21.11.2024
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Dokument-Nr. 30118

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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.03.2021

BVerfG erklärt Gesetz zur Mieten­be­grenzung im Wohnungswesen in Berlin ("Berliner Mietendeckel") für nichtig"Berliner Mietendeckel" verfas­sungs­widrig

Das Bundes­verfassungs­gericht hat das Gesetz zur Mieten­be­grenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) für mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig erklärt. Die Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen in die konkurrierende Gesetzgebungs­zuständigkeit. Die Länder sind nur zur Gesetzgebung befugt, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungs­kompetenz keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat (Art. 70, Art. 72 Abs. 1 GG). Da der Bundes­ge­setzgeber das Mietpreisrecht in den §§ 556 bis 561 BGB abschließend geregelt hat, ist aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts für die Gesetzgebungs­befugnis der Länder kein Raum. Da das MietenWoG Bln im Kern ebenfalls die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum regelt, ist es insgesamt nichtig.

Das MietenWoG Bln trat – mit Ausnahme des § 5 MietenWoG Bln – am 23. Februar 2020 in Kraft. Der „Berliner Mietendeckel“ besteht für die von seinem Anwen­dungs­bereich erfassten Wohnungen im Wesentlichen aus drei Regelungs­kom­plexen: einem Mietenstopp, der eine Miete verbietet, die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet (vgl. §§ 1, 3 MietenWoG Bln), einer lageu­n­ab­hängigen Mietobergrenze bei Wieder­ver­mie­tungen (vgl. §§ 1, 4 MietenWoG Bln), wobei gebäude- und ausstat­tungs­be­zogene Zuschläge sowie bestimmte Moder­ni­sie­rungs­umlagen erlaubt sind (vergleiche §§ 1, 4 in Verbindung mit §§ 6, 7 MietenWoG), sowie einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten (vergleiche §§ 1, 5 MietenWoG Bln). Auf Neubauten, die ab dem 1. Januar 2014 erstmalig bezugsfertig wurden, finden die Vorschriften des MietenWoG Bln dagegen keine Anwendung.

Normen­kon­trol­lantrag durch Abgeordnete des Deutschen Bundestages

Die Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/20) – 284 Abgeordnete des Deutschen Bundestages der Fraktionen von CDU/CSU und FDP – halten das MietenWoG Bln für unvereinbar mit der grund­ge­setz­lichen Verteilung der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen (Art. 70 ff. GG). Die beiden Richtervorlagen (2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20) betreffen die Vereinbarkeit von § 3 MietenWoG Bln mit dem Grundgesetz.

BVerfG: Keine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Landes Berlin

Das MietenWoG Bln ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Das Grundgesetz geht von einer in aller Regel abschließenden Verteilung der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen zwischen Bund und Ländern aus. Abgrenzung und Inhalt der Gesetz­ge­bungs­be­fugnisse von Bund und Ländern richten sich dabei ausschließlich nach Art. 70 ff. GG. Die Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen werden insbesondere mittels der Kataloge der Art. 73 und Art. 74 GG durchweg alternativ voneinander abgegrenzt. Doppel­zu­stän­dig­keiten sind dem Grundgesetz in der Regel fremd. Der Bund hat demnach das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz ihm dieses ausdrücklich zuweist. Der Kompe­tenz­bereich der Länder wird daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundes­kom­pe­tenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Eine Zustän­dig­keits­ver­mutung zugunsten der Länder kennt das Grundgesetz nicht. Öffnungs­klauseln in Bundesgesetzen sind zwar zulässig, gewähren den Ländern aber keine über die Öffnung hinausgehenden Spielräume. Die konkurrierende Gesetzgebung regelt das Grundgesetz im Wesentlichen in den Art. 72 und Art. 74 sowie Art. 105 GG abschließend. Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sogenannte Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz der Länder. Sie verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompe­tenz­grundlage, sodass sie nichtig sind beziehungsweise werden.

§§ 556 bis 561 BGB regeln Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend

Die Sperrwirkung setzt voraus, dass bundes- und landes­ge­setzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. In sachlich-inhaltlicher Hinsicht reicht sie so weit, wie der Bundes­ge­setzgeber eine erschöpfende, also lückenlose und abschließende Regelung getroffen hat beziehungsweise treffen wollte. Regelungen zur Miethöhe für ungebundenen Wohnraum fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Nach dem durch Staatspraxis und Regelungs­tra­dition seit nunmehr 150 Jahren geprägten Rechts­ver­ständnis umfasst das bürgerliche Recht die Gesamtheit aller Normen, die herkömm­li­cherweise dem Zivilrecht zugerechnet werden. Entscheidend ist, ob durch eine Vorschrift Privat­rechts­ver­hältnisse geregelt werden, also die Rechts­ver­hältnisse zwischen Privaten und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten. Das Recht der Mietver­hältnisse ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt auch für die Mietver­hältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Der Mietvertrag ist das Ergebnis privatautonomer Entscheidungen der Vertrags­parteien. Das gilt selbst dann, wenn die privatautonom begründeten Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet oder begrenzt werden. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundes­ge­setzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

Keine Regelungs­vor­behalte, Öffnungs­klauseln oder Ermäch­ti­gungs­vor­schriften für eigene oder abweichende Länder­re­ge­lungen

Schon Regelungs­in­tensität und Regelungsdichte der bundes­ge­setz­lichen Vorschriften legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten zudem keine Regelungs­vor­behalte, Öffnungs­klauseln oder Ermäch­ti­gungs­vor­schriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreis­recht­licher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdif­fe­ren­zierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündi­gungs­schutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundes­ge­setzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte. Das wird durch die in § 556 d Abs. 2 BGB normierte Verord­nungs­er­mäch­tigung nicht in Frage gestellt. Die Länder führen insoweit lediglich eine Regelung aus, die der Bund ausweislich Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nach Inhalt, Zweck und Ausmaß inhaltlich weitgehend determiniert hat; eine eigenständige Regelungs­be­fugnis ist damit nicht verbunden.

Mietpreisbremse bundesweit auch im BGB verankert

Seit dem Mietrechts­re­form­gesetz vom 9. Juni 2001 hat der Bundes­ge­setzgeber – vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht unbeanstandet – Regelungen der Miethöhe allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt. Mit dem Mietrechts­no­vel­lie­rungs­gesetz vom 21. April 2015 wurde zudem die in den §§ 556 d ff. BGB geregelte Mietpreisbremse erstmals in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Der Begründung des Gesetzentwurfs lässt sich eine umfassende Abwägung aller berührten Belange entnehmen, und damit das Ziel eines abschließenden Inter­es­se­n­aus­gleichs zwischen den Mietver­trags­parteien, der in der Folgezeit mehrfach nachjustiert wurde: Das Mietrechts­an­pas­sungs­gesetz vom 18. Dezember 2018 sollte verhindern, dass Mieter ihre Wohnungen aufgrund von Moder­ni­sie­rungen verlassen müssen. Das Gesetz zur Verlängerung des Betrach­tungs­zeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete vom 21. Dezember 2019 intendierte eine moderate Modifikation der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ des § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB, namentlich die Verlängerung des Betrach­tungs­zeitraums von vier auf sechs Jahre. Am 19. März 2020 beschloss der Bundestag schließlich das Gesetz zur Verlängerung und Verbesserung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn, mit dem den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Mietpreisbremse für einen klar umrissenen Zeitraum weiter anzuwenden. Spätestens mit dem Mietrechts­no­vel­lie­rungs­gesetz hat der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt. In den vergangenen sechs Jahren hat er mit den vier genannten, teils umfangreichen Gesetzen auf die sich verschärfende Wohnungs­si­tuation in den Ballungs­ge­bieten reagiert und versucht, mit detaillierten Regelungen einen Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der Vermieter und der Mieter zu gewährleisten und hierdurch die Mietprei­s­ent­wicklung in angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen.

MietenWoG Bln führt paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene

Da der Bundes­ge­setzgeber von seiner konkurrierenden Kompetenz jedenfalls im Hinblick auf die Festlegung der höchst­zu­lässigen Miete bei ungebundenem Wohnraum abschließend Gebrauch gemacht hat, sind die Länder von Regelungen der Miethöhe in diesem Bereich ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG). Der „Berliner Mietendeckel“ und die bundes­ge­setzliche Mietpreisbremse regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum. Das MietenWoG Bln verengt dabei allerdings die durch die bundes­recht­lichen Regelungen belassenen Spielräume der Parteien des Mietvertrags und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktu­n­ab­hängigen Festlegungen ein; es statuiert gesetzliche Verbote im Sinne von § 134 BGB, die die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach den §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Das MietenWoG Bln modifiziert somit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem vorgenommene Austarierung der beteiligten Interessen.

Anwen­dungs­bereich der Mietpreis­re­gu­lierung wird durch das MietenWoG Bln ausgeweitet

So verbietet § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 MietenWoG Bln die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis beziehungsweise für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 Satz 2 MietenWoG Bln sind die nach den §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren. § 7 MietenWoG Bln reduziert die mieter­hö­hungs­re­le­vanten Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555 b Nr. 1, Nr. 3 bis 6 BGB, und begrenzt die zulässige Mieterhöhung nach Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB. Der Anwen­dungs­bereich der Mietpreis­re­gu­lierung wird durch das MietenWoG Bln ausgeweitet, nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie danach zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten. So wird durch die Mietobergrenzen des § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln die Vereinbarung einer 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete betragenden Miete – auch in den Fällen des § 4 MietenWoG Bln – entgegen § 556 d Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Diese Beschränkungen des MietenWoG Bln treten neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gemäß §§ 556 d ff. BGB. Da die §§ 556 ff. BGB die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum jedoch abschließend regeln, fehlt dem Land Berlin insoweit die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz.

Auch andere Kompetenztitel scheiden als Grundlage für den Erlass des MietenWoG Bln aus

Andere Kompetenztitel, namentlich Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG („Recht der Wirtschaft“) oder Art. 70 Abs. 1 GG, scheiden als Grundlage für den Erlass des MietenWoG Bln aus. Insbesondere war die Regelung der höchst­zu­lässigen Miete für ungebundenen Wohnraum vom Kompetenztitel „Wohnungswesen“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a. F. nicht (mehr) umfasst und konnte daher im Rahmen der Födera­lis­mus­reform I im Jahr 2006 nicht in die Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit der Länder übergehen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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