14.11.2024
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Dokument-Nr. 10819

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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.12.2010

BVerfG: Allgemeines Publi­ka­ti­o­ns­verbot für „Verbreitung recht­s­ex­tre­mis­tischen oder natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts“ verfas­sungs­widrigAuch Verbreitung recht­s­ex­tre­mis­tischer Meinungen ist durch Grundrecht auf freie Meinung­s­äu­ßerung geschützt

Ein im Rahmen der Führungs­aufsicht für die Dauer von fünf Jahren erteiltes allgemeines Publi­ka­ti­o­ns­verbot für die „Verbreitung recht­s­ex­tre­mis­tischen oder natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts“ ist verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Der in der Vergangenheit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 StGB und unerlaubten Verwendens von Kennzeichen verfas­sungs­widriger Organisationen gemäß § 86 a StGB vorbestrafte Beschwer­de­führer wurde 2005 wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung „Schutzgruppe“ des recht­s­ex­tre­mis­tischen „Aktionsbüros Süd“ in Tateinheit mit unerlaubtem Umgang mit Sprengstoffen und unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 erteilte das Oberlan­des­gericht dem Beschwer­de­führer im Wege der Weisung im Rahmen der Führungs­aufsicht - unter anderem - das nach § 145 a StGB strafbewehrte Verbot, für die Dauer von fünf Jahren „recht­s­ex­tre­mis­tisches oder natio­nal­so­zi­a­lis­tisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten“. Angesichts der früheren Verurteilungen, der Anlasstaten und des Umstandes, dass er während des Strafvollzugs Beiträge für rechtsextremistische Zeitschriften verfasst habe, lasse seine unverändert fortbestehende Gesinnung besorgen, dass er künftig mit Publikationen gegen §§ 130, 86a StGB verstoßen werde.

Verfas­sungs­be­schwerde zulässig

Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde zur Entscheidung angenommen und die angegriffene Entscheidung aufgehoben, soweit sie das Publi­ka­ti­o­ns­verbot betrifft, weil es den Beschwer­de­führer in seiner Meinungs­freiheit unver­hält­nismäßig einschränkt.

Beschwer­de­führer wird in Meinungs­freiheit unver­hält­nismäßig eingeschränkt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Meinungs­freiheit schützt grundsätzlich - in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG - auch die Verbreitung recht­s­ex­tre­mis­tischer Meinungen. Die Weisungs­be­fugnis im Rahmen der für verurteilte Straftäter angeordneten Führungs­aufsicht gemäß § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB fällt unter die Schranke der allgemeinen Gesetze. Das Instrument der Führungs­aufsicht erlaubt es grundsätzlich, einem verurteilten Straftäter auch nach Verbüßung seiner Strafe aus präventiven Gründen bestimmte legale und grundrechtlich geschützte Verhal­tens­weisen zu verbieten. Bei einer solchen präventiven Zwecken dienenden staatlichen Maßnahme, die an eine Meinung­s­äu­ßerung anknüpft, ist indes - neben einer sich auf nachvoll­ziehbare tatsächliche Anhaltspunkte stützenden Gefah­ren­prognose - eine am Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz orientierte sorgfältige Abwägung zwischen den durch die Meinung­s­äu­ßerung drohenden Beein­träch­ti­gungen und der Einbuße an Meinungs­freiheit durch deren Einschränkung erforderlich. Hierbei kann dahin stehen, ob die durch das Oberlan­des­gericht vorgenommene Gefah­ren­prognose den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen genügt. Denn das Publi­ka­ti­o­ns­verbot schränkt den Beschwer­de­führer jedenfalls unver­hält­nismäßig in seiner Meinungs­freiheit ein.

Verbot der Verbreitung „recht­s­ex­tre­mis­tischen Gedankenguts“ fehlt es an bestimmbaren Konturen

Das Publi­ka­ti­o­ns­verbot ist unbestimmt. Mit dem Verbot der Verbreitung „recht­s­ex­tre­mis­tischen oder natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts“ - auch unterhalb der Schwelle der §§ 130, 86a StGB - ist das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten nicht sicher abgrenzbar. Der angegriffenen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, ob von dem Verbot der Verbreitung „natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts“ jedes Gedankengut, das unter dem natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Ideologie, und, falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung „recht­s­ex­tre­mis­tischen Gedankenguts“ an bestimmbaren Konturen. Denn die Einstufung einer Position als „recht­s­ex­tre­mistisch“ ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesell­schafts­wis­sen­schaft­lichen Ausein­an­der­setzung. Sie steht in unaus­weich­licher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesell­schaft­lichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit straf­recht­licher Bedeutung (vgl. § 145 a StGB) nicht hinreichend erlauben.

Inhaltliche Reichweite, zeitliche Dauer, Spektrum der verbotenen Medien und strafrechtliche Bewehrung sind bei präventivem Verbot mit einzubeziehen

Zudem fehlt es der angegriffenen Entscheidung an der verfas­sungs­rechtlich gebotenen Abwägung. Das Publi­ka­ti­o­ns­verbot ist aber auch mit dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz nicht vereinbar. Bei staatlichen Eingriffen zur Gefahrenabwehr, die an den Inhalt einer Äußerung anknüpfen, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung. Geht es um ein präventives Publi­ka­ti­o­ns­verbot, sind die inhaltliche Reichweite und die zeitliche Dauer des Verbots, das Spektrum der verbotenen Medien sowie die strafrechtliche Bewehrung gemäß § 145 a StGB mit einzubeziehen. Dabei ist ein solcher Eingriff von dem Betroffenen umso eher hinzunehmen, als er sich etwa durch eine Begrenzung auf bestimmte Situationen, auf die Form und die äußeren Umstände der Meinung­s­äu­ßerung beschränkt. Je mehr er hingegen im Ergebnis eine inhaltliche Unterdrückung bestimmter Meinungen selbst zur Folge hat, desto höher sind die Anforderungen an den Grad der drohenden Rechts­gut­ge­fährdung

Verbot kommt gänzlicher Aberkennung der Meinungs­freiheit gleich

Indem dem Beschwer­de­führer für fünf Jahre uneingeschränkt jede publizistische Verbreitung „recht­s­ex­tre­mis­tischen oder natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gedankenguts“ verboten wird, wird ihm abhängig von seinen Ansichten in weitem Umfang unmöglich gemacht, mit seinen politischen Überzeugungen am öffentlichen Willens­bil­dungs­prozess teilzunehmen. Dies kommt jedoch einer Aberkennung der Meinungs­freiheit selbst nahe. Auch das staatliche Interesse der Resozi­a­li­sierung des Beschwer­de­führers rechtfertigt ein so weitgehendes Verbot nicht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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