21.11.2024
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Dokument-Nr. 29711

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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.12.2020

BVerfG legt Begründung der Ablehnung mehrerer Eilanträge gegen das Inkrafttreten von Teilen des Arbeitsschutz­kontroll­gesetzesAnträge auf Eilrechtsschutz teilweise bereits unzulässig und haben in der Sache keinen Erfolg

Das Bundes­verfassungs­gericht hat am 29. Dezember 2020 mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit denen verhindert werden sollte, dass Teile des am 30. Dezember 2020 verkündeten Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutz­kontroll­gesetz) zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Die Antrag­stel­lenden wenden sich mit Eilanträgen gegen neue Regelungen des am 30. Dezember 2020 verkündeten Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz. Insbesondere das sogenannte Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleisch­wirt­schaft sowie das Kooperationsverbot sollen nicht in Kraft treten. Nach den neuen Vorschriften ist es Unternehmen der Fleisch­wirt­schaft ab dem 1. Januar 2021 verboten, die Schlachtung, Zerlegung und Fleisch­ver­a­r­beitung durch Selbstständige, also mit Hilfe der bisher in weitem Umfang eingesetzten Werkver­trags­un­ter­nehmen, erledigen zu lassen. Diese Arbeiten dürfen nur noch durch eigenes Personal ausgeführt werden. Für die Führung eines Betriebes gilt vor Ort ein Koope­ra­ti­o­ns­verbot. Zudem ist die Beschäftigung von Fremdpersonal in Leiharbeit ab dem 1. April 2021 nur noch bis zum 1. April 2024 unter besonderen Bedingungen zulässig und danach auf diesem Sektor ebenfalls verboten. Die neuen Regelungen gelten allerdings nicht für Handwerks­be­triebe mit bis zu 49 Beschäftigten.

Antragsteller sind Einzelpersonen und Unternehmen aus der Fleischbranche

Die Antrag­stel­lenden sind Einzelpersonen und Unternehmen, die in Kernbereichen der Fleisch­wirt­schaft tätig sind, auf die das Fremd­per­so­na­l­verbot Anwendung findet, sowie famili­en­ge­führte mittel­stän­dische Unternehmen der Herstellung von Wurst, nicht der Schlachtung oder Zerlegung von Fleisch.

BVerfG: Angegriffene Regelung verändert lediglich die arbeits­ver­trag­lichen Bedingungen

Die Anträge einer Arbeitnehmerin bei einem Werkver­trags­un­ter­nehmen und von Inhabern von und Unternehmen der Fleisch­wirt­schaft sind unzulässig. Es ist nicht hinreichend konkret dargelegt, dass die in einem verfas­sungs­ge­richt­lichen Eilverfahren geforderten schweren Nachteile entstehen, wenn das Verfahren über die noch zu erhebenden Verfas­sungs­be­schwerden abgewartet wird. Die angegriffene Regelung, die es der Fleisch­wirt­schaft untersagt, im Kernbereich Fremdpersonal einzusetzen, bewirkt für sie gerade kein „praktisches Verbot“ einer Berufstätigkeit, sondern verändert lediglich die arbeits­ver­trag­lichen Bedingungen, zu denen sie diese ausüben kann. Gerade wenn die betroffenen Betriebe nicht mehr auf Fremdpersonal zugreifen können, erscheint es naheliegend, dass sie sich um die Einstellung der bereits eingearbeiteten Personen bemühen werden. Dann wäre die arbeits­schutz­rechtliche Verantwortung vor Ort ebenso klar wie die Lohnzahlung direkt an sie.

Gravierende Nachteile nicht erkennbar

Desgleichen ist für die Unternehmer und als Unternehmen der Fleisch­wirt­schaft, die im Kernbereich der Produktion bislang in großem Umfang Fremdpersonal eingesetzt haben, nicht erkennbar, dass für sie jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache derart gravierende Nachteile entstehen würden. Zwar sind sie in ihrer beruflichen Tätigkeit eingeschränkt, wenn sie für das Personal im Kernbereich andere Vertrags­ge­stal­tungen wählen müssen. Doch können sie bislang werkvertraglich oder in Leiharbeit eingesetztes Personal selbst einstellen und ihnen stehen arbeits­rechtliche Instrumente wie Arbeits­zeit­konten, befristete Anstellungen oder Arbeit auf Abruf zur Verfügung, die eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Belastungen, die daraus entstehen, das bisherige Geschäftsmodell umstellen zu müssen, genügen für sich genommen nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen.

In der Sache jedoch keinen Erfolg

Die Anträge von Inhabern von Werkver­trags­un­ter­nehmen und dieser Unternehmen selbst sowie von Leiha­r­beits­un­ter­nehmen, die bisher Aufträge im Kernbereich der Fleisch­wirt­schaft erbracht haben, genügen den Darle­gungs­an­for­de­rungen zu den gravierenden Nachteilen zwar teilweise, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Interessen der Antrag­stel­lenden überwiegen nicht eindeutig gegenüber den Zielen des Gesetzgebers. Tatsächlich trifft die Antrag­stel­lenden mit der Neuregelung ein sektorales Tätig­keits­verbot im Kernbereich der Fleisch­wirt­schaft. Es ist plausibel dargelegt, dass eine Rückkehr in das Geschäft der Werkver­trags­un­ter­nehmen schwer möglich sein wird, sollten sich die Neuregelungen als verfas­sungs­widrig erweisen. Doch ist insbesondere eine drohende Existenz­ge­fährdung nicht in der gebotenen nachvoll­ziehbaren, indivi­du­a­li­sierten und konkreten Weise dargelegt. Allgemeine oder nur mit Gesamtbeträgen bezifferte Verweise auf laufende Kosten aus Mietverträgen zur Unterbringung der Arbeitskräfte, aus Leasing­ver­trägen für Fahrzeuge für ihren Transport und aus Arbeits­ver­trägen tragen insoweit nicht.

Folgeabwägung zulasten der Antragsteller

Erginge die einstweilige Anordnung und hätte die Verfas­sungs­be­schwerde letztlich keinen Erfolg, würden die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele in diesem Zeitraum nicht verwirklicht. Im Kernbereich der Fleisch­wirt­schaft wäre weiter Fremdpersonal tätig. Dort, wo Werkver­trags­un­ter­nehmen weiter eingesetzt würden, wäre die arbeits­schutz­rechtliche Verantwortung vor Ort weiterhin aufgespalten. Der Gesetzgeber geht nachvollziehbar davon aus, dass dies den Arbeits­schutz­be­hörden Kontrollen erschwert. Es liegt auch nahe, dass die gespaltene Verantwortung vor Ort den Beschäftigten selbst die Durchsetzung ihrer Schutzansprüche und fairer Arbeits­be­din­gungen erschwert. Weiter wären Beschäftigte im Rahmen von Werkverträgen und Leiha­r­beits­kräfte nebeneinander tätig, was in der Praxis zu unüber­sicht­lichen Verhältnissen und Verant­wort­lich­keits­de­fiziten führt wie auch, aufgrund der Konkurrenz bei sehr hohem Arbeitsdruck, ungesicherter Fachqua­li­fi­kation und Einarbeitung, zu Verstößen gegen arbeits­rechtliche Schutz­be­stim­mungen und zu den in diesem Sektor überdurch­schnittlich häufigen Arbeitsunfällen.

Arbeitsschutz wiegt schwerer

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfas­sungs­be­schwerde später aber als begründet, entstünden den Werkver­trags­un­ter­nehmen durchaus gewichtige Nachteile. Ihnen wird ihre Tätigkeit nicht verboten, aber doch sektoral beschränkt, denn sie dürfen im Kernbereich der Fleisch­wirt­schaft nicht mehr in der bisherigen Form tätig werden. Doch haben die Ziele des Gesetzgebers, insbesondere für mehr Arbeitsschutz in der Fleisch­wirt­schaft, für klare Verant­wort­lich­keiten vor Ort und für transparente Vertrags­ge­stal­tungen mit den Beschäftigten zu sorgen, mehr Gewicht. In die Abwägung ist einzubeziehen, dass die bislang über Werkver­trags­un­ter­nehmen in der Fleisch­wirt­schaft Beschäftigten durch das sektorale Fremd­per­so­na­l­verbot nicht nachteilig betroffen werden, sondern realistische Aussichten auf ein Arbeits­ver­hältnis nun direkt mit den Unternehmen der Fleisch­wirt­schaft bestehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass den Antrag­stel­lenden in diesen Verfahren nicht ihr Beruf verboten wird, sondern nur eine bestimmte rechtliche Gestaltung in einem Marktsegment künftig unzulässig ist.

Verletzung des Subsidiarität wegen nicht Ausschöpfung alle prozessualen Möglichkeiten

Die Eilanträge von famili­en­ge­führten mittel­stän­dischen Unternehmen der Herstellung von Wurst mit jeweils eigener Produk­ti­o­ns­stätte haben ebenfalls keinen Erfolg. Ihre noch zu erhebenden Verfas­sungs­be­schwerden wären von vornherein unzulässig, soweit sie sich gegen das Fremd­per­so­na­l­verbot und das Koope­ra­ti­o­ns­verbot in Anwendung auf von ihnen benannte Tätigkeiten wenden. Auch vor der Erhebung von Rechts­satz­ver­fas­sungs­be­schwerden sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der Grund­rechts­ver­letzung abhelfen können. Unmittelbar gegen Gesetze steht zwar der fachge­richtliche Rechtsweg in der Regel nicht offen. Vor Einlegung einer Verfas­sungs­be­schwerde sind aber auch insofern alle prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen. Das haben die Antrag­stel­lenden nicht getan. Sie haben nicht die Möglichkeit genutzt, vor den Fachgerichten eine Feststellung zu erlangen, ob die angegriffenen gesetzlichen Verbote auf die von ihnen benannten Tätigkeiten und Vertrags­ge­stal­tungen überhaupt Anwendung finden und wie weit diese dann jeweils reichen. Hier ist offensichtlich ausle­gungs­be­dürftig, was unter dem „Bereich der Fleisch­ver­a­r­beitung“ zu verstehen ist. Bevor dies nicht fachgerichtlich geklärt ist, kann das Bundes­ver­fas­sungs­gericht über eventuelle verfas­sungs­rechtliche Fragen nicht entscheiden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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