14.11.2024
14.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 3983

Drucken
Beschluss23.02.2007Bundesverfassungsgericht1 BvR 2368/06
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 65, 1Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 65, Seite: 1
  • DÖV 2007, 606Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2007, Seite: 606
  • DVBl 2007, 497Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2007, Seite: 497
  • IBR 2007, 1074Zeitschrift: Immobilien- und Baurecht (IBR), Jahrgang: 2007, Seite: 1074
  • NJW 2007, 2320Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2007, Seite: 2320
  • NVwZ 2007, 688Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2007, Seite: 688
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss23.02.2007

BVerfG stoppt Video­über­wachung - Städtische Video­über­wachung eines Kunstwerks entbehrt gesetzlicher GrundlageGrundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung wird verletzt

Öffentliche Einrichtungen dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen per Video überwacht werden. Es müsse ein hinreichender Anlass bestehen und die Überwachung sowie Aufzeichnung insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren, führte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aus.

Die Stadt Regensburg ließ 2005 über den Resten der ehemaligen mittel­al­ter­lichen Synagoge auf dem Neupfarrplatz ein Bodenrelief herstellen, das den Grundriss der ehemaligen Synagoge andeutet. Das Kunstwerk ist als Begeg­nungs­stätte für die Bevölkerung konzipiert. In der Vergangenheit kam es im Bereich des Kunstwerks zu mehreren Vorfällen, aufgrund derer die Stadt Regensburg eine Video­über­wachung des Ortes mit vier Überwa­chungs­kameras für erforderlich hielt. Die Stadt beabsichtigt, die Überwachung in eigener Zuständigkeit auf der Grundlage des Bayerischen Daten­schutz­ge­setzes durchzuführen. Gegen die geplante Video­über­wachung der Begeg­nungs­stätte erhob der Beschwer­de­führer Klage. Das Verwal­tungs­gericht wies die Klage ab. Hiergegen gerichtete Rechtsmittel blieben vor dem Bayerischen Verwal­tungs­ge­richtshof ohne Erfolg.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, da es für die geplante Video­über­wachung mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials an einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung fehle.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die geplante Video­über­wachung des Bodenkunstwerks mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht in seiner Ausprägung als Recht der infor­ma­ti­o­nellen Selbst­be­stimmung dar. Das durch die Video­über­wachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten, die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte Verhal­tens­weisen zeigen. Die offene Video­über­wachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme wird dadurch erhöht, dass infolge der Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden kann. Von den Personen, die die Begeg­nungs­stätte betreten, dürfte nur eine Minderheit gegen die Benut­zungs­satzung oder andere rechtliche Vorgaben, die sich aus der allgemeinen Rechtsordnung für die Benutzung der Begeg­nungs­stätte ergeben, verstoßen. Die Video­über­wachung und die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials erfassen daher überwiegend Personen, die selbst keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.

Angesichts des erheblichen Gewichts der Grund­rechts­be­ein­träch­tigung kann die geplante Video­über­wachung nicht auf Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 Bayerisches Daten­schutz­gesetz gestützt werden. Diese Normen enthalten keine hinreichenden Vorgaben für Anlass und Grenzen der erfassten datenbezogenen Maßnahmen, um als Ermäch­ti­gungs­grundlage für den beabsichtigten Grund­recht­s­eingriff in Betracht zu kommen. Sie begrenzen die Datenerhebung lediglich durch das Gebot der Erfor­der­lichkeit. Dies allein kann die behördliche Praxis aber nicht hinreichend anleiten oder Kontroll­maßstäbe bereitstellen.

Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine Video­über­wachung öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren Ermäch­ti­gungs­grundlage materiell verfas­sungsgemäß sein kann, wenn für sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss3983

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI