21.11.2024
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Dokument-Nr. 28629

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Beschluss10.04.2020Bundesverfassungsgericht1 BvQ 28/20
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Bundesverfassungsgericht Beschluss10.04.2020

Corona-Pandemie: Bundes­verfassungs­gericht bestätigt Verbot von Gottesdiensten

Ein Gottes­dienst­verbot bedarf als überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubens­freiheit einer fortlaufenden strengen Prüfung seiner Verhält­nis­mä­ßigkeit anhand der jeweils aktuellen Erkenntnisse. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts hervor.

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat einen Antrag auf vorläufige Außer­voll­zug­setzung einer Regelung der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung (im Folgenden: Corona-Verordnung), die unter anderem ein Verbot von Zusammenkünften in Kirchen enthält, auf der Grundlage einer Folgenabwägung abgelehnt.

Der Antragsteller ist katholischen Glaubens und besucht regelmäßig die Heilige Messe. Er hat unter Bezugnahme auf Aussagen des II. Vatikanischen Konzils (Dogmatische Konstitution über die Kirche, Nr. 11) und des Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 1324 bis 1327) nachvollziehbar dargelegt, dass die gemeinsame Feier der Eucharistie nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens ist, deren Fehlen nicht durch - nach wie vor zulässige - alternative Formen der Glaubens­be­tä­tigung wie die Übertragung von Gottesdiensten im Internet oder das individuelle Gebet kompensiert werden kann. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen nach der Corona-Verordnung des Landes Hessen als überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubens­freiheit gewertet. Das gilt nach den plausiblen Angaben des Antragstellers verstärkt, soweit sich das Verbot auch auf Eucha­ris­tie­feiern während der Osterfeiertage als dem Höhepunkt des religiösen Lebens der Christen erstreckt. Damit sind die Nachteile für den Fall, dass die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergeht, eine Verfas­sungs­be­schwerde aber Erfolg hätte, überaus schwerwiegend und nach dem Glaubens­ver­ständnis des Antragstellers auch irreversibel.

Bei einer antragsgemäßen vorläufigen Außer­voll­zug­setzung des Verbots von Zusammenkünften in Kirchen versammelten sich demgegenüber voraussichtlich sehr viele Menschen in Kirchen, gerade auch über die Osterfeiertage. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesund­heit­lichen Einrichtung bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimms­tenfalls des Todes von Menschen nach der maßgeblichen Risikoein­schätzung des Robert-Koch-Instituts vom 26. März 2020 erheblich erhöhen, obwohl dies im Falle der Erfolglosigkeit einer Verfas­sungs­be­schwerde durch ein Gottes­dienst­verbot in verfass­sungs­rechtlich zulässiger Weise hätte vermieden werden können. Diese Gefahren blieben dann auch nicht auf jene Personen beschränkt, die freiwillig an den Gottesdiensten teilgenommen haben, sondern erstreckten sich auf einen erheblich größeren Personenkreis.

Nach Auffassung der Kammer hat der Schutz vor diesen Gefahren für Leib und Leben derzeit trotz des damit verbundenen überaus schwerwiegenden Eingriffs in die Glaubens­freiheit Vorrang vor dem Schutz dieses Grundrechts. Nach der Bewertung des Robert-Koch-Instituts kommt es in dieser frühen Phase der Corona-Pandemie darauf an, die Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu verlangsamen, um ein Kollabieren des staatlichen Gesund­heits­systems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden. Die Kammer stellt klar, dass für die Folgenabwägung auch die Befristung der Corona-Verordnung bis zum 19. April 2020 von Bedeutung ist. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berück­sich­tigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Bei jeder Fortschreibung der Verordnung muss mit Blick auf den mit einem Gottes­dienst­verbot verbundenen überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubens­freiheit eine strenge Prüfung der Verhält­nis­mä­ßigkeit erfolgen und untersucht werden, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbrei­tungswegen des Corona-Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesund­heits­systems verantwortet werden kann, das Verbot von Gottesdiensten unter - gegebenenfalls strengen - Auflagen und möglicherweise auch regional begrenzt zu lockern.

Die Kammer weist abschließend darauf hin, dass Gleiches auch für andere Religi­o­ns­ge­mein­schaften gilt, die durch das Verbot von Zusammenkünften vergleichbar schwerwiegend betroffen sind, weil für sie die gemeinsame Zusammenkunft ihrer Gläubigen ebenfalls zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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