32 c EStG eine besondere Tarifermäßigung für dort näher bestimmte gewerbliche Einkünfte ein, nach der der Spitzen­steu­ersatz für die begünstigten Einkünfte 47 v.H. betrug, der Steuersatz also ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.278 DM (Grundtarif) bzw. 200.556 DM (Splittling-Tarif) bei 47 v.H. stehen blieb. Für die anderen vom Einkom­men­steu­er­gesetz erfassten Einkunftsarten steigt demgegenüber die Progression bis zu einem Spitzen­steu­ersatz von 53 v.H. an. In den Bemes­sungs­betrag der begünstigten Gewinne (§ 32 c Abs. 2 EStG) fließen gewerbliche Einkünfte – die eine natürliche Person als Einzel­un­ter­nehmer oder als Mitunternehmer einer Perso­nen­ge­sell­schaft erzielt – auch dann ein, wenn die Gewinne entnommen werden. Dagegen wird die Begünstigung nicht für Gewinne gewährt, die ein Anteilseigner aufgrund einer Gewin­n­aus­schüttung von einer Kapital­ge­sell­schaft erhält, an der er zumindest mit 10 v.H. beteiligt ist.

Mit dem Steuer­sen­kungs­gesetz vom 23. Oktober 2000 wurde § 32 c EStG seit 2001 durch die Gewer­be­steu­er­an­rechnung nach § 35 EStG ersetzt.

Die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Ehemann ist Allein­ge­sell­schafter einer GmbH, der er seinen Gewerbebetrieb verpachtet hat. Im Jahr 1994 erzielte er aus der Verpachtung einen Gewinn in Höhe von 95.982, 96 DM. Außerdem schüttete die GmbH an den Kläger 2.247.935 DM aus, wofür die GmbH ihm anrechenbare Körper­schaft­steuer in Höhe von 963.400, 71 DM bescheinigte. Die Summe dieser Beträge – 3.307.318 DM – erklärten die Kläger in ihrer Einkom­men­steu­e­r­er­klärung 1994 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und beanspruchten die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 32 c EStG.

Das Finanzamt ging davon aus, dass die Gewin­n­aus­schüt­tungen der GmbH sowie die Körper­schaft­steu­er­an­rechnung wegen der Rückausnahme in § 32 c Abs. 2 EStG nicht tarifbegünstigt seien. Vielmehr habe der Kläger allein durch die Verpachtung des Betriebes gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 32 c Abs. 2 EStG i.H.v. 95.983 DM erzielt, die aber wegen der Mindestgrenze in § 32 c EStG noch nicht begünstigt seien. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Der Bundesfinanzhof setzte das Verfahren aus und legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vor, ob die von 1994 bis 2000 geltende Kappung des Einkom­men­steu­er­tarifs bei dort näher bestimmten gewerblichen Einkünften mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sei.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. § 32 c EStG war mit dem Gleichheitssatz insoweit vereinbar, als er die Tarifbegrenzung nach Maßgabe des § 32 c Abs. 2 EStG nur für gewerbliche Einkünfte gewährt, die beim Bezieher zugleich der Gewerbesteuer unterlegen haben (erste Vorlagefrage).

1. Die Ungleich­be­handlung der durch die Tarifbegrenzung entlasteten Steuer­pflichtigen im Verhältnis zu den Beziehern nicht gewerblicher Einkünfte findet ihre Rechtfertigung in dem Anliegen, Zusatz­be­las­tungen durch die Gewerbesteuer zu kompensieren. Einkommen- und Gewerbesteuer knüpfen gleichermaßen an das ertragswirksame Betreiben eines Gewerbebetriebs an; damit wird ein und derselbe wirtschaftliche Lebens­sach­verhalt durch zwei Steuern – doppelt – belastet. Angesichts der faktischen Belas­tungs­ku­mu­lation ist es dem Gesetzgeber verfas­sungs­rechtlich nicht versagt, die Gewer­be­steu­er­be­lastung bei der Einkommensteuer – über den Betrie­bs­aus­ga­be­nabzug hinaus – steuermindernd zu berücksichtigen.

Soweit es durch § 32 c EStG aufgrund eines besonders niedrigen Gewer­be­steu­er­he­be­satzes einer Gemeinde zu einer Überkom­pen­sation des gewer­be­steu­er­lichen Belas­tungs­nachteils kommt, also die Minderung der einkom­men­steu­er­lichen Zahllast größer ist als die zugleich durch die Gewerbesteuer begründete Zahllast, profitierten davon nur äußerst wenige Gewer­be­treibende, da eine erkennbare Überkom­pen­sation erst bei einem Hebesatz von unter 200 v.H. eintreten konnte. Der bundes­durch­schnittliche Hebesatz in Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern bewegte sich während der Geltung des § 32 c EStG bei etwa 400 v.H. Vor diesem Hintergrund ist die Ungleich­be­handlung aufgrund der Typisie­rungs­be­fugnis des Gesetzgebers hinzunehmen.

2. Als ergänzender Recht­fer­ti­gungsgrund treten wirtschafts­po­li­tische Förderungs- und Lenkungsziele hinzu, die den Typisie­rungs­spielraum des Gesetzgebers erweitern. Bei den Regelungen des Stand­ort­s­i­che­rungs­ge­setzes ging es insgesamt darum, die Position des Wirtschafts­s­tandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Es erscheint im internationalen Vergleich zumindest plausibel, dass gerade bei einem hohen einkom­men­steu­er­lichen Spitzen­steu­ersatz und hinzutretender Gewer­be­steu­er­be­lastung die Wahl alternativer Standorte nahe liegt. Daher ist die Senkung des Spitzen­steu­er­satzes für die gewerblichen Einkünfte ein Instrument, das sich national wie vor allem auch international schnell und in leicht verständlicher Sprache als Reduzierung der „Unter­neh­mens­be­steuerung“ mitteilen lässt.

II. Auch der Ausschluss der Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte insoweit, als deren Anteil am zu versteuernden Einkommen unterhalb des die Entlastung auslösenden Grenzbetrags liegt, ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar (dritte Vorlagefrage).

Obwohl auch die Bezieher gewerblicher Einkünfte unterhalb der Kappungsgrenze mit der Gewerbesteuer belastet sind, wird nur die Gruppe der Bezieher höherer Einkünfte entlastet. Diese Ungleich­be­handlung ist mit dem gesetz­ge­be­rischen Ziel zu rechtfertigen, die Position des Wirtschafts­s­tandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Die Förderungs- und Lenkungsziele haben hinreichendes Gewicht, um die (vorläufige) Vernach­läs­sigung einer Kompensation in dieser zweiten Vergleichs­gruppe zu rechtfertigen. Insoweit ist hervorzuheben, dass der Gesetzgeber innerhalb seines Gestal­tungs­spielraums bei der wirtschafts­po­li­tischen Diagnose, Prognose und Instru­men­tenwahl von einem dringenden Handlungsbedarf ausgehen und sich für den Einsatz einer auch international leicht erkennbaren Belas­tungs­min­derung entscheiden durfte. In den Geset­zes­be­grün­dungen wurde dementsprechend wiederholt der bloß vorläufige Charakter des § 32 c EStG als Überg­angs­re­gelung bis zu einer weitergehenden Unternehmens- und insbesondere Gewer­be­steu­er­reform hervorgehoben.

III. Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, dass ausgeschütteten Gewinnen von Kapital­ge­sell­schaften die Tarifbegrenzung versagt wird, obwohl diese Gewinne bei der Körperschaft der Gewerbesteuer unterlegen haben (zweite Vorlagefrage).

§ 32 c EStG benachteiligt ausgeschüttete Gewinne von Kapital­ge­sell­schaften gegenüber entnommenen Gewinnen von Perso­nen­ge­sell­schaften. Sachlicher Grund für diese Ungleich­be­handlung ist die Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapital­ge­sell­schaft gegenüber ihren Anteilseignern. Diese Abschirmung bewirkt, dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre eine eigenständige und objektive Leistungs­fä­higkeit entsteht, die von der individuellen und subjektiven Leistungs­fä­higkeit der hinter der Kapital­ge­sell­schaft stehenden Personen getrennt und unabhängig von ihr besteuert werden darf. Das Steuerrecht nimmt damit bei der Bestimmung verschiedener Zurech­nungs­subjekte steuerlicher Leistungs­fä­higkeit verfas­sungs­rechtlich bedenkenfrei die zivilrechtliche Grund­ent­scheidung auf, nach der bei Perso­nen­ge­sell­schaften das Gesell­schafts­vermögen den Gesellschaftern zugerechnet wird, während das Vermögen der Kapital­ge­sell­schaften gegenüber dem Vermögen ihrer Gesellschafter grundsätzlich selbständig ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 65/06 des BVerfG vom 13.07.2006

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