Dokument-Nr. 3853
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Bundesverfassungsgericht Urteil27.02.2007
Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzten PressefreiheitBundesverfassungsgericht stärkt Pressefreiheit
Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses in der Presse ist kein ausreichender Grund für eine Redaktionsdurchsuchung. Das hat das Bundesverfassungsgerichts entschieden und die Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO im September 2005 für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung hat den Schutz der Medien gegen polizeiliche Durchsuchungen gestärkt.
Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben dem verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Chefredakteur und Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes des monatlich erscheinenden Politmagazins CICERO. Im April 2005 veröffentlichte CICERO einen Artikel des freien Journalisten Sch. über den Terroristen Abu Mousab al Zarqawi. In diesem Beitrag wird aus einem internen, als Verschlusssache gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamtes ausführlich zitiert.
Nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer und den Journalisten Sch. ordnete das Amtsgericht Potsdam die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten Sch. in Berlin sowie der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO in Potsdam an. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der Beschuldigte Sch. als Journalist ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Strafgesetzbuch veröffentlicht und hierdurch Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses begangen habe. Ihm sei bekannt gewesen, dass die Weitergabe des Berichts durch einen Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes an ihn in der Absicht erfolgt sei, den geheimen Inhalt der Mitteilung in der Presse zu veröffentlichen. Dies gelte auch für den Beschwerdeführer als Chefredakteur und Verantwortlichen des Magazins CICERO, da ihm der Sachverhalt bekannt und der Artikel mit seinem Wissen veröffentlicht worden sei.
Anlässlich der Durchsuchung der Redaktionsräume am 12. September 2005 wurden verschiedene Datenträger sichergestellt sowie eine Datenkopie der Festplatte des Computers erstellt, mit welchem der seinerzeit für den Artikel zuständige Redaktionsmitarbeiter gearbeitet hatte.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss wurde vom Landgericht Potsdam verworfen. Im Februar 2006 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer nach Zahlung einer Geldauflage von 1.000 € eingestellt.
Vorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer rügt, dass die Gerichte die Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit verkannt hätten. Die Strafvorschrift des § 353 b StGB (Verletzung des Dienstgeheimnisses) müsse im Lichte dieses Grundrechts dahingehend ausgelegt werden, dass sich Journalisten, die ihnen offenbarte Dienstgeheimnisse in der Presse veröffentlichten, nicht wegen Beihilfe zum Verrat von Dienstgeheimnissen strafbar machten. Darüber hinaus sei von den Gerichten die presseschützende Vorschrift des § 97 Abs. 5 Satz 2 Strafprozessordnung, die eine Beschlagnahmebeschränkung zugunsten der Presse enthalte, fälschlich nicht angewandt worden. Zudem seien die Durchsuchung der Presseräume und die damit einhergehende Beschlagnahme unzulässig gewesen, da sie vorwiegend die Ermittlung des Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen sollten. Dies sei aber mit dem Grundsatz des Informantenschutzes nicht vereinbar. Schließlich sei die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung angesichts des Umstandes, dass nur gegen den Gehilfen ermittelt wurde, unverhältnismäßig gewesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.
1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.
2. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reichte für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme von Beweismitteln nicht aus.
a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen. Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.
b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden. Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens zwar – verfassungsrechtlich zulässig – zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu bringen. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über die Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.
c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss des Informantenschutzes. Die Anordnung erfolgte in einer Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.
II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.02.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts
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