18.10.2024
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Dokument-Nr. 9318

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Beschluss02.02.2010Bundesverfassungsgericht1 BvR 369/04, 1 BvR 370/04, 1 BvR 371/04
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Bundesverfassungsgericht Beschluss02.02.2010

BVerfG: Verurteilungen wegen Volksverhetzung verstoßen gegen Meinungs­freiheitVorhandensein einer Menschen­wür­de­ver­letzung nicht ausreichend begründet

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat drei straf­ge­richtliche Verurteilungen wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b StGB aufgehoben und die Sachen an das Ausgangsgericht zurückverwiesen.

Im zugrunde liegenden Fall waren die Beschwer­de­führer vom Amtsgericht Augsburg wegen des öffentlichen Anschlagens volks­ver­het­zender Schriften in Form des Angriffs auf die Menschenwürde durch böswilliges Verächt­lich­machen eines Teils der Bevölkerung zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie als Mitglieder des Vereins „Augsburger Bündnis - Nationale Opposition“ für eine im Juni 2002 durchgeführte Aktionswoche großformatige Plakate mit der folgenden Aufschrift entworfen und gestaltet hatten:

Aktion Auslände-Rrückführung

Aktionswochen 3. Juni - 17. Juni 2002

Für ein lebenswertes deutsches Augsburg

Augsburger Bündnis - Nationale Opposition

Beschwer­de­führer berufen sich auf ihr Recht auf Meinungs­freiheit

Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben sämtlich erfolglos. Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden rügen die Beschwer­de­führer eine Verletzung ihres Grundrechts der Meinungsfreiheit durch die angegriffenen Entscheidungen.

Strafgerichte müssen genauer zwischen Verstoß gegen Menschenwürde und Recht auf Meinungs­freiheit abwägen

Nach Auffassung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts verstoßen die straf­ge­richt­lichen Verurteilungen gegen die Meinungs­freiheit aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 1GG. Die Strafgerichte müssen den Sinn einer zu beurteilenden Äußerung zutreffend erfassen und zudem auf der Ebene der Auslegung grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Meinungs­freiheit und dem durch die Meinungs­freiheit beein­träch­tigten Rechtsgut vornehmen. Zwar muss gegenüber der Menschenwürde das Grundrecht der Meinungs­freiheit stets zurücktreten. Soweit aber angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts die Menschenwürde beeinträchtigt, ist eine besonders sorgfältige Begründung erforderlich. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Dem entspricht es, dass die Strafgerichte bei der Parole „Ausländer raus“ nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde ausgehen.

BVerfG beanstandet falsche Deutung der Plakataussagen durch das Landgericht

Diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügen die straf­ge­richt­lichen Verurteilungen nicht. Das Landgericht hat der Aussage auf dem Plakat einen Sinngehalt gegeben, den das Plakat aus sich allein heraus nicht hat und der auch nicht anderweitig durch die übrigen Ausführungen des Landgerichts in verfas­sungs­rechtlich tragfähiger Weise begründet wird. In dem von den Beschwer­de­führern entworfenen Plakat wird nicht die Minder­wer­tigkeit von Ausländern ausgesprochen wie zum Beispiel durch die pauschale Zuschreibung sozial unerträglicher Verhal­tens­weisen oder Eigenschaften. Eine solche Zuschreibung ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung „Ausländer“ in dem Wort „Ausländer Rück-Führung“, das dem Begriffspaar „deutsches Augsburg“ und „lebenswert“ gegen­über­ge­stellt wird. Die Worte „Aktion Auslän­der­rü­ck­führung“ sagen dies ebenfalls nicht aus. Zwar macht das Plakat unmiss­ver­ständlich deutlich, dass die Initiative der Beschwer­de­führer Ausländer „rückführen“ will. Der Umfang und die Mittel, ob nun beispielsweise durch Anreiz oder Zwang, werden jedoch nicht benannt. Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden. Um zu einer diesbezüglichen Deutung des Plakates zu gelangen, hätte das Landgericht konkrete Begleitumstände benennen müssen, die dieses als unter den Umständen einzig vernünftige Deutung hinreichend begründen. Derartige Begleitumstände sind aus den Ausführungen des Landgerichts nicht ersichtlich.

Plakattext stellt keine Menschen­wür­de­ver­letzung dar

Das Landgericht hat auch auf eine Abwägung der wider­strei­tenden Belange verzichtet, ohne diesen Verzicht zu begründen. Die bloße Behauptung, dass der Plakattext mehr sei als eine Äußerung, die lediglich emotionale Ablehnung ausdrücke, sowie das Abstellen darauf, dass sich der Angriff nicht nur gegen einzelne Persön­lich­keits­rechte richte, sondern undifferenziert sei, weil er sich auf alle in Augsburg lebenden Ausländer beziehe, tragen die Qualifizierung des Plakattextes als Menschen­wür­de­ver­letzung nicht. Ausgehend von dem Erfordernis einer besonders sorgfältigen Prüfung für die Annahme einer Menschen­wür­de­ver­letzung darf aus der Pauschalität einer verbalen Attacke nicht ohne weiteres auf ein Verächt­lich­machen geschlossen werden, das den Betroffenen ihre Anerkennung als Person abspricht.

Feststellung der Menschen­wür­de­ver­letzung des OLG ebenfalls unzureichend begründet

Auch die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die im Wesentlichen die Entscheidung des Landgerichts nur bestätigt, genügt den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht, da es sich in einem einzigen Satz mit der Feststellung begnügt hat, dass ein Angriff auf die Menschenwürde vorliege, ohne dies näher zu begründen.

Quelle: ra-online, BVerfG

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