18.10.2024
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Dokument-Nr. 17717

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Bundesverfassungsgericht Beschluss09.01.2014

Kein Ordnungsgeld wegen eines fehlenden Auf­sichts­rats­berichts bei nicht vorhandenem AufsichtsratVerfassungs­beschwerde gegen Ordnungsgeld wegen fehlenden Auf­sichts­rats­berichts erfolgreich

Verstößt eine Kapital­ge­sell­schaft gegen ihre Pflicht, einen Aufsichtsrat zu bilden, darf gegen sie nicht deswegen ein Ordnungsgeld verhängt werden, weil sie aufgrund des fehlenden Auf­sichts­rats­berichts ihre Pflicht zur Veröf­fent­lichung des Jahres­ab­schlusses verletzt habe. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht. Das Bestimmt­heitsgebot verlangt, den Ordnungs­widrig­keiten­tat­bestand nur auf Jahres­abschluss­unterlagen zu erstrecken, die nachträglich noch erstellt werden können; bei gänzlich fehlendem Aufsichtsrat ist das für den Aufsichts­rats­bericht nicht der Fall.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Verfahrens, eine GmbH, war nach dem Drittel­be­tei­li­gungs­gesetz verpflichtet, einen Aufsichtsrat zu bilden, was jedoch unterblieb. Unter den Jahres­ab­schluss­un­terlagen, die sie für das zum 30. September 2010 abgeschlossene Geschäftsjahr einreichte, befand sich deshalb kein Bericht des Aufsichtsrats. Das Bundesamt für Justiz setzte wegen Verstoßes gegen die Veröf­fent­li­chungs­pflicht ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500 Euro fest und drohte ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück.

BVerfG hebt Entscheidung des Landgerichts auf

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht führte bei seiner Entscheidung aus, dass das Landgericht bei der Auslegung und Anwendung des Ordnungs­wid­rig­kei­ten­tat­be­standes nach § 335 HGB das Bestimmt­heitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verletzt habe. Der Beschluss des Landgerichts wird daher aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Vorlage eines Aufsichts­rats­be­richts kann mangels bestehenden Aufsichtsrats nicht nachgeholt werden

Das strenge Bestimmt­heitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist hier sachlich anwendbar. Das Ordnungsgeld nach § 335 HGB hat einen Doppelcharakter als sanktionierende und erzwingende Maßnahme. Schon deswegen liegt es nahe, dass es nicht nur dem allgemeinen Bestimmt­heitsgebot, sondern auch den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen muss. Wenn - wie hier - nur ein sankti­o­nie­render Zweck verfolgt wird, steht dies außer Frage. Die Beschwer­de­führerin kann die Vorlage eines Aufsichts­rats­be­richts für das in Rede stehende Geschäftsjahr mangels bestehenden Aufsichtsrats substantiell nicht mehr nachholen. Mithin läuft die Beugefunktion des Ordnungsgeldes leer; es kann lediglich noch um die Sanktionierung für die Vergangenheit gehen.

Auslegung des Ordnungs­geld­tat­be­standes durch LG trägt Bestimmt­heitsgebot nicht hinreichend Rechnung

Die vom Landgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Auslegung des Ordnungs­geld­tat­be­standes trägt dem Bestimmt­heitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht hinreichend Rechnung. Art. 103 Abs. 2 GG setzt nicht nur der Tatbe­stand­s­er­gänzung, sondern auch der tatbe­stands­aus­wei­tenden Interpretation Grenzen. Das strikte Bestimmt­heitsgebot verlangt für strafrechtliche oder strafähnliche Normen, dass sie das Erlaubte klar vom Verbotenen abgrenzen; Tragweite und Anwen­dungs­bereich des Tatbestandes müssen für den Betroffenen klar erkennbar sein, sich zumindest durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck: Zum einen soll jeder vorhersehen können, welches Verhalten mit einer Sanktion bedroht ist. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber darüber entscheidet, welches Verhalten sanktionswürdig ist.

Auch ein nach Androhung oder Festsetzung eines Ordnungsgeldes gebildeter Aufsichtsrat kann keinen substanziellen Bericht mehr erstatten

Diesen Bestimmt­heits­an­for­de­rungen genügt das der Beschwer­de­ent­scheidung zugrunde gelegte Normverständnis des § 335 Abs. 3 HGB nicht. Zwar hat der Gesetzgeber handels­rechtlich ausdrücklich klargestellt, dass die Nichterfüllung von Pflichten, die der Offenlegung vorausgehen, dem Ordnungs­geld­ver­fahren nicht entgegensteht. Diese den Tatbestand öffnende Formulierung kann - sollen die Grenzen der Bestimmtheit gewahrt werden - allenfalls auf die unmittelbar mit der Erstellung von Berichten und Unterlagen zusam­men­hän­genden Pflichten bezogen werden. Nur auf diese Weise bleibt die Vorschrift noch abgrenzbar und in ihrer Tragweite vorhersehbar. Sie erstreckt sich dann ersichtlich nur auf Jahres­ab­schluss­un­terlagen, die - dem Zweck der Offen­le­gungs­pflicht folgend - noch erstellt werden können. Das ist bei der hier gegebenen Konstellation jedoch nicht der Fall. Selbst ein nach der Androhung oder Festsetzung des Ordnungsgeldes gebildeter Aufsichtsrat könnte keinen substanziellen Bericht mehr erstatten, sondern allenfalls feststellen, dass in der Berichtsperiode kein Aufsichtsrat bestanden hat und durch ihn deshalb keine Kontrolle ausgeübt werden konnte.

Sanktionierung bei Nichtbefolgung der Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats nicht vorgesehen

Ein hinreichend bestimmtes Normverständnis ergibt sich auch nicht aus einem Zusammenwirken mit den Vorschriften über die Aufsichts­rats­pflich­tigkeit von Unternehmen. Zur Bildung eines Aufsichtsrats war die Beschwer­de­führerin zwar verpflichtet. Bei Nichtbefolgung dieser Pflicht sehen aber weder das Drittel­be­tei­li­gungs­gesetz noch die entsprechend anzuwendenden Vorschriften des Aktiengesetzes eine Sanktionierung vor, sondern ein anderes, spezifisches Durch­set­zungs­pro­zedere: Der Gesetzgeber hat sich darauf beschränkt, unter anderem Arbeitnehmern, Betriebsrat und Gewerkschaften nach bestimmten Maßgaben die Antrags­be­rech­tigung zur Durchführung des für die Bildung eines Aufsichtsrats erforderlichen Status­ver­fahrens zuzuerkennen. Von diesen Möglichkeiten war hier aber kein Gebrauch gemacht worden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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