15.11.2024
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Dokument-Nr. 13375

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Bundesverfassungsgericht Beschluss23.03.2012

Verfas­sungs­be­schwerde gegen Maßnahmen zur Aufarbeitung und Wieder­gut­machung von Missständen in der Heimerziehung in Westdeutschland erfolglosBeschwer­de­führer wird zunächst an Fachgerichte verwiesen

Angestoßen durch Petitionen ehemaliger Heimkinder setzte der Deutsche Bundestag im Dezember 2008 einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Westdeutschland zwischen 1949 und 1975 ein. In seinem Abschluss­bericht führt der Runde Tisch aus, es sei in westdeutschen Heimen „zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen [...], die auch nach damaliger Rechtslage und deren Auslegung nicht mit dem Gesetz und auch nicht mit pädagogischen Überzeugungen vereinbar waren.“ Im Rahmen des Runden Tisches und in der anschließenden parla­men­ta­rischen Ausein­an­der­setzung wurde auch diskutiert, wegen des erlittenen Unrechts pauschalierte Entschä­di­gungs­ansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen. Dieser Vorschlag setzte sich nicht durch. Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag, im Rahmen einer Fonds-Lösung Hilfen zur Milderung der Folgeschäden der Heimerziehung in Westdeutschland zu gewähren, die größtenteils als Sachleistungen erbracht werden sollen. Zur Umsetzung dieses Beschlusses errichteten der Bund, die westdeutschen Bundesländer und die evangelische und katholische Kirche einen Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“, der ausschließlich für die Heimerziehung in Westdeutschland zuständig ist und der zum 1. Januar 2012 seine Arbeit aufgenommen hat.

Der 1952 geborene Beschwer­de­führer wurde bereits als Säugling von seiner Mutter getrennt und lebte bis 1966 in verschiedenen westdeutschen Kinderheimen. Er wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 7. Juli 2011 und gegen verschiedene Regelungen zum Fonds Heimerziehung. Er sei während seiner Heimun­ter­bringung zahlreichen Grund­rechts­ver­stößen ausgesetzt gewesen und ist der Ansicht, die öffentliche Hand sei verfas­sungs­rechtlich verpflichtet, wegen der Grund­rechts­ver­let­zungen, die ihm und anderen ehemaligen Heimkindern während ihrer Kindheit und Jugend zugefügt worden seien, finanzielle Entschä­di­gungs­leis­tungen zu gewähren.

Verfas­sungs­be­schwerde vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht zur Entscheidung angenommen

Der Nichtzulassung durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist in weiten Teilen unzulässig. Sie ist insbesondere unzulässig, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages richtet, keine zusätzlichen Entschä­di­gungs­ansprüche für die ehemaligen Heimkinder zu schaffen. Insoweit wahrt sie den Grundsatz der Subsidiarität des verfas­sungs­ge­richt­lichen Rechtsschutzes nicht.

Entschädigungs- und Staats­haf­tungs­ansprüche bereits im einfachen Recht enthalten

Das einfache Recht enthält bereits Entschädigungs- und insbesondere Staats­haf­tungs­ansprüche, die auch die vom Beschwer­de­führer genannten Rechts­ver­let­zungen erfassen, so dass möglicherweise bereits die Geltendmachung dieser bestehenden Ansprüche zu einer Entschädigung für die erlittenen Rechts­ver­let­zungen geführt hätte. Erst auf der Grundlage der fachgerichtlich gesicherten Rechts- und Beweislage hätte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die weitreichende Frage der verfas­sungs­recht­lichen Notwendigkeit weiteren gesetz­ge­be­rischen Tätigwerdens sinnvoll überprüfen können.

Bereits eventuelle erfolglose gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche durch Beschwer­de­führer konnten nicht dargelegt werden

Der Beschwer­de­führer hat weder dargelegt, dass er erfolglos versucht habe, seine bereits bestehenden einfach­recht­lichen Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, noch ist ersichtlich, dass die Beschreitung des Rechtsweges hier von vornherein aussichtslos gewesen wäre. Zwar mag die Einschätzung des Runden Tisches zutreffen, dass viele Betroffene im Rahmen von Gerichts­ver­fahren konkrete Rechtsverstöße nur schwer nachweisen könnten. Das bestehende Recht ermöglicht es aber grundsätzlich, derartigen Beweis­schwie­rig­keiten durch eine grund­rechts­konforme Anwendung der Beweisregeln zu begegnen. So hätten die Fachgerichte berücksichtigen können, dass die Verantwortung für die Beweis­schwie­rig­keiten bei der Gegenseite, den damals für die Kinder und Jugendlichen verant­wort­lichen Personen und Institutionen, liegen kann und dass sich die Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer Heimun­ter­bringung und ihrer Minder­jäh­rigkeit in einer Situation besonderer Schutzlosigkeit und Ausge­lie­fertheit befanden, in der unmittelbarer Rechtsschutz nicht erreichbar war.

Im Übrigen sind die Regelungen zur Ausgestaltung des Fonds Heimerziehung verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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