15.11.2024
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Dokument-Nr. 3155

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Beschluss23.08.2006Bundesverfassungsgericht1 BvR 476/04
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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.08.2006

BVerfG stärkt Recht ausländischer Eltern auf Rückkehr ihres zu Behand­lungs­zwecken nach Deutschland eingereisten Kindes

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Rechte ausländischer Eltern gestärkt, die ihr Kind in Deutschland medizinisch behandeln lassen. Ein afghanischer Vater hatte mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde Erfolg, der seine 1999 in Deutschland operierte Tochter wieder zurückholen will.

Der in Afghanistan lebende Beschwer­de­führer ist afghanischer Staats­an­ge­höriger und Vater einer 1992 geborenen Tochter. Das Kind wurde 1999 auf Vermittlung einer humanitären ärztlichen Vereinigung wegen einer Verletzung und Folge­er­kran­kungen zur Behandlung nach Deutschland geflogen. In der Folgezeit lebte das Kind bei Gasteltern. Auf deren Antrag hin ordnete das Oberlan­des­gericht an, dass das Mädchen bis Ende des Jahres 2006 dort verbleibe. Zur Begründung führte das Gericht auf der Grundlage eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens aus, dass eine Herausnahme des Kindes aus der Gastfamilie zum Zwecke der Rückführung zu seinen leiblichen Eltern das Kind in eine Belas­tungs­si­tuation bringen würde, die zu einer Kindes­wohl­ge­fährdung führe. Die gegen diese – zwischen­zeitlich aufgehobene – Entscheidung gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde des Vaters des Kindes war erfolgreich. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat festgestellt, dass die Entscheidung das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt hat.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Annahme der Verfas­sungs­be­schwerde ist trotz der zwischen­zeit­lichen Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zur Durchsetzung des Elternrechts geboten. Hätte diese Entscheidung Bestand, so könnten Dritte vom Gebrauch ihres Elternrechts abgehalten werden. Es stünde zu besorgen, dass im Ausland lebende Eltern ihre Kinder jedenfalls deutlich seltener im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen zu Behand­lungs­zwecken nach Deutschland einreisen lassen, weil sie befürchten müssten, dass ihnen ihr Kind selbst bei verant­wor­tungs­vollem Erzie­hungs­ver­halten entzogen wird.

Das Oberlan­des­gericht hat die Bedeutung des Elternrechts des Beschwer­de­führers verkannt. Allein aus dem Umstand, dass das Kind von einer Gastfamilie aufgenommen wurde, ergibt sich noch kein Pflege­ver­hältnis im rechtlichen Sinn. Darüber hinaus ist die Gestaltung des Verfahrens verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden. Das Gericht hat den afghanischen, mit dem deutschen Rechtssystem offensichtlich nicht vertrauten und nicht anwaltlich vertretenen Beschwer­de­führer weder zu den Lebens­ver­hält­nissen der Herkunfts­familie und zu den persönlichen Lebens­per­spektiven des Kindes in seinem Heimatland befragt noch anderweitig – etwa durch Einholung eines Berichts des Internationalen Sozialdienstes – hierzu Ermittlungen veranlasst. Zudem wäre eine Eltern- Kind-Exploration durch die Sachverständige erforderlich gewesen, um die Bindungen des Kindes zu seinen leiblichen Eltern verlässlich beurteilen zu können.

Im derzeit bei ihm anhängigen Abände­rungs­be­schwer­de­ver­fahren wird sich das Oberlan­des­gericht auch damit ausein­an­der­zu­setzen haben, dass ausweislich der Stellungnahme des Landes Nordrhein-Westfalen ein Verbleiben des Kindes in Deutschland nach Vollendung seines 18. Lebensjahres nicht gesichert ist. Insofern wird zu prüfen sein, ob es dem Kind bei zeitnaher Rückführung nach Afghanistan leichter fallen könnte, sich wieder in Afghanistan zu integrieren als im Erwach­se­ne­nalter.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 86/06 des BVerfG vom 29.09.2006

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