Dokument-Nr. 734
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Bundesverfassungsgericht Urteil13.12.2000
Singularzulassung: BVerfG erklärt § 25 BRAO für verfassungswidrig
Der Erste Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2000 § 25 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Bis Juni 2002 gilt die Vorschrift aber übergangsweise weiter.
Der beschwerdeführende Rechtsanwalt aus Münster hatte geltend gemacht, das beim OLG Hamm bestehende Prinzip der Singularzulassung verletze ihn in seiner Berufsausübungsfreiheit und verstoße gegen den Gleichheitssatz. Er strebt an, neben der Zulassung am Amtsgericht und Landgericht eine Zulassung am Oberlandesgericht zu erhalten.
Das BVerfG hat die die Singularzulassung regelnde Norm für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt. Die Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die Entscheidungen, mit denen dem Beschwerdeführer (Bf) die Zulassung beim Oberlandesgericht (OLG) verweigert worden war, hat es jedoch zurückgewiesen.
Zur Begründung führt der Erste Senat im Wesentlichen aus:
1. § 25 BRAO enthält eine Berufsausübungsregelung, denn er schreibt vor, dass ein beim OLG zugelassener Rechtsanwalt nicht gleichzeitig an anderen Gerichten zugelassen sein kann. Diese Regelung verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Es ist schon zweifelhaft, ob sie durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange gerechtfertigt ist; jedenfalls fehlt es an ihrer Erforderlichkeit.
Das Gericht stellt dar, aus welchen Gründen der Gesetzgeber 1959 in den Ländern, in denen sich vor oder nach dem 2. Weltkrieg an einigen Orten die Simultanzulassung herausgebildet hatte, Ausnahmen zuließ, im übrigen aber die traditionelle Singularzulassung gesetzlich festgelegt hat. Ein Großteil der damals für die Singularzulassung sprechenden Gründe ist jedoch zwischenzeitlich durch geänderte rechtliche und tatsächliche Umstände weggefallen. So ist durch den Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation die Erreichbarkeit der Rechtsanwälte durch Handy, Fax, E-Mail usw. in weitaus größerem Umfang gewährleistet als bei In-Kraft-Treten der Regelung. Die inhaltliche Spezialisierung von Rechtsanwälten ist mittlerweile durch die größere Verbreitung von Fachanwälten fortgeschritten, ohne dass dies vom Prinzip der Singularzulassung gefördert worden wäre. Dem hat der Gesetzgeber auch dadurch Rechnung getragen, dass er den bei den LG zugelassenen Rechtsanwälten seit dem 1. Januar 2000 gestattet, vor allen Gerichten im Bundesgebiet aufzutreten und nicht nur bei den Gerichten ihrer Zulassung. Die geänderten rechtlichen Möglichkeiten der BRAO machen zudem die Bildung größerer Kanzleien und dadurch arbeitsteiliges Arbeiten der Anwälte möglich und üblicher.
Im Übrigen hat der Gesetzgeber das Vier-Augen-Prinzip (d.h. den aus der Singularzulassung folgenden Umstand, dass in der zweiten Instanz ein neuer Rechtsanwalt die Erfolgsaussichten prüft) für die Rechtsanwälte aus Staaten der EU verpflichtend vorgesehen, ohne dies an das Institut der Singularzulassung zu knüpfen. Ob selbiges zu einer besseren Qualität der Rechtspflege führt, hat letztlich auch der Gesetzgeber selbst offengelassen, indem er es nicht einheitlich für alle OLG-Anwälte vorgeschrieben hat.
Die Zweifel des Gesetzgebers an der Eignung und Erforderlichkeit der Singularzulassung als Mittel zugunsten einer qualitativen Verbesserung der Rechtspflege werden durch die in der Bundesrepublik insgesamt gewonnenen Erfahrungen bestärkt. Die Singularzulassung ist zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele nicht mehr erforderlich und verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Dies zeigt sich bereits an den Erfahrungen in den Ländern, in denen seit je her oder in jüngerer Zeit die Simultanzulassung möglich ist. Defizite in der Rechtspflege sind in diesen Ländern nicht aufgetreten. Spezialisierte Rechtsanwälte, Fachanwälte und Mischsozietäten gibt es auch dort. Vorteile für die Rechtspflege durch die Singularzulassung sind jedenfalls nicht offenkundig. Zwar ist im Verfahren deutlich geworden, dass dieses System dort, wo es gilt, von den beteiligten Richtern geschätzt wird. Dem steht aber eine wesentliche Einschränkung für die Mandanten gegenüber, die den erzwungenen Wechsel des Anwalts häufig ablehnen und in Gebieten der Singularzulassung auch umgehen. Beschränkungen der Berufsausübung müssen aber dem Umstand Rechnung tragen, dass Rechtsanwälte vor allem ihren Mandanten als Berater und Vertreter verpflichtet sind.
Schränkt der Gesetzgeber über Jahre die berufliche Freiheit in einem Teilgebiet Deutschlands ein, ohne dass sich in Gebieten größerer Berufsausübungsfreiheit Fehlentwicklungen oder in Gebieten eingeschränkter Berufsausübungsfreiheit besondere Vorteile ergeben, so steht damit fest, dass die Einschränkung nicht erforderlich ist.
2. Das Gericht ordnet an, dass in Gebieten, in denen bisher § 25 BRAO galt, dieser noch bis zum 30. Juni 2002 weiter anzuwenden ist, da die betroffenen Rechtsanwälte einer gewissen Anpassungszeit bedürfen. Aus diesem Grunde wird auch der Bf mit seinem Begehren erst zur Jahresmitte 2002 Erfolg haben, so dass die Vb gegen die ablehnenden Entscheidungen zurückzuweisen ist. Das BVerfG hat jedoch zugleich angeordnet, dass ab 1. Januar 2002 bisher singular bei den OLG zugelassene Rechtsanwälte auf ihren Antrag zugleich bei den für den Sitz der Kanzlei zuständigen Amts- und Landgerichten zugelassen werden können.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 13.12.2000
Quelle: Pressemitteilung Nr. 157/2000 des BVerfG vom 13.12.2000
der Leitsatz
Die Regelung über die Singularzulassung von Rechtsanwälten bei den Oberlandesgerichten in § 25 der Bundesrechtsanwaltsordnung ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.
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