21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil28.02.2007

Gesetzgeber darf die Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung für künstliche Befruchtung auf Ehepaare beschränkenVerheiratete Paare dürfen privilegiert werden

Die geltenden Regelungen des Sozial­ge­setz­buches zur Kosten­tra­gungs­pflicht bei künstlichen Befruchtungen sind verfas­sungs­konform. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Danach darf der Gesetzgeber die Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung für künstliche Befruchtung auf Ehepaare beschränken. Unverheiratete Paare müssen auch künftig eine künstliche Befruchtung aus der eigenen Tasche zahlen.

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der Gesetzgeber die Leistungs­pflicht der gesetzlichen Krankenkassen für eine künstliche Befruchtung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind. Dies entschied der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit Urteil vom 28. Februar 2007 auf eine Vorlage des Sozialgerichts Leipzig.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

§ 27 a Fünftes Sozial­ge­setzbuch (SGB V) gewährt gesetzlich Versicherten einen Anspruch auf Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung). Voraussetzung des Anspruchs ist unter anderem, dass die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und beide Ehepartner ein bestimmtes Alter nicht überschritten haben (Frauen: 40 Jahre; Männer: 50 Jahre). Die gesetzliche Krankenkasse trägt 50 % der entstehenden Kosten.

Die 34-jährige Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens ist ebenso wie ihr 32- jähriger Lebensgefährte, mit dem sie seit über zehn Jahren in einer nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft lebt, gesetzlich kranken­ver­sichert. Bei dem Paar besteht aufgrund einer Ferti­li­täts­s­törung des Mannes seit dem Jahr 2000 Sterilität. Ihr Kinderwunsch lässt sich nur im Wege einer künstlichen Befruchtung in Form der In-vitro-Fertilisation (IVF), d.h. der Befruchtung der Eizelle außerhalb des weiblichen Körpers und der intra­zy­to­plas­ma­tischen Spermie­n­in­jektion (ICSI) verwirklichen. Bei letzterer Methode wird ein ausgewähltes Spermium unmittelbar in die Eizelle injiziert. Nachdem der Lebensgefährte der Klägerin „vorab“ ein notarielles Vater­schafts­a­n­er­kenntnis abgegeben hatte, beantragte die Klägerin im November 2001 bei ihrer Krankenkasse die Übernahme der sich nach einem ärztlichen Kosten­vor­an­schlag auf rund 2.700 DM belaufenden Kosten für eine IVF/ICSI Behandlung. Die Krankenkasse lehnte den Antrag unter Hinweis auf das Fehlen einer Ehe zwischen der Klägerin und ihrem Lebenspartner ab. Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht. Das Sozialgericht setzte das Verfahren aus und legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vor, ob § 27 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB V insoweit verfas­sungs­widrig ist, als die Finanzierung medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach dem Recht der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung ausschließlich auf Personen beschränkt ist, die miteinander verheiratet sind und ausschließlich von Ehegatten Ei- und Samenzellen verwendet werden dürfen. Nach Auffassung des Sozialgerichts verletze die Regelung unter anderem den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), das Gebot aus Art. 6 Abs. 5 GG, nichtehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung und ihre gesell­schaftliche Stellung zu schaffen wie ehelichen Kindern, sowie das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt nicht vor. Zwar schließt das Gesetz die gesetzlich versicherten Partner einer nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft von der Sachleistung einer medizinischen Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aus. Sie werden dadurch im Verhältnis zu Ehepaaren finanziell benachteiligt und müssen, wenn sie die gewünschte künstliche Befruchtung vornehmen wollen, die gesamten Kosten dafür selbst tragen.

Die Ungleich­be­handlung wäre im System der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung nicht zu rechtfertigen, würde die künstliche Befruchtung der Beseitigung einer Krankheit dienen. Dann hätte die Vorschrift, würde sie eine solche Leistung der gesetzlichen Krankenkasse nur Verheirateten, nicht aber unverheirateten Personen zugute kommen lassen, vor dem allgemeinen Gleichheitssatz keinen Bestand. Der Gesetzgeber hat jedoch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht als Behandlung einer Krankheit angesehen. Dies ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung näher zu bestimmen, auch in einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und seelischen Beein­träch­ti­gungen eines Menschen, deren Beseitigung oder Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung nicht von vornherein veranlasst ist.

Der Gesetzgeber hatte hinreichende sachliche Gründe, die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf Ehepaare zu beschränken. Er durfte daran anknüpfen, dass das Bürgerliche Gesetzbuch in Ehegatten Partner einer auf Lebenszeit angelegten Gemeinschaft sieht und sie gesetzlich anhält, füreinander Verantwortung zu tragen. In der nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft kann diese Verantwortung nur freiwillig wahrgenommen werden. Es liegt im Einschät­zungs­er­messen des Gesetzgebers, dass er die eheliche Partnerschaft als besonders geeignet ansieht, die mit den in Frage stehenden medizinischen Maßnahmen verbundenen Belastungen und Risiken gemeinsam zu bewältigen. Der Gesetzgeber durfte die Ehe auch wegen ihres besonderen rechtlichen Rahmens als eine Lebensbasis für ein Kind ansehen, die den Kindes­wohl­be­langen mehr Rechnung trägt als eine nichteheliche Partnerschaft. So ist die Ehe auf Lebenszeit angelegt und nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung oder Scheidung wieder auflösbar, während nichteheliche Partnerschaften jederzeit beendet werden können. Die ehelichen Bindungen bieten einem Kind grundsätzlich mehr rechtliche Sicherheit, von beiden Elternteilen betreut zu werden. Auch sind Ehegatten einander gesetzlich verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie zu unterhalten. Dieser Unterhalt ist mit auf die Bedürfnisse der gemeinsamen Kinder ausgerichtet, begünstigt auch sie und bestimmt maßgeblich ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Eine solche Verpflichtung besteht bei Partnern einer nichtehelichen Lebens­ge­mein­schaft nicht.

2. Ein Verstoß gegen den verfas­sungs­rechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie liegt ebenfalls nicht vor. Art. 6 Abs. 1 GG kann keine Verpflichtung des Gesetzgebers entnommen werden, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Kranken­ver­si­cherung zu fördern. Es wäre dem Gesetzgeber allerdings verfas­sungs­rechtlich nicht verwehrt, auch nichtehelichen Partnern den Weg einer Finanzierung der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche Kranken­ver­si­cherung zu öffnen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts

der Leitsatz

Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass § 27 a Abs. 1 Nr. 3 SGB V die Leistung medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung) durch die gesetzliche Kranken­ver­si­cherung auf Personen beschränkt, die miteinander verheiratet sind.

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