21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 30677

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss07.07.2021

Erfolgloser Eilantrag zum Vorschlagsrecht zur Vizepräsidenten-Wahl des Deutschen BundestagesÄnderungen beim Wahlverfahren nicht auf dem Klageweg zu erreichen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, der die Frage betrifft, ob Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG einem Abgeordneten das Recht verleiht, jedenfalls ab dem zweiten Wahlgang einen eigenen Kandidaten für das Amt eines Stellvertreters des Bundes­tags­präsidenten vorzuschlagen und über diesen Vorschlag abstimmen zu lassen.

Der Antragsteller ist Mitglied des Deutschen Bundestages und gehört der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) an. Die AfD-Fraktion hatte in der laufenden Legis­la­tur­periode mehrfach erfolglos versucht, eines ihrer Mitglieder zum Vizepräsidenten oder zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages wählen zu lassen. Ein Antrag, die Wahl eines Vizepräsidenten mit dem Wahlvorschlag von drei Kandidaten auf die Tagesordnung zu nehmen, wurde vom Präsidenten des Bundestages abgelehnt. In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. September 2019 erhielt – im ersten Wahlgang – der von der AfD-Fraktion vorgeschlagene Abgeordnete nicht die erforderliche Mehrheit. Für die Sitzung am 7. November 2019 wurde die Wahl eines Vertreters des Bundes­tags­prä­si­denten – als zweiten Wahlgang – erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Die AfD-Fraktion schlug wiederum denselben Abgeordneten vor. Der Antragsteller kündigte dem Präsidenten des Deutschen Bundestages schriftlich an, zudem einen anderen Abgeordneten zur Wahl vorschlagen zu wollen. In der Sitzung des Deutschen Bundestages wurde der Antrag von der sitzungs­lei­tenden Vizepräsidentin mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass einem einzelnen Abgeordneten kein Vorschlagsrecht für die Wahl eines Vizepräsidenten zustehe.

Antragsteller sieht sich in seinem Recht auf gleiche Mitwir­kungs­be­fugnis verletzt

Der Antragsteller sieht sich durch die Zurückweisung seines Wahlvorschlags in seinem Recht auf gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Er begehrt, den streitigen Zustand vorläufig dahingehend zu regeln, dass „im Rahmen stattfindender Wahlen von Stellvertretern des Präsidenten die Wahlvorschläge von Abgeordneten des Deutschen Bundestages zuzulassen und zur Abstimmung zu stellen sind“.

BVerfG: Vereitelung des behaupteten Wahlvor­schlags­rechts nicht ausreichend dargelegt

Das BVerfG hat den Eilantrag für unzulässig befunden. Er sei auf Rechtsfolgen gerichtet ist, die im Organ­streit­ver­fahren grundsätzlich nicht erreicht werden können. Der Eilantrag des Antragstellers geht über die Rechtswirkungen hinaus, die bei einem Erfolg in der Hauptsache bewirkt werden könnten, weil er in der Hauptsache allenfalls die Feststellung einer Verletzung seiner Betei­li­gungs­rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG erreichen könnte. Der Antragsteller legt zudem nicht ausreichend dar, dass bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung eine Vereitelung des behaupteten Wahlvor­schlags­rechts durch den Antragsgegner drohte. Er verweist zwar auf das bevorstehende Ende der laufenden Legis­la­tur­periode, verhält sich aber nicht dazu, ob zu erwarten ist, dass im verbleibenden Rest der Legis­la­tur­periode überhaupt weitere Durchgänge zur Wahl einer Bundes­tags­vi­ze­prä­si­dentin oder eines -vizepräsidenten auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt und durchgeführt werden. Der Antragsteller setzt sich weiterhin nicht ausreichend damit auseinander, dass der Organstreit auf den Schutz der verfas­sungs­mäßigen Rechte des jeweiligen Antragstellers gerichtet ist. Daher kann auch der einstweilige Rechtsschutz nur auf die vorläufige Sicherung der geltend gemachten organ­schaft­lichen Rechte des Antragstellers und nicht weiterer Mitglieder des Bundestages zielen.

Antrag fehlt Dringlichkeit des Erlasses der einstweiligen Anordnung

Daneben ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags aus dem Umstand, dass es an einer substantiierten Darlegung der Dringlichkeit des Erlasses der einstweiligen Anordnung fehlt. Der Antragsteller hat seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erst am 6. Mai 2020 gestellt, mithin nahezu sechs Monate, nachdem die angegriffene Maßnahme erfolgt ist. Insbesondere legt er nicht dar, dass mit drei Wahlgängen am 16. Januar, 5. März und 7. Mai 2020 eine weitere Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin auf Vorschlag der AfD-Fraktion durchgeführt wurde, ohne dass er im Zuge dieser Wahl ein Wahlvor­schlagsrecht im zweiten Wahlgang geltend gemacht hat.

Schwerwiegender Eingriff in die Geschäfts­ord­nungs­au­tonomie des Deutschen Bundestages ist zu verhindern

Jedenfalls ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet, weil die Folgenabwägung zulasten des Antragstellers ausfällt. Erginge die vorliegend beantragte einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Vorenthaltung des Wahlvor­schlags­rechts jedoch als verfas­sungs­widrig, könnte der Antragsteller möglicherweise auch in künftigen Wahlgängen seine verfas­sungs­recht­lichen Betei­li­gungs­rechte nicht in vollem Umfang ausüben. Er wäre aber nicht gehindert, Wahlvorschläge auf andere Weise zu verfolgen. Wahlvorschläge können jedenfalls von der Fraktion des Antragstellers gemacht werden. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, erwiese sich jedoch, dass das in Rede stehende Wahlvor­schlagsrecht nicht besteht oder der Wahlvorschlag in verfas­sungs­kon­former Weise abgelehnt wurde, bedeutete dies demgegenüber einen schwerwiegenden Eingriff in die Geschäfts­ord­nungs­au­tonomie des Deutschen Bundestages. Denn hierdurch würde dessen Kompetenz, die Wahl der Stellvertreter seines Leitungsorgans selbstbestimmt auszugestalten, infrage gestellt.

BVerfG sieht sich zur Zurückhaltung verpflichtet

Der mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Eingriff in die Geschäfts­ord­nungs­au­tonomie des Parlaments tritt in seinem verfas­sungs­recht­lichen Gewicht jedenfalls nicht hinter die vom Antragsteller geltend gemachten Mitwir­kungs­be­fugnisse zurück. Selbst wenn man annähme, dass sich die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgen­kon­stel­la­tionen in etwa gleichgewichtig gegenüberstehen, verböte es die mit Blick auf die Gewaltenteilung notwendige Zurückhaltung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, in den Prozess der parla­men­ta­rischen Willensbildung bei der Besetzung des eigenen Repräsentativ- und Leitungsorgans einzugreifen, bevor geklärt ist, welche Mitwir­kungs­be­fugnisse dem einzelnen Abgeordneten insoweit zustehen beziehungsweise ob hier die Grenzen der Parla­ment­s­au­tonomie überschritten sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss30677

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI