21.11.2024
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Beschluss14.12.2006Bundesverfassungsgericht1 BvR 2236/06
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.12.2006

Erfolgreiche Verfas­sungs­be­schwerde gegen Versagung von Prozess­kos­tenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage auf höheren KindesunterhaltGericht überspannte Anforderungen an Gewährung von Prozess­kos­tenhilfe

Einem Vater, der als Koch eine Vollzeitstelle innehat und samstags Überstünden leistet, darf ein Antrag auf Prozess­kos­tenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage auf Zahlung von höherem Kindesunterhalt nicht mit der Begründung abgelehnt werden, er müsse weitere Erwer­bs­be­mü­hungen entfalten. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Der Beschwer­de­führer ist Vater einer 17-jährigen Tochter, die im Haushalt ihrer Mutter lebt. Er hat zudem einen einjährigen Sohn, mit dem und mit dessen Mutter er zusammenlebt. Der Beschwer­de­führer ist gelernter Koch, in diesem Beruf jedoch aufgrund einer Behinderung berufsunfähig. Nach mehrjähriger Arbeits­lo­sigkeit konnte er Mitte 2005 eine Arbeitsstelle als Lagerist annehmen, etwa 40 Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Der Beschwer­de­führer arbeitet vollschichtig, zudem leistet er samstags Überstunden. Er wohnt im eigenen Haus, wobei er einen Kredit zu tilgen hat, dessen Kosten nach dem Vorbringen des Beschwer­de­führers unterhalb von Mietkosten für vergleichbaren Wohnraum liegen. Seiner Tochter zahlt der Beschwer­de­führer einen monatlichen Unterhalt von 153 Euro. Als seine Tochter ihn auf höheren Kindesunterhalt mit Wirkung ab September 2005 verklagte, beantragte der Beschwer­de­führer Prozess­kos­tenhilfe und machte geltend, dass er finanziell nicht in der Lage sei, einen höheren Unterhalt zu zahlen. Das Amtsgericht wies den Prozess­kos­ten­hil­feantrag zurück. Der Beschwer­de­führer müsse auch nach Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit nebst Überstunden noch weitere Erwer­bs­be­mü­hungen entfalten, um eine andere Arbeitsstelle mit höherer Entlohnung zu finden. Dabei sei er verpflichtet, sich bundesweit oder gar europaweit zu bewerben. Die Beschwerde wies das Oberlan­des­gericht zurück.

Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die angegriffenen Entscheidungen auf, da sie den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Rechts­schutz­gleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzten. Die Gerichte hätten die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechts­ver­folgung überspannt und dadurch den Zweck der Prozess­kos­tenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, verfehlt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die pauscha­lie­renden Feststellungen der Gerichte werden weder dem Charakter des Prozess­kos­ten­hil­fe­ver­fahrens als einem summarischen Verfahren, welches das Haupt­sa­che­ver­fahren nicht ersetzen soll, noch den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat klargestellt, dass auch unter Berück­sich­tigung von § 10 SGB II, wonach von einem Erwerbslosen grundsätzlich eine Arbeitssuche im gesamten Bundesgebiet verlangt wird, die Famili­en­ge­richte verpflichtet sind, jedenfalls im Haupt­sa­che­ver­fahren zu prüfen, ob eine bundesweite Arbeitsaufnahme dem Unter­halts­ver­pflichteten unter Berück­sich­tigung seiner persönlichen Bindungen, insbesondere seines Umgangsrechts mit seinen Kindern, sowie der Kosten der Ausübung dieses Umgangsrechts und der Umzugskosten zumutbar ist. Diese Anforderungen gelten nicht nur bei der Anrechnung fiktiver Einkünfte bei Erwerbslosen, sondern erst recht bei einem vollschichtig Erwerbstätigen, welcher zudem zur Erzielung seines Einkommens ungünstige Arbeitszeiten, einen weiten Anfahrtsweg und Überstunden an Samstagen in Kauf nimmt.

Auf die Problematik der Trennung des Beschwer­de­führers von seiner Lebensgefährtin und seinem einjährigen Sohn gehen die angegriffenen Entscheidungen nicht ein. Es wird auch nicht angemessen gewürdigt, dass der Beschwer­de­führer über längere Jahre hinweg arbeitslos gewesen ist und sich erfolglos um eine Erwerbsstelle bemüht hat. Dass der Beschwer­de­führer eine besser dotierte Arbeitsstelle finden könnte, bedarf besonderer Begründung. Bei einem Abstellen auf Erwer­bs­mög­lich­keiten im gesamten Bundesgebiet oder darüber hinaus wären – unabhängig von der Frage, ob ein Umzug aufgrund der persönlichen Bindungen zumutbar wäre – die dabei anfallenden Umzugskosten als ein die Leistungs­fä­higkeit mindernder Umstand in Betracht zu ziehen gewesen. Im Streit steht ein Unter­halts­zeitraum von September 2005 bis zur Volljährigkeit des Kindes im August 2007, also von 24 Monaten. Es erscheint fraglich, ob dem Beschwer­de­führer zugemutet werden kann, zur Herstellung seiner vollständigen Leistungs­fä­higkeit für diesen Zeitraum einen Umzug, die Trennung von seiner Familie und die mit der Annahme einer neuen Arbeitsstelle verbunden Unsicherheiten in Kauf zu nehmen. Hinzu kommt, dass der Beschwer­de­führer im eigenen Haus wohnt und nach unwider­spro­chenem Vortrag mit Nebenkosten und Kreditraten in geringerem Umfang belastet ist, als es bei einer Mietwohnung der Fall wäre.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 1/2007 des BVerfG vom 05.01.2007

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