21.11.2024
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Dokument-Nr. 3853

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Bundesverfassungsgericht Urteil27.02.2007

Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzten PressefreiheitBundes­ver­fas­sungs­gericht stärkt Pressefreiheit

Die bloße Veröf­fent­lichung eines Dienst­ge­heim­nisses in der Presse ist kein ausreichender Grund für eine Redak­ti­o­ns­durch­suchung. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts entschieden und die Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO im September 2005 für verfas­sungs­widrig erklärt. Die Entscheidung hat den Schutz der Medien gegen polizeiliche Durchsuchungen gestärkt.

Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen verfas­sungs­rechtlich nicht gerecht­fer­tigten Eingriff in die Pressefreiheit des Beschwer­de­führers dar. Die Gerichte haben dem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Infor­man­ten­schutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Die bloße Veröf­fent­lichung eines Dienst­ge­heim­nisses in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröf­fent­lichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die Verfas­sungs­be­schwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

Sachverhalt:

Der Beschwer­de­führer ist Chefredakteur und Verant­wort­licher im Sinne des Pressegesetzes des monatlich erscheinenden Politmagazins CICERO. Im April 2005 veröffentlichte CICERO einen Artikel des freien Journalisten Sch. über den Terroristen Abu Mousab al Zarqawi. In diesem Beitrag wird aus einem internen, als Verschlusssache gekenn­zeichneten Bericht des Bundes­kri­mi­nalamtes ausführlich zitiert.

Nach Einleitung eines Ermitt­lungs­ver­fahrens durch die Staats­an­walt­schaft gegen den Beschwer­de­führer und den Journalisten Sch. ordnete das Amtsgericht Potsdam die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten Sch. in Berlin sowie der Redaktionsräume der Zeitschrift CICERO in Potsdam an. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der Beschuldigte Sch. als Journalist ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Strafgesetzbuch veröffentlicht und hierdurch Beihilfe zur Verletzung des Dienst­ge­heim­nisses begangen habe. Ihm sei bekannt gewesen, dass die Weitergabe des Berichts durch einen Mitarbeiter des Bundes­kri­mi­nalamtes an ihn in der Absicht erfolgt sei, den geheimen Inhalt der Mitteilung in der Presse zu veröffentlichen. Dies gelte auch für den Beschwer­de­führer als Chefredakteur und Verant­wort­lichen des Magazins CICERO, da ihm der Sachverhalt bekannt und der Artikel mit seinem Wissen veröffentlicht worden sei.

Anlässlich der Durchsuchung der Redaktionsräume am 12. September 2005 wurden verschiedene Datenträger sichergestellt sowie eine Datenkopie der Festplatte des Computers erstellt, mit welchem der seinerzeit für den Artikel zuständige Redak­ti­o­ns­mi­t­a­r­beiter gearbeitet hatte.

Die Beschwerde des Beschwer­de­führers gegen den Durchsuchungs- und Beschlag­nah­me­be­schluss wurde vom Landgericht Potsdam verworfen. Im Februar 2006 wurde das Ermitt­lungs­ver­fahren gegen den Beschwer­de­führer nach Zahlung einer Geldauflage von 1.000 € eingestellt.

Vorbringen des Beschwer­de­führers:

Der Beschwer­de­führer rügt, dass die Gerichte die Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit verkannt hätten. Die Strafvorschrift des § 353 b StGB (Verletzung des Dienst­ge­heim­nisses) müsse im Lichte dieses Grundrechts dahingehend ausgelegt werden, dass sich Journalisten, die ihnen offenbarte Dienst­ge­heimnisse in der Presse veröf­fent­lichten, nicht wegen Beihilfe zum Verrat von Dienst­ge­heim­nissen strafbar machten. Darüber hinaus sei von den Gerichten die presse­schützende Vorschrift des § 97 Abs. 5 Satz 2 Straf­pro­zess­ordnung, die eine Beschlag­nah­me­be­schränkung zugunsten der Presse enthalte, fälschlich nicht angewandt worden. Zudem seien die Durchsuchung der Presseräume und die damit einhergehende Beschlagnahme unzulässig gewesen, da sie vorwiegend die Ermittlung des Informanten aus dem Bundes­kri­mi­nalamt ermöglichen sollten. Dies sei aber mit dem Grundsatz des Infor­man­ten­schutzes nicht vereinbar. Schließlich sei die Durchsuchungs- und Beschlag­nah­me­a­n­ordnung angesichts des Umstandes, dass nur gegen den Gehilfen ermittelt wurde, unver­hält­nismäßig gewesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.

1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine Beein­träch­tigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den Ermitt­lungs­be­hörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redak­ti­o­ns­arbeit ein, aber auch in ein etwaiges Vertrau­ens­ver­hältnis zu Informanten.

2. Der Eingriff ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt. Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Infor­man­ten­schutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwer­de­führer reichte für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme von Beweismitteln nicht aus.

a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines Dienst­ge­heim­nisses unter Strafe. Allein die Veröf­fent­lichung des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit Dienst­ge­heim­nissen versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen. Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur Hinter­grun­d­in­for­ma­tionen liefern und erfolgt die Veröf­fent­lichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe durch die nachfolgende Veröf­fent­lichung gar nicht mehr geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer Beihil­fe­handlung des Journalisten angeordnet werden.

b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermitt­lungs­ver­fahren gegen Presse­an­ge­hörige sind verfas­sungs­rechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie gerichteten Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Verdachts einer Beihilfe zum Dienst­ge­heim­nis­verrat Durchsuchungen sowie Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck, Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden. Das Risiko einer Verletzung des verfas­sungs­rechtlich gebotenen Infor­man­ten­schutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen Situation kann die Staats­an­walt­schaft den betroffenen Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermitt­lungs­ver­fahrens zwar – verfas­sungs­rechtlich zulässig – zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die Staats­an­walt­schaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung zur Einleitung des Ermitt­lungs­ver­fahrens den besonderen grund­recht­lichen Schutz der Medien­an­ge­hörigen zum Wegfall zu bringen. Deshalb müssen die straf­pro­zes­sualen Normen über die Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden, dass die bloße Veröf­fent­lichung des Dienst­ge­heim­nisses durch einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Geheimnisträger bezweckten Veröf­fent­lichung des Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.

c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit gewährleisteten Schutz der Redak­ti­o­ns­arbeit unter Einschluss des Infor­man­ten­schutzes. Die Anordnung erfolgte in einer Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der Veröf­fent­lichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen Informanten aus dem Bundes­kri­mi­nalamt ermöglichen.

II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlag­nah­me­be­stä­tigung gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwer­de­führer in seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Angesichts der schwer wiegenden Beein­träch­ti­gungen der Pressefreiheit musste es dem Beschwer­de­führer ermöglicht werden, die Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts

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