Dokument-Nr. 4326
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.03.2007
Normenkontrollantrag von Sachsen-Anhalt in Sachen Emissionshandel erfolglosKein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot
Seit dem Jahr 2005 besteht in Europa die Möglichkeit, mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen zu handeln. Grundlage hierfür ist die von der Europäischen Gemeinschaft erlassene Emissionshandelsrichtlinie. Danach sind von den teilnehmenden Staaten an die ansässigen Betrieb bestimmten Menge von Treibhausgasen. Unterschreiten die Emissionen die in den Emissionszertifikaten festgelegten Grenzen, können die betreffenden Unternehmen die Zertifikate an andere Unternehmen verkaufen, deren Treibhausgasausstoß die ihnen zugewiesenen Kontingente überschreitet. Der Handel soll auf eine kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinwirken.
Der deutsche Gesetzgeber hat in Umsetzung des Gemeinschaftsrechts unter anderem das Zuteilungsgesetz 2007 (ZuG 2007), das am 31. August 2004 in Kraft getreten ist, erlassen. Dieses legt die Gesamtmenge an Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland für die Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 sowie Regeln für die Zuteilung von Emissionsberechtigungen fest. Das Zuteilungsgesetz 2007 unterscheidet zwischen bestehenden Anlagen und Neuanlagen. Neuanlagen werden bei der Zuteilung von Berechtigungen gegenüber bestehenden Anlagen aufgrund unterschiedlicher Zuteilungsregeln grundsätzlich begünstigt. Eine besondere Zuteilungsregelung enthält § 12 ZuG 2007, der die Anerkennung frühzeitiger Emissionsminderungen vorsieht. Emissionsminderungen auf Grund von Modernisierungsmaßnahmen zwischen dem 1.1.1994 und dem 31.12.2002 werden für zwölf auf den Abschluss der Modernisierungsmaßnahme folgende Kalenderjahre bei der Zuteilung gegenüber nicht modernisierten Bestandsanlagen bevorteilt. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass die erheblichen Vorleistungen bei der Sanierung der Industrie und Energiewirtschaft insbesondere in den neuen Bundesländern jedenfalls teilweise bei der Zuteilung berücksichtigt werden können.
Das vorliegende Normenkontrollverfahren betrifft § 12 ZuG 2007. Die Regierung des Landes Sachsen-Anhalt ist der Meinung, dass die Norm insbesondere mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar sei, da sie frühzeitige Modernisierungsmaßnahmen nicht hinreichend würdige. Besonders für viele ostdeutsche Unternehmen ergäben sich hierdurch Wettbewerbsnachteile. Unternehmen, die durch Modernisierungsmaßnahmen in den neunziger Jahren bereits frühzeitig zur Minderung von Treibhaus- Emissionen beigetragen haben, würden benachteiligt. Deren Vorleistungen würden entweder gar nicht (bei Modernisierung bis 1994), oder – verglichen mit Neuanlagen – nur zu einem geringen Maß (bei Modernisierung bis einschließlich 2002) anerkannt. Im Vergleich mit Unternehmen, die in der Vergangenheit keinerlei Emissionsreduktion herbeigeführt haben, würden Unternehmen, die am längsten und umfangsreichsten zur Minderung des Kohlendioxidausstoßes beigetragen haben, bei der handelbaren Emissionsmenge stark benachteiligt.
Der Normenkontrollantrag hatte keinen Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass § 12 ZuG 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Insbesondere verletzt die Regelung nicht das Gleichbehandlungsgebot. Die Bevorzugung von Neuanlagen bzw. nach 2005 modernisierten Anlagen gegenüber frühzeitig modernisierten Anlagen ist sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber darf im Interesse eines aktiven Klimaschutzes besondere Investitionsanreize für zusätzliche Neuanlagen und künftige Modernisierungen vorsehen. Hierin liegen gerade Sinn und Zweck des Emissionshandels.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
I. Das Bundesverfassungsgericht kann die Verfassungsmäßigkeit des § 12 ZuG 2007 vollumfänglich prüfen. Zwar wird auch die innerstaatliche Umsetzung von Richtlinien des Gemeinschaftsrechts, die zwingende Vorgaben enthalten, vom Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten nicht am Maßstab des Grundgesetzes gemessen, solange die Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (Solange II - Rechtsprechung). Die Anerkennung frühzeitiger Emissionsminderungen, wie § 12 ZuG 2007 sie vorsieht, ist jedoch ausdrücklich in das Gestaltungsermessen der Mitgliedstaaten gestellt und hat daher keinen verpflichtenden Charakter.
II. § 12 ZuG 2007 verletzt nicht das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anlagen, bei denen bereits frühzeitig Emissionsminderungen vorgenommen wurden (§ 12 ZuG 2007), gegenüber Anlagen, die im Jahr 2005 oder später durch eine Neuanlage ersetzt wurden (§ 10 ZuG 2007), liegt nicht vor. Die Begünstigung von Neuanlagen gegenüber Anlagen mit frühzeitigen Emissionsminderungen bei der Vergabe von Zertifikaten ist sachlich gerechtfertigt. § 10 ZuG 2007 hat in besonderem Maße die Zielerreichung – die Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2012 um 21 % gegenüber 1990 – im Blick. Die Vorschrift schafft für zusätzliche Neuanlagen Innovationsanreize und dient damit dem aktiven Klimaschutz. Maßnahmen, die vor Inkrafttreten des Emissionshandelssystems ergriffen wurden, haben dagegen keine weiteren Klimaschutzeffekte. Bei § 12 ZuG 2007 geht es nur noch um eine angemessene Honorierung für Vergangenes.
Auch bei einem Vergleich der Zuteilung für nach dem 1. Januar 2005 vorgenommene bloße Modernisierungen von Altanlagen mit der Zuteilung für frühzeitige Emissionsminderungen nach § 12 ZuG 2007 kann eine verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber darf für künftige Modernisierungen besondere Anreize vorsehen, zumal dann, wenn die erreichten Kohlendioxid-Reduktionen von beträchtlichem Ausmaß sind. Hierin liegen gerade Sinn und Zweck des Emissionshandels.
Eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von unter § 12 ZuG 2007 fallenden Anlagen im Vergleich zu Anlagen, die vor dem Jahr 1994 modernisiert wurden, liegt ebenfalls nicht vor. Zwar erhält ein Betreiber, der seine Anlagen bis Ende 1993 modernisiert und dadurch zur Reduktion der Treibhausgase beigetragen hatte, keine Vergünstigung. Er wird behandelt wie Betreiber nicht modernisierter Bestandsanlagen. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt. Die Anknüpfung an den Stichtag 31. Dezember 1993 ist von der Bundesregierung sachgerecht damit begründet worden, dass belastbares Datenmaterial, das für die Feststellung einer relevanten frühzeitigen Emissionsminderungsmaßnahme erforderlich ist, anderenfalls nicht greifbar gewesen wäre. Im Übrigen ist auch die Erwägung des Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass er solche Maßnahmen unter klimapolitischem Blickwinkel aus Sicht des heutigen Standes der Technik nicht mehr für besonders honorierungswürdig hält, die bei Inkrafttreten des Emissionshandels mindestens elf Jahre zurück liegen und von denen heute kein zusätzlicher Nutzen für eine weitere Reduktion der Treibhausgasemissionen mehr ausgeht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 05.06.2007
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 59/07 des BVerfG vom 01.06.2007
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