Dokument-Nr. 3600
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.12.2006
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Versagung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage auf höheren KindesunterhaltGericht überspannte Anforderungen an Gewährung von Prozesskostenhilfe
Einem Vater, der als Koch eine Vollzeitstelle innehat und samstags Überstünden leistet, darf ein Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage auf Zahlung von höherem Kindesunterhalt nicht mit der Begründung abgelehnt werden, er müsse weitere Erwerbsbemühungen entfalten. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Der Beschwerdeführer ist Vater einer 17-jährigen Tochter, die im Haushalt ihrer Mutter lebt. Er hat zudem einen einjährigen Sohn, mit dem und mit dessen Mutter er zusammenlebt. Der Beschwerdeführer ist gelernter Koch, in diesem Beruf jedoch aufgrund einer Behinderung berufsunfähig. Nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit konnte er Mitte 2005 eine Arbeitsstelle als Lagerist annehmen, etwa 40 Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Der Beschwerdeführer arbeitet vollschichtig, zudem leistet er samstags Überstunden. Er wohnt im eigenen Haus, wobei er einen Kredit zu tilgen hat, dessen Kosten nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers unterhalb von Mietkosten für vergleichbaren Wohnraum liegen. Seiner Tochter zahlt der Beschwerdeführer einen monatlichen Unterhalt von 153 Euro. Als seine Tochter ihn auf höheren Kindesunterhalt mit Wirkung ab September 2005 verklagte, beantragte der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe und machte geltend, dass er finanziell nicht in der Lage sei, einen höheren Unterhalt zu zahlen. Das Amtsgericht wies den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Der Beschwerdeführer müsse auch nach Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit nebst Überstunden noch weitere Erwerbsbemühungen entfalten, um eine andere Arbeitsstelle mit höherer Entlohnung zu finden. Dabei sei er verpflichtet, sich bundesweit oder gar europaweit zu bewerben. Die Beschwerde wies das Oberlandesgericht zurück.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffenen Entscheidungen auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzten. Die Gerichte hätten die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechtsverfolgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, verfehlt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die pauschalierenden Feststellungen der Gerichte werden weder dem Charakter des Prozesskostenhilfeverfahrens als einem summarischen Verfahren, welches das Hauptsacheverfahren nicht ersetzen soll, noch den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass auch unter Berücksichtigung von § 10 SGB II, wonach von einem Erwerbslosen grundsätzlich eine Arbeitssuche im gesamten Bundesgebiet verlangt wird, die Familiengerichte verpflichtet sind, jedenfalls im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob eine bundesweite Arbeitsaufnahme dem Unterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung seiner persönlichen Bindungen, insbesondere seines Umgangsrechts mit seinen Kindern, sowie der Kosten der Ausübung dieses Umgangsrechts und der Umzugskosten zumutbar ist. Diese Anforderungen gelten nicht nur bei der Anrechnung fiktiver Einkünfte bei Erwerbslosen, sondern erst recht bei einem vollschichtig Erwerbstätigen, welcher zudem zur Erzielung seines Einkommens ungünstige Arbeitszeiten, einen weiten Anfahrtsweg und Überstunden an Samstagen in Kauf nimmt.
Auf die Problematik der Trennung des Beschwerdeführers von seiner Lebensgefährtin und seinem einjährigen Sohn gehen die angegriffenen Entscheidungen nicht ein. Es wird auch nicht angemessen gewürdigt, dass der Beschwerdeführer über längere Jahre hinweg arbeitslos gewesen ist und sich erfolglos um eine Erwerbsstelle bemüht hat. Dass der Beschwerdeführer eine besser dotierte Arbeitsstelle finden könnte, bedarf besonderer Begründung. Bei einem Abstellen auf Erwerbsmöglichkeiten im gesamten Bundesgebiet oder darüber hinaus wären – unabhängig von der Frage, ob ein Umzug aufgrund der persönlichen Bindungen zumutbar wäre – die dabei anfallenden Umzugskosten als ein die Leistungsfähigkeit mindernder Umstand in Betracht zu ziehen gewesen. Im Streit steht ein Unterhaltszeitraum von September 2005 bis zur Volljährigkeit des Kindes im August 2007, also von 24 Monaten. Es erscheint fraglich, ob dem Beschwerdeführer zugemutet werden kann, zur Herstellung seiner vollständigen Leistungsfähigkeit für diesen Zeitraum einen Umzug, die Trennung von seiner Familie und die mit der Annahme einer neuen Arbeitsstelle verbunden Unsicherheiten in Kauf zu nehmen. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im eigenen Haus wohnt und nach unwidersprochenem Vortrag mit Nebenkosten und Kreditraten in geringerem Umfang belastet ist, als es bei einer Mietwohnung der Fall wäre.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.01.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 1/2007 des BVerfG vom 05.01.2007
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