15.11.2024
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Dokument-Nr. 7318

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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.11.2008

Entscheidung über Gegen­vor­stellung setzt keine neue Frist zur Einlegung einer Verfas­sungs­be­schwerde in Lauf"Übergangsfrist" bis 2. März 2009

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob eine Entscheidung des Anwaltsgerichts wegen des Verstoßes gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung auf, die eine Rüge zum Gegenstand hatte, die dem Beschwer­de­führer, einem Rechtsanwalt, wegen Umgehung des Gegenanwalts erteilt worden war. Dabei stellte sich die für die Zulässigkeit der Verfas­sungs­be­schwerde relevante Frage, ob eine vom Fachgericht in der Sache beschiedene Gegen­vor­stellung die Monatsfrist zur Einlegung und Begründung einer Verfas­sungs­be­schwerde erneut in Gang setzt.

Diese Frage, die bisher vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht geklärt war, hat der Senat verneint. Wegen der bisher unklaren Rechtslage wurde dem Beschwer­de­führer, der zunächst Gegenvorstellung erhoben hatte, von Amts wegen Wieder­ein­setzung in den vorigen Stand gewährt. In künftigen Fällen wird bei der Prüfung dieser Frage nur noch für den Zeitraum von einem fehlenden Verschulden hinsichtlich des Frist­ver­säum­nisses ausgegangen werden können, der erforderlich ist, um dem Rechtsuchenden Gelegenheit zu geben, sich auf die nun geklärte Rechtslage einzustellen und entsprechend zu reagieren. Einem Beschwer­de­führer, der bisher von der Einlegung der Verfassungsbeschwerde abgesehen hatte, weil er zunächst eine Gegen­vor­stellung erhoben hatte, wird daher nur dann Wieder­ein­setzung zu gewähren sein, wenn er die Verfas­sungs­be­schwerde unverzüglich bis spätestens Montag, den 2. März 2009 nachholt.

Der Beschwer­de­führer vertrat einen Antragsteller in einer Wohnungs­ei­gen­tumssache vor Gericht. In der mündlichen Verhandlung schloss die in dieser Sache ebenfalls anwaltlich vertretene Antragsgegnerin auf Vorschlag des Gerichts einen unwider­ruf­lichen Vergleich, obwohl ihr Rechtsanwalt aufgrund einer fehlerhaften Mitteilung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Der Rechtsanwalt der Antragsgegnerin beschwerte sich bei der Rechts­an­walts­kammer und diese erteilte dem Beschwer­de­führer wegen eines Verstoßes gegen das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA eine Rüge. Gegen diese legte der Beschwer­de­führer Einspruch ein, der von der Rechts­an­walts­kammer zurückgewiesen wurde. Den daraufhin vom Beschwer­de­führer gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Anwaltsgericht zurück. Dagegen erhob der Beschwer­de­führer Gegen­vor­stellung, die vom Anwaltsgericht zurückgewiesen wurde. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde, die sich gegen alle angeführten Entscheidungen richtet, rügt der Beschwer­de­führer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Bei Einlegung der Verfas­sungs­be­schwerde war die dafür bestimmte Frist (§ 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) bereits verstrichen, weil die Entscheidung des Anwaltsgerichts über die von dem Beschwer­de­führer erhobene Gegen­vor­stellung für den Beginn dieser Frist nicht maßgebend ist. Der Zulässigkeit steht dies jedoch nicht entgegen; denn der Senat gewährt dem Beschwer­de­führer hinsichtlich der versäumten Frist Wieder­ein­setzung in den vorigen Stand.

Die Gegen­vor­stellung zählt nicht zu dem Rechtsweg, dessen Erschöpfung § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG grundsätzlich als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfas­sungs­be­schwerde bestimmt und dessen rechtzeitiges Beschreiten folgerichtig die Frist zur Einlegung und Begründung der Verfas­sungs­be­schwerde offenhält. Mit der Gegen­vor­stellung wendet sich der Betroffene vielmehr außerhalb der einschlägigen Verfah­rens­ordnung und außerhalb förmlicher Verfah­rens­rechte an das Gericht mit dem Ziel einer Überprüfung einer Entscheidung.

In der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts war bislang nicht geklärt, welche Folgen aus der seit dem Plenarbeschluss vom 30. April 2003 geänderten Rechtsprechung zur Subsidiarität der Verfas­sungs­be­schwerde gegenüber außer­or­dent­lichen Rechtsbehelfen für das Offenhalten der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bei Einlegung einer Gegen­vor­stellung zu ziehen sind. Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfas­sungs­be­schwerde ist dem Beschwer­de­führer wegen der bisher unklaren Rechtslage von Amts wegen Wieder­ein­setzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sämtliche Voraussetzungen dafür liegen vor, insbesondere hat der Beschwer­de­führer die verspätete Einlegung der Verfas­sungs­be­schwerde nicht verschuldet.

Die dem Beschwer­de­führer erteilte Rüge und die diese Maßnahme bestätigenden Entscheidungen des Kammer­vor­standes und des Anwaltsgerichts verletzen den Beschwer­de­führer auch in seinem durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf freie Berufsausübung.

Das Umgehungsverbot aus § 12 Abs. 1 BORA begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Auch wenn mit diesem Verbot in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen wird, weil es Rechtsanwälten den unmittelbaren Kontakt mit anwaltlich vertretenen Gegnern grundsätzlich untersagt und damit deren berufliche Tätigkeit reglementiert, ist diese Beschränkung der Berufsfreiheit durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich den Schutz des Gegners vor Überrumpelung und damit auch einer funkti­o­ns­fähigen Rechtspflege, legitimiert.

Ungeachtet der hiernach verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandenden rechtlichen Grundlage verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Vorstandes der Rechts­an­walts­kammer und des Anwaltsgerichts den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit, weil die Auslegung des Umgehungs­verbots nicht hinreichend Bedeutung und Tragweite der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Berufsausübung berücksichtigt. Die strikte Einhaltung des Umgehungs­verbots hätte von dem Beschwer­de­führer verlangt, in der mündlichen Verhandlung vor Gericht keine Vergleichs­ver­hand­lungen mit der Antragsgegnerin zu führen und insbesondere keinen Prozess­ver­gleich abzuschließen, obwohl nicht festgestellt wurde, dass die Antragsgegnerin im konkreten Fall des Schutzes vor Überrumpelung bedurfte. Dies hätte jedoch offensichtlich dem Interesse des eigenen Mandanten an einer zügigen und sachgerechten Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozess­ver­gleichs widersprochen, zu der der Rechtsanwalt vertraglich verpflichtet ist. Unter diesen Umständen scheidet eine berufs­rechtliche Ahndung allein als Sanktion unkollegialen Verhaltens aus.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 03/09 des BVerfG vom 22.01.2009

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