15.11.2024
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Dokument-Nr. 5913

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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.01.1998

Titelseiten von Presse­er­zeug­nissen müssen nicht von Gegen­dar­stel­lungen oder Richtig­stel­lungen freigehalten werdenPrinzessin Caroline von Monaco und Franziska van Almsick beantragten Gegen­dar­stellung

Der Erste Senat des BVerfG hat entschieden, dass das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) nicht verlangt, Titelseiten von Presse­er­zeug­nissen von Gegen­dar­stel­lungen oder Richtig­stel­lungen freizuhalten.

Dem Verfahren lagen Verfas­sungs­be­schwerden der Heinrich Bauer Verlag KG gegen zivil­ge­richtliche Verurteilungen zugrunde, wonach die Beschwer­de­führerin verpflichtet worden war, eine von Prinzessin Caroline von Monaco beantragte Gegen­dar­stellung und eine u.a. von Franziska van Almsick beantragte Gegen­dar­stellung sowie Richtigstellung auf den Titelseiten der jeweiligen Zeitschrift abzudrucken.

I. Die Beschwer­de­führerin veröffentlichte im September 1993 in der Zeitschrift "Das Neue Blatt" einen Artikel über eine angeblich bevorstehende Hochzeit von Prinzessin Caroline von Monaco und die darauf bezogenen Vorbereitungen der Bewohner des Dorfes Saint Remy. Der Artikel war in der unteren Mitte der linken Spalte der Titelseite in unterschiedlich großen Schrifttypen als "Exklusiv-Reportage" wie folgt angekündigt:

"Exklusiv-Reportage Die Nachbarn proben schon fürs große Fest Caroline & Vincent Ganz Saint Remy freut sich: Das wird eine Märchenhochzeit."

Im Juli 1996 veröffentlichte die Beschwer­de­führerin in der Zeitschrift "das neue schnell und aktuell" einen Artikel über eine angeblich bevorstehende "Traumhochzeit" der Schwimm­s­portlerin Franziska van Almsick. Der Artikel war links oben unter dem Logo der Zeitschrift in unterschiedlich großen Schrifttypen wie folgt angekündigt:

"Dieses Glück ist ihr mehr wert als alle Medaillen Franzi van Almsick Traumhochzeit mit ihrem Freund Steffen"

In beiden Fällen wurde die Beschwer­de­führerin rechtskräftig verurteilt, von den Betroffenen beantragte Gegen­dar­stel­lungen auf der Titelseite der jeweiligen Zeitschrift abzudrucken.

In einem dritten Zivilverfahren wurde die Beschwer­de­führerin außerdem rechtskräftig verurteilt, eine von Franziska van Almsick und dem angeblichen Heirats­kan­didaten beantragte Richtigstellung ("...stellen wir fest, daß Franziska van Almsick und ... keine Heirats­ab­sichten haben") auf der Titelseite abzudrucken.

Gegen diese zivil­ge­richt­lichen Entscheidungen erhob die Beschwer­de­führerin Verfas­sungs­be­schwerde und rügte eine Verletzung der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

II. Der Erste Senat hat die Verfas­sungs­be­schwerde als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es u.a.:

Zwar ist die Beschwer­de­führerin durch die Entscheidungen in ihrem Grundrecht beeinträchtigt, sie verletzen die Pressefreiheit jedoch nicht.

Den Verurteilungen zur Gegen­dar­stellung liegt jeweils § 11 Hamburger Pressegesetz (HbgPrG) zugrunde. Dieser bestimmt u.a., daß die Gegen­dar­stellung in dem gleichen Teil des Druckwerks mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abzudrucken ist.

§ 11 HbgPrG ist ein die Pressefreiheit nicht unver­hält­nismäßig einschränkendes allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Die Vorschrift soll den Einzelnen vor Gefahren schützen, die ihm durch die Erörterung seiner persönlichen Angelegenheiten in der Presse drohen. Sie haben ihre Wurzel in der überlegenen Reichweite und Einflußkraft der Presse­be­rich­t­er­stattung, der der Betroffene, dem seine Angelegenheiten unzutreffend dargestellt scheinen, in der Regel nicht mit Aussicht auf dieselbe publizistische Wirkung entgegentreten kann. Dem Gesetzgeber obliegt daher eine aus dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht folgende Schutzpflicht, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf seine Indivi­du­al­sphäre zu schützen. Dazu gehört, daß der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtlich gesicherte Möglichkeit hat, ihr mit seiner eigenen Darstellung entge­gen­zu­treten.

Der Persön­lich­keits­schutz wird in § 11 HbgPrG auch nicht zu Lasten der Pressefreiheit überdehnt. Die Gegen­dar­stellung bleibt stets an eine Erstmitteilung in der Presse gebunden und ist auf Tatsa­chen­be­haup­tungen beschränkt.

Ferner begegnet es keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, daß der Anspruch auf Gegen­dar­stellung nicht das Vorliegen einer Ehrverletzung voraussetzt. Denn das Persön­lich­keitsbild einer Person kann auch durch Darstellungen beeinträchtigt werden, die ihre Ehre unberührt lassen.

Dasselbe gilt, soweit der Anspruch auf Gegen­dar­stellung nicht den Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung oder der Wahrheit der Gegen­dar­stellung voraussetzt. Die schnelle Verwirklichung des Entgeg­nungs­an­spruchs würde scheitern, wenn das Verfahren mit der Klärung der Wahrheitsfrage belastet wäre. Die Gegen­dar­stellung zwingt die Presse aber im Unterschied zu Widerruf und Richtigstellung nicht, von ihrer Sicht der Dinge abzurücken. Ferner läßt die Regelung Raum für eine Auslegung, nach der in Fällen offen­sicht­licher Unwahrheit der Gegen­dar­stellung ein berechtigtes Interesse an ihrem Abdruck verneint wird.

Schließlich ist der Gegen­dar­stel­lungs­an­spruch dadurch begrenzt, daß er nicht in Betracht kommt, soweit es um Tatsa­chen­be­haup­tungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persön­lich­keitsbild des Betroffenen auswirken können.

Die Verurteilung zur Richtigstellung stützt sich auf die §§ 823, 1004 BGB. Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, aufgrund dieser Normen demjenigen einen Berich­ti­gungs­an­spruch zuzubilligen, über den unwahre Tatsa­chen­be­haup­tungen verbreitet worden sind. Auch dieser Anspruch kann sich auf das verfas­sungs­rechtliche Persön­lich­keitsrecht stützen. Ohne daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist, schützt es ihn doch jedenfalls vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person und Beein­träch­ti­gungen seines Persön­lich­keits­bildes.

Der Persön­lich­keits­schutz überwiegt bei Anwendbarkeit dieses Anspruchs auf Presse­ver­öf­fent­li­chungen auch nicht unangemessen zu Lasten der Pressefreiheit. Der Anspruch greift nur dann ein, wenn die Tatsa­chen­be­hauptung sich als unwahr erwiesen hat und das Persön­lich­keitsrecht des Betroffenen weiterhin beeinträchtigt. Der Presse kann es zwar nicht verwehrt werden, nach sorgfältiger Recherche auch über Vorgänge oder Umstände zu berichten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröf­fent­lichung nicht mit Sicherheit feststeht. Anderenfalls könnte sie ihre Aufgabe, auf eine Klärung öffentlich bedeutsamer Vorgänge hinzuwirken, nicht erfüllen. Ebensowenig wie es einen recht­fer­ti­genden Grund gibt, an Behauptungen festzuhalten, deren Unwahrheit sich herausgestellt hat, ist aber ein recht­fer­ti­gender Grund erkennbar, derartige Behauptungen unberichtigt zu lassen, wenn sie die Rechte Dritter fortwirkend beeinträchtigen.

Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit hinreichend beachtet. Ihre Bedeutung wird auch nicht dadurch verkannt, daß Gegen­dar­stel­lungen und Berichtigungen auch auf der Titelseite von Presse­er­zeug­nissen angeordnet werden. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verlangt nicht, Titelblätter von Gegen­dar­stel­lungen freizuhalten. Zwar greifen Gegen­dar­stel­lungen auf der Titelseite wegen deren besonderer Bedeutung für ein Presseerzeugnis regelmäßig tiefer in die Pressefreiheit ein als Gegen­dar­stel­lungen im Blattinnern. Sie werden aber dadurch gerechtfertigt, daß wegen der gesteigerten Aufmerksamkeit, die Titelseiten auf sich ziehen, und der breiteren Leserschaft, die sie finden, auch die Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­rechts empfindlicher ist.

Den Belangen der Pressefreiheit läßt sich dadurch ausreichend Rechnung tragen, daß die Zivilgerichte sorgfältig unterscheiden, ob die Mitteilung, die Persön­lich­keits­rechte berührt, bereits auf der Titelseite zu finden ist oder dort lediglich angekündigt wird. Ferner ist darauf zu achten, daß die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der Gegen­dar­stellung nicht ihre Funktion verliert, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen. Schließlich darf von der konkreten Anordnung auch kein Effekt ausgehen, der die Presse längerfristig vom rechtmäßigen Gebrauch ihrer grundrechtlich geschützten Gestal­tungs­freiheit abschrecken könnte.

Der Senat führt aus, daß nach diesem Maßstab die angegriffenen Entscheidungen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden sind.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

der Leitsatz

1. Das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verlangt nicht, daß die Titelseite von Presse­er­zeug­nissen von Gegen­dar­stel­lungen oder Richtig­stel­lungen freigehalten wird.

2. Es verstößt nicht gegen das Grundrecht der Pressefreiheit, daß der Anspruch auf Gegen­dar­stellung weder das Vorliegen einer Ehrverletzung noch den Nachweis der Unwahrheit der Erstmitteilung oder der Wahrheit der Gegen­dar­stellung voraussetzt.

3. Der Presse ist es nicht verwehrt, nach sorgfältiger Recherche auch über Vorgänge oder Umstände zu berichten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröf­fent­lichung nicht mit Sicherheit feststeht. Die Pflicht, Tatsa­chen­be­haup­tungen zu berichtigen, die sich als unwahr erwiesen haben und das Persön­lich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Betroffenen fortwirkend beeinträchtigen, schränkt die Pressefreiheit nicht unangemessen ein.

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