14.11.2024
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Dokument-Nr. 4326

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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.03.2007

Normen­kon­trol­lantrag von Sachsen-Anhalt in Sachen Emissionshandel erfolglosKein Verstoß gegen das Gleich­be­hand­lungsgebot

Seit dem Jahr 2005 besteht in Europa die Möglichkeit, mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen zu handeln. Grundlage hierfür ist die von der Europäischen Gemeinschaft erlassene Emissi­ons­han­dels­richtlinie. Danach sind von den teilnehmenden Staaten an die ansässigen Betrieb bestimmten Menge von Treibhausgasen. Unterschreiten die Emissionen die in den Emissi­ons­zer­ti­fikaten festgelegten Grenzen, können die betreffenden Unternehmen die Zertifikate an andere Unternehmen verkaufen, deren Treib­h­aus­gas­ausstoß die ihnen zugewiesenen Kontingente überschreitet. Der Handel soll auf eine koste­n­ef­fi­ziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treib­h­aus­ga­s­e­mis­sionen hinwirken.

Der deutsche Gesetzgeber hat in Umsetzung des Gemein­schafts­rechts unter anderem das Zutei­lungs­gesetz 2007 (ZuG 2007), das am 31. August 2004 in Kraft getreten ist, erlassen. Dieses legt die Gesamtmenge an Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland für die Zutei­lungs­periode 2005 bis 2007 sowie Regeln für die Zuteilung von Emissi­ons­be­rech­ti­gungen fest. Das Zutei­lungs­gesetz 2007 unterscheidet zwischen bestehenden Anlagen und Neuanlagen. Neuanlagen werden bei der Zuteilung von Berechtigungen gegenüber bestehenden Anlagen aufgrund unter­schied­licher Zutei­lungs­regeln grundsätzlich begünstigt. Eine besondere Zutei­lungs­re­gelung enthält § 12 ZuG 2007, der die Anerkennung frühzeitiger Emissi­ons­min­de­rungen vorsieht. Emissi­ons­min­de­rungen auf Grund von Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen zwischen dem 1.1.1994 und dem 31.12.2002 werden für zwölf auf den Abschluss der Moder­ni­sie­rungs­maßnahme folgende Kalenderjahre bei der Zuteilung gegenüber nicht modernisierten Bestandsanlagen bevorteilt. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass die erheblichen Vorleistungen bei der Sanierung der Industrie und Energie­wirt­schaft insbesondere in den neuen Bundesländern jedenfalls teilweise bei der Zuteilung berücksichtigt werden können.

Das vorliegende Normen­kon­troll­ver­fahren betrifft § 12 ZuG 2007. Die Regierung des Landes Sachsen-Anhalt ist der Meinung, dass die Norm insbesondere mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar sei, da sie frühzeitige Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen nicht hinreichend würdige. Besonders für viele ostdeutsche Unternehmen ergäben sich hierdurch Wettbe­wer­bs­nachteile. Unternehmen, die durch Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen in den neunziger Jahren bereits frühzeitig zur Minderung von Treibhaus- Emissionen beigetragen haben, würden benachteiligt. Deren Vorleistungen würden entweder gar nicht (bei Modernisierung bis 1994), oder – verglichen mit Neuanlagen – nur zu einem geringen Maß (bei Modernisierung bis einschließlich 2002) anerkannt. Im Vergleich mit Unternehmen, die in der Vergangenheit keinerlei Emissi­ons­re­duktion herbeigeführt haben, würden Unternehmen, die am längsten und umfangs­reichsten zur Minderung des Kohlen­di­o­xid­ausstoßes beigetragen haben, bei der handelbaren Emissionsmenge stark benachteiligt.

Der Normen­kon­trol­lantrag hatte keinen Erfolg. Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass § 12 ZuG 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Insbesondere verletzt die Regelung nicht das Gleich­be­hand­lungsgebot. Die Bevorzugung von Neuanlagen bzw. nach 2005 modernisierten Anlagen gegenüber frühzeitig modernisierten Anlagen ist sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber darf im Interesse eines aktiven Klimaschutzes besondere Inves­ti­ti­o­ns­anreize für zusätzliche Neuanlagen und künftige Moder­ni­sie­rungen vorsehen. Hierin liegen gerade Sinn und Zweck des Emissi­ons­handels.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann die Verfas­sungs­mä­ßigkeit des § 12 ZuG 2007 vollumfänglich prüfen. Zwar wird auch die innerstaatliche Umsetzung von Richtlinien des Gemein­schafts­rechts, die zwingende Vorgaben enthalten, vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht und den Fachgerichten nicht am Maßstab des Grundgesetzes gemessen, solange die Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grund­rechts­schutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (Solange II - Rechtsprechung). Die Anerkennung frühzeitiger Emissi­ons­min­de­rungen, wie § 12 ZuG 2007 sie vorsieht, ist jedoch ausdrücklich in das Gestal­tungs­er­messen der Mitgliedstaaten gestellt und hat daher keinen verpflichtenden Charakter.

II. § 12 ZuG 2007 verletzt nicht das Gleich­be­hand­lungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleich­be­handlung von Anlagen, bei denen bereits frühzeitig Emissi­ons­min­de­rungen vorgenommen wurden (§ 12 ZuG 2007), gegenüber Anlagen, die im Jahr 2005 oder später durch eine Neuanlage ersetzt wurden (§ 10 ZuG 2007), liegt nicht vor. Die Begünstigung von Neuanlagen gegenüber Anlagen mit frühzeitigen Emissi­ons­min­de­rungen bei der Vergabe von Zertifikaten ist sachlich gerechtfertigt. § 10 ZuG 2007 hat in besonderem Maße die Zielerreichung – die Minderung der Treib­h­aus­ga­s­e­mis­sionen bis 2012 um 21 % gegenüber 1990 – im Blick. Die Vorschrift schafft für zusätzliche Neuanlagen Innova­ti­o­ns­anreize und dient damit dem aktiven Klimaschutz. Maßnahmen, die vor Inkrafttreten des Emissi­ons­han­dels­systems ergriffen wurden, haben dagegen keine weiteren Klima­schutz­effekte. Bei § 12 ZuG 2007 geht es nur noch um eine angemessene Honorierung für Vergangenes.

Auch bei einem Vergleich der Zuteilung für nach dem 1. Januar 2005 vorgenommene bloße Moder­ni­sie­rungen von Altanlagen mit der Zuteilung für frühzeitige Emissi­ons­min­de­rungen nach § 12 ZuG 2007 kann eine verfas­sungs­rechtlich ungerecht­fertigte Ungleich­be­handlung nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber darf für künftige Moder­ni­sie­rungen besondere Anreize vorsehen, zumal dann, wenn die erreichten Kohlendioxid-Reduktionen von beträchtlichem Ausmaß sind. Hierin liegen gerade Sinn und Zweck des Emissi­ons­handels.

Eine verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigte Ungleich­be­handlung von unter § 12 ZuG 2007 fallenden Anlagen im Vergleich zu Anlagen, die vor dem Jahr 1994 modernisiert wurden, liegt ebenfalls nicht vor. Zwar erhält ein Betreiber, der seine Anlagen bis Ende 1993 modernisiert und dadurch zur Reduktion der Treibhausgase beigetragen hatte, keine Vergünstigung. Er wird behandelt wie Betreiber nicht modernisierter Bestandsanlagen. Diese Ungleich­be­handlung ist jedoch gerechtfertigt. Die Anknüpfung an den Stichtag 31. Dezember 1993 ist von der Bundesregierung sachgerecht damit begründet worden, dass belastbares Datenmaterial, das für die Feststellung einer relevanten frühzeitigen Emissi­ons­min­de­rungs­maßnahme erforderlich ist, anderenfalls nicht greifbar gewesen wäre. Im Übrigen ist auch die Erwägung des Gesetzgeber verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass er solche Maßnahmen unter klima­po­li­tischem Blickwinkel aus Sicht des heutigen Standes der Technik nicht mehr für besonders honorie­rungs­würdig hält, die bei Inkrafttreten des Emissi­ons­handels mindestens elf Jahre zurück liegen und von denen heute kein zusätzlicher Nutzen für eine weitere Reduktion der Treib­h­aus­ga­s­e­mis­sionen mehr ausgeht.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 59/07 des BVerfG vom 01.06.2007

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