15.11.2024
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Urteil13.12.2000Bundesverfassungsgericht1 BvR 335/97
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Bundesverfassungsgericht Urteil13.12.2000

Singu­la­r­zu­lassung: BVerfG erklärt § 25 BRAO für verfas­sungs­widrig

Der Erste Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2000 § 25 der Bundes­rechts­an­walts­ordnung (BRAO) für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Bis Juni 2002 gilt die Vorschrift aber übergangsweise weiter.

Der beschwer­de­führende Rechtsanwalt aus Münster hatte geltend gemacht, das beim OLG Hamm bestehende Prinzip der Singu­la­r­zu­lassung verletze ihn in seiner Berufs­aus­übungs­freiheit und verstoße gegen den Gleichheitssatz. Er strebt an, neben der Zulassung am Amtsgericht und Landgericht eine Zulassung am Oberlan­des­gericht zu erhalten.

Das BVerfG hat die die Singu­la­r­zu­lassung regelnde Norm für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt. Die Verfas­sungs­be­schwerde (Vb) gegen die Entscheidungen, mit denen dem Beschwer­de­führer (Bf) die Zulassung beim Oberlan­des­gericht (OLG) verweigert worden war, hat es jedoch zurückgewiesen.

Zur Begründung führt der Erste Senat im Wesentlichen aus:

1. § 25 BRAO enthält eine Berufs­aus­übungs­re­gelung, denn er schreibt vor, dass ein beim OLG zugelassener Rechtsanwalt nicht gleichzeitig an anderen Gerichten zugelassen sein kann. Diese Regelung verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Es ist schon zweifelhaft, ob sie durch hinreichend gewichtige Gemein­wohl­belange gerechtfertigt ist; jedenfalls fehlt es an ihrer Erfor­der­lichkeit.

Das Gericht stellt dar, aus welchen Gründen der Gesetzgeber 1959 in den Ländern, in denen sich vor oder nach dem 2. Weltkrieg an einigen Orten die Simul­tan­zu­lassung herausgebildet hatte, Ausnahmen zuließ, im übrigen aber die traditionelle Singu­la­r­zu­lassung gesetzlich festgelegt hat. Ein Großteil der damals für die Singu­la­r­zu­lassung sprechenden Gründe ist jedoch zwischen­zeitlich durch geänderte rechtliche und tatsächliche Umstände weggefallen. So ist durch den Fortschritt auf dem Gebiet der Telekom­mu­ni­kation die Erreichbarkeit der Rechtsanwälte durch Handy, Fax, E-Mail usw. in weitaus größerem Umfang gewährleistet als bei In-Kraft-Treten der Regelung. Die inhaltliche Spezialisierung von Rechtsanwälten ist mittlerweile durch die größere Verbreitung von Fachanwälten fortgeschritten, ohne dass dies vom Prinzip der Singu­la­r­zu­lassung gefördert worden wäre. Dem hat der Gesetzgeber auch dadurch Rechnung getragen, dass er den bei den LG zugelassenen Rechtsanwälten seit dem 1. Januar 2000 gestattet, vor allen Gerichten im Bundesgebiet aufzutreten und nicht nur bei den Gerichten ihrer Zulassung. Die geänderten rechtlichen Möglichkeiten der BRAO machen zudem die Bildung größerer Kanzleien und dadurch arbeitsteiliges Arbeiten der Anwälte möglich und üblicher.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber das Vier-Augen-Prinzip (d.h. den aus der Singu­la­r­zu­lassung folgenden Umstand, dass in der zweiten Instanz ein neuer Rechtsanwalt die Erfolgs­aus­sichten prüft) für die Rechtsanwälte aus Staaten der EU verpflichtend vorgesehen, ohne dies an das Institut der Singu­la­r­zu­lassung zu knüpfen. Ob selbiges zu einer besseren Qualität der Rechtspflege führt, hat letztlich auch der Gesetzgeber selbst offengelassen, indem er es nicht einheitlich für alle OLG-Anwälte vorgeschrieben hat.

Die Zweifel des Gesetzgebers an der Eignung und Erfor­der­lichkeit der Singu­la­r­zu­lassung als Mittel zugunsten einer qualitativen Verbesserung der Rechtspflege werden durch die in der Bundesrepublik insgesamt gewonnenen Erfahrungen bestärkt. Die Singu­la­r­zu­lassung ist zur Erreichung der gesetz­ge­be­rischen Ziele nicht mehr erforderlich und verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Dies zeigt sich bereits an den Erfahrungen in den Ländern, in denen seit je her oder in jüngerer Zeit die Simul­tan­zu­lassung möglich ist. Defizite in der Rechtspflege sind in diesen Ländern nicht aufgetreten. Spezialisierte Rechtsanwälte, Fachanwälte und Mischsozietäten gibt es auch dort. Vorteile für die Rechtspflege durch die Singu­la­r­zu­lassung sind jedenfalls nicht offenkundig. Zwar ist im Verfahren deutlich geworden, dass dieses System dort, wo es gilt, von den beteiligten Richtern geschätzt wird. Dem steht aber eine wesentliche Einschränkung für die Mandanten gegenüber, die den erzwungenen Wechsel des Anwalts häufig ablehnen und in Gebieten der Singu­la­r­zu­lassung auch umgehen. Beschränkungen der Berufsausübung müssen aber dem Umstand Rechnung tragen, dass Rechtsanwälte vor allem ihren Mandanten als Berater und Vertreter verpflichtet sind.

Schränkt der Gesetzgeber über Jahre die berufliche Freiheit in einem Teilgebiet Deutschlands ein, ohne dass sich in Gebieten größerer Berufs­aus­übungs­freiheit Fehlent­wick­lungen oder in Gebieten eingeschränkter Berufs­aus­übungs­freiheit besondere Vorteile ergeben, so steht damit fest, dass die Einschränkung nicht erforderlich ist.

2. Das Gericht ordnet an, dass in Gebieten, in denen bisher § 25 BRAO galt, dieser noch bis zum 30. Juni 2002 weiter anzuwenden ist, da die betroffenen Rechtsanwälte einer gewissen Anpassungszeit bedürfen. Aus diesem Grunde wird auch der Bf mit seinem Begehren erst zur Jahresmitte 2002 Erfolg haben, so dass die Vb gegen die ablehnenden Entscheidungen zurückzuweisen ist. Das BVerfG hat jedoch zugleich angeordnet, dass ab 1. Januar 2002 bisher singular bei den OLG zugelassene Rechtsanwälte auf ihren Antrag zugleich bei den für den Sitz der Kanzlei zuständigen Amts- und Landgerichten zugelassen werden können.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 157/2000 des BVerfG vom 13.12.2000

der Leitsatz

Die Regelung über die Singu­la­r­zu­lassung von Rechtsanwälten bei den Oberlan­des­ge­richten in § 25 der Bundes­rechts­an­walts­ordnung ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.

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