14.11.2024
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Dokument-Nr. 7646

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Beschluss20.02.2009Bundesverfassungsgericht1 BvR 2266/04 und 1 BvR 2620/05
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.02.2009

Erfolglose Verfas­sungs­be­schwerden eines Tierschutz­vereins gegen das Verbot einer auf einem Holocaust­ver­gleich aufbauenden Werbekampagne

Der Beschwer­de­führer, ein eingetragener Verein, ist die deutsche Repräsentanz der weltweiten Tierschut­z­or­ga­ni­sation "P.". Im März 2004 wollte der Beschwer­de­führer eine Werbekampagne unter dem Titel "Der Holocaust auf Ihrem Teller" beginnen. Dabei sollte unter anderem auf Plakatwänden jeweils ein Foto aus dem Bereich der Massen­tier­haltung neben einer Abbildung von lebenden oder toten Häftlingen von Konzen­tra­ti­o­ns­lagern aus der Zeit des Natio­nal­so­zi­a­lismus gezeigt werden. Die Darstellungen sollten jeweils mit einer kurzen Beschriftung versehen werden, die so angelegt war, dass sie vom Betrachter als auf beide Fotografien gleichermaßen bezogen angesehen werden musste. Die Kläger der Ausgangs­ver­fahren waren seinerzeit der Präsident und die Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, die als Kinder den Holocaust, dem ihre Familien teilweise zum Opfer fielen, überlebten. Sie beantragten beim Landgericht gegen den Beschwer­de­führer eine einstweilige Unter­las­sungs­ver­fügung, der entsprochen wurde. Die dagegen gerichtete Berufung des Beschwer­de­führers verwarf das Kammergericht. Die Kläger verfolgten ihr Unter­las­sungs­be­gehren sodann im Haupt­sa­che­ver­fahren erfolgreich weiter. Die eingelegte Berufung des Beschwer­de­führers gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts wies das Kammergericht mit Beschluss zurück.

Der Beschwer­de­führer griff sowohl die im Eilverfahren als auch die im Haupt­sa­che­ver­fahren ergangenen Entscheidungen mit der Verfas­sungs­be­schwerde an. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat beide Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Hinsichtlich des fachge­richt­lichen Haupt­sa­che­ver­fahrens hat sie darauf abgestellt, dass dem Beschwer­de­führer durch die Versagung einer Sachent­scheidung kein besonders schwerer Nachteil entsteht, weil deutlich abzusehen ist, dass er auch im Fall einer Zurück­ver­weisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.

Allerdings begegnet die Begründung, auf die das Landgericht und im Anschluss daran das Kammergericht den Unter­las­sungs­an­spruch der Kläger stützen, verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Die Gerichte gehen davon aus, dass die Kläger als frühere Verfolgte der natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gewalt­herr­schaft durch die Kampagne des Beschwer­de­führers in ihrer Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen seien. Infolge dieser Auffassung halten die Gerichte es nicht für erforderlich, die Rechte der Kläger einerseits und die Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers andererseits abwägend zueinander ins Verhältnis zu setzen.

Zwar gehen die Gerichte zu Recht davon aus, das maßgebliche verständige und unvor­ein­ge­nommene Publikum verstehe die Gegen­über­stellung der Fotografien dahingehend, dass das den abgebildeten Tieren zugefügte Leid als ebenso schwerwiegend wie das der daneben ins Bild gesetzten Menschen und beider Behandlung als gleichermaßen verwerflich hingestellt werde. Jedoch dürfte durch die so verstandene Äußerung weder unmittelbar die Menschenwürde der abgebildeten Menschen noch die der Kläger in der von den Fachgerichten angenommenen Weise verletzt sein mit der Folge, dass es auf eine weitere Abwägung nicht mehr ankommen würde. Es steht zwar außer Frage, dass die Fotografien der Holocaustopfer diese fast ausnahmslos in einer Situation zeigen, in der sie durch ihre Peiniger in höchstem Maße entwürdigt sind. Daraus, dass die Kampagne sich bildlicher Darstellungen schwerer Menschen­wür­de­ver­let­zungen bedient, folgt aber nicht ohne weiteres, dass sie auch ihrerseits bezogen auf die heute in Deutschland lebenden Juden erneut unmittelbar gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt.

Nach der sogenannten Objektformel des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts wird die Schwelle zur allgemeinen Verletzung der Menschenwürde dort überschritten, wo der Mensch einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt und daher Ausdruck der Verachtung des dem Menschen kraft seines Personseins zukommenden Wertes ist. Dies ist der angegriffenen Kampagne aber nicht eigen. Insbesondere wird den dargestellten Holocaustopfern nicht der personale Wert abgesprochen, indem sie in der vorliegenden Art und Weise leidenden Tieren gegen­über­ge­stellt werden. Mag auch der Beschwer­de­führer generell von der Gleich­wer­tigkeit menschlichen und tierischen Lebens überzeugt sein, so liegt in der geplanten Bildkampagne nach der von den Fachgerichten zugrunde gelegten Deutung keine verächtlich machende Tendenz. Als gleich gewichtig wird nämlich allein das Leiden dargestellt, das den abgebildeten Menschen und Tieren zugefügt wird.

Auch die weitere von den Fachgerichten angestellte Erwägung, der Beschwer­de­führer benutze das bildlich dargestellte leidvolle Schicksal der Holocaustopfer, das von den Klägern in gewissem Umfang geteilt wird, um auf das Anliegen des Beschwer­de­führers aufmerksam zu machen, trägt die Annahme eines Menschen­wür­de­ver­stoßes nicht. Denn auch dieser Indienstnahme der leidvollen Lebens­ge­schichte eines anderen Menschen ehlt es an dem Merkmal der prinzipiellen Objektivierung, also Verachtung des dem Menschen um seiner selbst willen zukommenden Wertes.

Indes braucht die Frage, ob die Gerichte vorliegend von einer Verletzung der Menschenwürde oder des ebenfalls keiner Abwägung zugänglichen Menschen­wür­dekerns des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts ausgehen durften, nicht abschließend entschieden zu werden, weil die Annahme der Verfas­sungs­be­schwerde unabhängig davon nicht angezeigt ist. Der den Klägern zugesprochene Unter­las­sungs­an­spruch lässt sich nämlich verfas­sungs­rechtlich tragfähig auch ohne den zweifelhaften Rekurs auf die absolut geschützte Menschenwürde begründen und den angegriffenen Entscheidungen ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Gerichte im Fall einer Zurück­ver­weisung zu keinem anderen Ergebnis kommen würden.

Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die angegriffenen Entscheidungen darauf abstellen, dass nicht nur nach der - empirischen - Mehrheits­meinung, sondern nach den Bestimmungen des Grundgesetzes ein kategorialer Unterschied zwischen menschlichem, würdebegabtem Leben und den Belangen des Tierschutzes besteht, und infolgedessen die Kampagne des Beschwer­de­führers als eine Bagatel­li­sierung und Banalisierung des Schicksals der Holocaustopfer bewerten. Dem so verstandenen Aussagegehalt der Werbekampagne durften die Gerichte auch eine Herabsetzung gerade der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens entnehmen, die deren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG berührt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat bereits entschieden, dass es keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken begegnet, wenn die Fachgerichte in der Leugnung der Judenverfolgung unter dem Natio­nal­so­zi­a­lismus eine schwere Persön­lich­keits­ver­letzung auch der heute lebenden Juden erblicken. Die Erwägung, dass es zum personalen Selbst­ver­ständnis der heute in Deutschland lebenden Juden gehöre, als zugehörig zu einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe begriffen zu werden, der gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen bestehe, und dass dieses Teil ihrer Würde sei, lässt sich auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen.

Namentlich die in den angegriffenen Entscheidungen bereits enthaltenen Ansätze zu einer Abwägung sprechen hinreichend deutlich dafür, dass die Gerichte im Fall einer Zurück­ver­weisung mit dieser Argumentation erneut zu einer Stattgabe gelangen würden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 29/2009 vom 26. März 2009 des Bundesverfassungsgerichts

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