18.10.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 29761

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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.01.2021

Verfassungs­beschwerde zur elektronischen Patientenakte gescheitertKeine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung

Das Bundes­verfassungs­gerichts hat eine Verfassungs­beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Vorschriften des Sozial­ge­setzbuchs Fünftes Buch (SGB V) richtete. Gegenstand waren Regelungen im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte, die den gesetzlichen Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten gezielte Informationen über und Angebote zu Versorgungs­innovationen ermöglichen (§ 68 b Abs. 2 und Abs. 3 SGB V) und die es unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, ohne Pseud­ony­mi­sierung Daten­ver­a­r­bei­tungen zur Quali­täts­si­cherung durchzuführen (§ 299 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB V). Gleichzeitig hat die Kammer in einem weiteren Verfahren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem das Inkrafttreten von § 68 b Abs. 3, § 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 19 SGB V verhindert werden sollte.

§ 68b Abs. 1 Satz 4 SGB V erlaubt den gesetzlichen Kranken­ver­si­che­rungen, die von ihnen rechtmäßig erhobenen und gespeicherten versi­cher­ten­be­zogenen Sozialdaten für die Vorbereitung von – gesetzlich nicht näher bestimmten – Versor­gungs­in­no­va­tionen und für die Gewinnung Versicherter für diese Versor­gungs­in­no­va­tionen im erforderlichen Umfang auszuwerten. Nach der bisherigen Rechtslage bestand sowohl für die Datenauswertung als auch für die Information und das Unterbreiten von Angeboten ein Einwilligungserfordernis der Versicherten. Durch § 68 b Abs. 3 SGB V ist dieses Einwil­li­gungs­er­for­dernis hinsichtlich der Datenauswertung nach § 68 Abs. 1 Satz 4 SGB V gänzlich entfallen. Hinsichtlich der gezielten Information und der Unterbreitung individueller Angebote nach § 68 b Abs. 2 SGB V wurde das vorher bestehende Einwil­li­gungs­er­for­dernis durch eine Wider­spruchs­mög­lichkeit ersetzt. Die Datenerhebungs- und- speiche­rungs­be­fugnis der gesetzlichen Kranken­ver­si­che­rungen wird nach § 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 19 SGB V auf solche Sozialdaten erweitert, die zur Vorbereitung von Versor­gungs­in­no­va­tionen, zur Information der Versicherten und zur Unterbreitung von Angeboten dienen. Die Kläger im Eilverfahren rügten jeweils eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

BVerfG: Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung durch freiwillige Nutzung nicht betroffen

Nach Auffassung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil die Nutzung der elektronischen Patientenakte freiwillig ist und der Beschwer­de­führer nicht unmittelbar und gegenwärtig in seinen eigenen Rechten betroffen ist. Damit hat der Beschwer­de­führer es selbst in der Hand, die geltend gemachte Verletzung in seinem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung abzuwenden, indem er seine Einwilligung zur Nutzung der elektronischen Patientenakte nicht erteilt.

Antragsteller hätte zunächst den Rechtsweg zu den Fachgerichten ausschöpfen müssen

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte ebenfalls keinen Erfolg, weil eine noch zu erhebende Verfas­sungs­be­schwerde aus Gründen der Subsidiarität der Verfas­sungs­be­schwerde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) unzulässig wäre. Der Antragsteller war verpflichtet, zunächst bei den Sozialgerichten um Rechtsschutz im Wege einer Feststellungs- oder Unter­las­sungsklage nachzusuchen. Die in den angegriffenen Vorschriften verankerten Daten­ver­a­r­bei­tungs­be­fugnisse enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe, von deren Auslegung entscheidend abhängt, inwiefern der Antragsteller rechtlich und tatsächlich beschwert ist. Damit sind gerade nicht nur spezifisch verfas­sungs­rechtliche Fragen aufgeworfen, sondern diesen vorgelagert zunächst Fragen der Auslegung des Fachrechts zu klären. Erst danach besteht eine gesicherte Tatsachen- und Rechtsgrundlage, auf der über die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der angegriffenen Normen entschieden werden kann.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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