21.11.2024
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Dokument-Nr. 4010

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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.02.2007

Renten­rechtliche Neubewertung der ersten Berufsjahre durch das Wachstums- und Beschäf­ti­gungs­för­de­rungs­gesetz von 1996 verfas­sungsgemäß

Die 1996 mit dem Wachstums- und Beschäf­ti­gungs­för­de­rungs­gesetz beschlossenen und seit dem 1.1.1997 geltenden Kürzungen der Rente­n­an­wart­schaften für Ausbil­dungs­zeiten sind nach einem Beschluss des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zulässig.

Um die zu Beginn des Berufslebens eines Versicherten in der Regel niedrigen Verdienste in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung angemessen auszugleichen, sah das Renten­re­form­gesetz von 1992 eine besondere Regelung vor: Danach wurden die ersten vier Berufsjahre eines Versicherten, die vor seinem vollendeten 25. Lebensjahr lagen, als Pflicht­bei­trags­zeiten bei der Renten­be­rechnung insoweit besonders berücksichtigt, als diese Zeiten mit mindestens 90 Prozent des allgemeinen Durch­schnitts­ver­dienstes aller Versicherten in die Berechnung einflossen. Nach dem Wachstums- und Beschäf­ti­gungs­för­de­rungs­gesetz von 1996 werden seit dem 1. Januar 1997 grundsätzlich nur noch drei Jahre mit Pflicht­bei­trags­zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres pauschal berücksichtigt. Diese Zeiten fließen nunmehr mit einem Wert von 75 Prozent des Wertes, der sich für alle individuellen Anrech­nungs­zeiten des Versicherten aus seinem ganzen Berufsleben ergibt, in die Berechnung der Rente ein. Jedoch werden maximal 75 Prozent des allgemeinen Durch­schnitts­ver­dienstes aller Versicherten berücksichtigt.

Diese Neubewertung wirkt sich für die gesetzlich Versicherten auf ganz unter­schiedliche Weise aus. Bei Versicherten, die durchgängig eine versi­che­rungs­pflichtige Tätigkeit ausgeübt haben, führt sie nur zu einer verhältnismäßig geringen Kürzung der in Frage stehenden Rente­n­an­wart­schaft der ersten Berufsjahre. Besonders beschwert sind dagegen solche Personen, die nach der Berufs­aus­bildung einige Jahre versi­che­rungs­pflichtig beschäftigt waren, wegen eines Wechsels in die Selbständigkeit aber der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung nicht mehr angehören oder nur noch Mindestbeiträge zahlen, um sich bestimmte renten­rechtliche Vorteile zu erhalten.

Auf eine Vorlage des Bundes­so­zi­al­ge­richts hin hat sich der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit der Frage der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Vorschrift – beschränkt auf den letztgenannten Personenkreis – befasst und festgestellt, dass die Minderung der renten­recht­lichen Bewertung der ersten Berufsjahre durch das Wachstums- und Beschäf­ti­gungs­för­de­rungs­gesetz von 1996 verfas­sungsgemäß ist. Insbesondere verletzt die gesetzliche Regelung nicht die Eigen­tums­ga­rantie des Art. 14 Abs. 1 GG.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Der verfas­sungs­rechtliche Eigentumsschutz für Rente­n­an­wart­schaften schließt deren Umgestaltung durch eine Änderung des Renten­ver­si­che­rungs­rechts nicht schlechthin aus. Entgegen der Auffassung des Bundes­so­zi­al­ge­richts sind dabei auch Eingriffe in die Anwartschaften von Versicherten verfas­sungs­rechtlich zulässig, die bei In-Kraft-Treten der Neuregelung das 55. Lebensjahr vollendet haben. Der Eigen­tums­ga­rantie des Art. 14 Abs. 1 GG kann nicht entnommen werden, dass renten­rechtliche Anwartschaften allein aufgrund eines bestimmten Lebensalters des Versicherten einen gesteigerten verfas­sungs­recht­lichen Bestandsschutz gegenüber wertmindernden Eingriffen durch den Gesetzgeber aufweisen.

Der in der gesetzlichen Regelung liegende Eingriff in die Anwartschaft ist durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Die wirtschaftliche Situation der Renten­ver­si­che­rungs­träger war in der ersten Hälfte der 1990er Jahre durch einen massiven Anstieg der Ausgaben gekennzeichnet, denen kein ausreichendes Beitrags­auf­kommen gegenüberstand. Der Gesetzgeber durfte die nachteiligen Folgen dieser Situation für Beitragszahler, Wirtschaft und Arbeitsmarkt als gewichtig bewerten und Maßnahmen ergreifen, um das Ausgabenvolumen der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung zu begrenzen. Der Eingriff ist auch verhältnismäßig. Maßgeblich für die Höhe des mit der Neuregelung einhergehenden Wertverlustes sind (bezogen auf den in Frage stehenden Personenkreis) die Versi­che­rungs­lücken des Versicherten. Diese sind dessen Sphäre zuzuordnen; der Versicherte kann in der Regel selbst entscheiden, ob und in welcher Höhe er nach Beendigung seiner versi­che­rungs­pflichtigen Beschäftigung freiwillige Beiträge an die gesetzliche Renten­ver­si­cherung zur Schließung versi­che­rungs­bio­gra­fischer Lücken leistet. Ihm muss dabei bewusst sein, dass niedrige freiwillige Beiträge und ganz besonders Versi­che­rungs­lücken grundsätzlich unabhängig von der Frage der Bewertung der ersten Berufsjahre zu einer niedrigeren gesetzlichen Rente führen und er daher auf eine ergänzende private oder anderweitige Vorsorge verwiesen ist. Diese Vorsorge ist den Betroffenen aufgrund der „ersparten“ Beiträge zur gesetzlichen Renten­ver­si­cherung auch grundsätzlich zumutbar. Der Gesetzgeber durfte daher davon ausgehen, dass Versicherte mit hohen, selbst verantworteten Versi­che­rungs­lücken regelmäßig über eine ausreichende ergänzende Altersvorsorge verfügen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 33/2007 des Bundesverfassungsgerichts vom 27.03.2007

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