21.11.2024
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Dokument-Nr. 8955

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Bundesverfassungsgericht Beschluss02.10.2003

BVerfG zum Tischgebet im Kindergarten

Die Verfas­sungs­be­schwerde (Vb) eines Vaters und seines minderjährigen Kindes (Beschwer­de­führer; Bf), die sich gegen die Praxis des Tischgebets in einem kommunalen Kindergarten wenden, wurde von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Verwal­tungs­ge­richte haben es bislang im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf Antrag der Bf abgelehnt, die Durchführung eines Tischgebets in einem kommunalen Kindergarten zu untersagen. In diesem vom 1997 geborenen Bf zu 1. besuchten Kindergarten ist es üblich, vor dem gemeinsamen Frühstück ein Tischgebet zu sprechen. Der Bf zu 1. und sein Vater, der Bf zu 2., der eine atheistische Weltanschauung vertritt, wenden sich mit der Vb gegen die fachge­richt­lichen Eilent­schei­dungen. Diese verstießen gegen ihre Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Nach dem Prinzip der religiös-weltan­schau­lichen Neutralität des Staates dürften Angestellte eines kommunalen Kindergartens nicht als Organisatoren und Veranstalter religiöser Betätigung auftreten.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es: Die Voraussetzungen für eine Annahme der Vb zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Vb ist unzulässig. Ihrer Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität der Vb entgegen. Zwar liegt im Ausgangs­ver­fahren eine das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließende letzt­in­sta­nzliche Entscheidung vor. Betreffen die gerügten Verfas­sungs­verstöße jedoch Fragen, die sich genau so auch im Haupt­sa­che­ver­fahren stellen und sich nicht speziell auf das Eilverfahren beziehen, ist das Haupt­sa­che­ver­fahren vor den Fachgerichten grundsätzlich geeignet, Rechtsschutz gegen die behaupteten Verfas­sungs­ver­let­zungen zu gewähren. So liegt der Fall hier. Die mit der Vb geltend gemachten Rügen betreffen nicht speziell die im Ausgangs­ver­fahren ergangene Eilentscheidung. Sie lassen sich vielmehr verlässlich erst nach Durchführung des Haupt­sa­che­ver­fahrens vor den Verwal­tungs­ge­richten beurteilen. Denn es besteht insoweit noch tatsächlicher und einfach­recht­licher Aufklä­rungs­bedarf. Dazu führt die Kammer im Einzelnen aus:

Bislang sind die Verwal­tungs­ge­richte auf die nähere rechtliche Ausgestaltung des mit der Aufnahme in einen kommunalen Kindergarten entstehenden Rechts­ver­hält­nisses zwischen Kind, Perso­nen­sor­ge­be­rech­tigten, Kinder­gar­ten­träger und -personal nicht eingegangen. Insoweit verweist die Kammer auf die einschlägigen Regelungen des Achten Buchs Sozial­ge­setzbuch. Es liegt nahe, dass sich in diesen Regelungen, die gegenüber allen Kindern und Erzie­hungs­be­rech­tigten zu wahren sind, die Grund­rechts­po­si­tionen konkretisieren, die bei unter­schied­lichen Wertvor­stel­lungen von Kindern und Eltern in einen Ausgleich zu bringen sind. Nach der grund­ge­setz­lichen Zustän­dig­keits­ver­teilung und Aufga­ben­zu­weisung sollen vorrangig die Fachgerichte selbst den Inhalt und die Bedeutung der einfach­recht­lichen Vorschriften auch im Kontext der auf sie ausstrahlenden und durch sie zur Geltung zu bringenden Grundrechte bestimmen.

Die Verwal­tungs­ge­richte werden auch festzustellen haben, ob nach dem in dem kommunalen Kindergarten maßgeblichen Erzie­hungs­konzept eine – mit den Grundrechten der Bf nicht zu vereinbarende – missionarische Zielsetzung gegenüber dem Bf zu 1. ausgeschlossen werden kann. Weiter ist zu prüfen, ob die Verfah­rens­a­bläufe des Kinder­gar­ten­früh­stücks so organisierbar sind, dass hinsichtlich des für die Kinder freiwilligen Tischgebetes einer Exponierung und Sonder­be­handlung des daran nicht teilnehmenden Bf zu 1. noch mehr entgegengewirkt werden kann. Die Beschreitung des Verwal­tungs­rechtswegs im Haupt­sa­che­ver­fahren ist den Bf auch zumutbar. Das verantwortliche Personal des Kindergartens ist nach den Feststellungen der Verwal­tungs­ge­richte bemüht, der besonderen Situation des Bf zu 1. gerecht zu werden. Sie wollen dieser Situation sowohl durch eine schonende Gestaltung des Ablaufs der gemeinsamen Mahlzeit als auch in der Weise Rechnung tragen, dass auf die anderen Kinder­gar­ten­kinder pädagogisch dahingehend eingewirkt wird, dem nicht am Tischgebet teilnehmenden Bf zu 1. respektvoll zu begegnen und sein Verhalten als Ausdruck einer achtenswerten eigenen weltan­schau­lichen Überzeugung zu tolerieren.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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