23.11.2024
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Dokument-Nr. 12794

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Beschluss30.11.2011Bundesverfassungsgericht1 BvR 3269/08; 1 BvR 656/10
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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.11.2011

Rundfunk­ge­büh­ren­be­freiung auch bei Bezug von Hartz IV-ZuschlägenZur Gleich­be­handlung bei der Befreiung von Rundfunk­ge­bühren

Empfänger von Hartz IV-Leistungen, die einen geringfügigen Zuschlag bekommen, haben einen Anspruch darauf, von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht befreit zu werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Zuschlag geringer ist als die zu zahlenden Rundfunk­ge­bühren, weil ansonsten die Leistungs­emp­fänger zur Zahlung der Differenz auf den Regelsatz des Arbeits­lo­sen­geldes II zurückgreifen müssten. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat sich in den vorliegenden Verfahren mit der Frage befasst, ob und wie eine Gleich­be­handlung der Empfänger von Sozia­l­leis­tungen bzw. von niedrigen Einkünften bei der Befreiung von Rundfunk­ge­bühren von Verfassungs wegen zu gewährleisten ist. Die Beschwer­de­führerin in den Verfahren 1 BvR 3269/08 und 1 BvR 656/10 erhielt für sich und ihre minderjährige Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem SGB II sowie einen befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II, der teilweise geringer war als die zu zahlenden Rundfunk­ge­bühren. § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Rundfunk­ge­büh­ren­staats­vertrags (RGebStV) sieht eine Befreiung von den Rundfunk­ge­bühren generell nur für diejenigen Empfänger von Sozia­l­leis­tungen nach dem SGB II vor, die keinen solchen Zuschlag erhalten. Die Rundfunkanstalt lehnte daher die wiederholt für verschiedene Zeiträume gestellten Anträge der Beschwer­de­führerin auf Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht ab.

Die von den Beschwer­de­führern jeweils erhobenen Klagen hatten vor den Fachgerichten keinen Erfolg, weil keiner der Befrei­ung­s­tat­be­stände und auch kein besonderer Härtefall nach § 6 Abs. 3 RGebStV vorliege. Nach Zustellung der gegen die behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen eingelegten Verfas­sungs­be­schwerden der Beschwer­de­führer hat die Rundfunkanstalt beide Beschwer­de­führer rückwirkend von den Rundfunk­ge­bühren befreit, woraufhin diese die Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren jeweils für erledigt erklärt haben.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat auf Antrag der Beschwer­de­führer jeweils entschieden, dass das Land ihnen die in den Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat. Die Ausla­ge­n­er­stattung entspricht der Billigkeit, weil die Verfas­sungs­be­schwerden vor ihrer Erledigung Aussicht auf Erfolg hatten.

Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beschwer­de­führerin in den Verfahren 1 BvR 3269/08 und 1 BvR 656/10 wird als Empfängerin eines Zuschlages zum Arbeits­lo­sengeld II gegenüber solchen Empfängern von Arbeits­lo­sengeld II, die keinen derartigen Zuschlag erhalten, schlechter gestellt, weil diese im Gegensatz zu ihr nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV auf Antrag von den Rundfunk­ge­bühren befreit sind. Diese Ungleich­be­handlung war jedenfalls in dem Zeitraum nicht gerechtfertigt, in dem der Zuschlag geringer war als die zu zahlenden Rundfunk­ge­bühren, weil die Beschwer­de­führerin zur Zahlung der Differenz auf den Regelsatz des Arbeits­lo­sen­geldes II zurückgreifen musste.

Die Ungleich­be­handlung ist nicht aus dem Gesichtspunkt der Verwal­tung­s­prak­ti­ka­bilität gerechtfertigt. Die mit der Generalisierung und Pauschalierung in § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV verbundene Härte für die Empfänger von Arbeits­lo­sengeld II mit Zuschlag lässt sich ohne erhebliche verwal­tungs­tech­nische Schwierigkeiten beseitigen. Denn die Rundfunkanstalt könnte anhand des Bescheides über die Bewilligung der Sozia­l­leis­tungen ohne eigene Einkom­men­s­er­mittlung und ohne großen Berech­nungs­aufwand eine Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht in der Höhe erteilen, in der die Rundfunk­ge­bühren den Zuschlag übersteigen. Darüber hinaus liegt für die Beschwer­de­führerin ein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor. Zwar war der von ihr zu leistende Differenzbetrag nicht sehr hoch, er stellte aber eine intensive Belastung der Beschwer­de­führerin dar, da ihr für ihre Lebensführung lediglich die vom Gesetzgeber zur Deckung des Existenz­mi­nimums konzipierten Regelleistungen nach dem SGB II zur Verfügung standen und deshalb das Fehlen nur geringer Beträge eine spürbare Belastung darstellt.

Die Anwendung des Rundfunk­ge­büh­ren­staats­ver­trages durch die Fachgerichte ist daher mit dem Gleichheitssatz nicht mehr vereinbar, ohne dass der Rundfunk­ge­büh­ren­staats­vertrag selbst verfas­sungs­widrig wäre. Denn die Vorschrift des § 6 Abs. 3 RGebStV, der in besonderen Härtefällen eine Befreiung von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht vorsieht, schafft die Möglichkeit, auch diejenigen Empfänger von Arbeits­lo­sengeld II mit Zuschlag in dem Umfang, in dem die Rundfunk­ge­bühren den Zuschlag übersteigen, von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht zu befreien, obwohl die Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV nicht vorliegen. Ebenso erlaubt die Härte­fa­ll­re­gelung diejenigen Personen teilweise von den Rundfunk­ge­bühren zu befreien, die zwar keine Sozia­l­leis­tungen i. S. d. Befrei­ung­s­tat­be­standes beziehen, deren Einkommen die Regelsätze aber nur geringfügig übersteigt, so dass der übersteigende Betrag die Rundfunk­ge­bühren nicht abdeckt.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht (pm/pt)

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