15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss27.06.2006

Gutach­te­n­er­stellung im Rahmen der Siche­rungs­ver­wahrung muss vom Verurteilten bezahlt werdenKosten­au­fer­legung ist keine Doppel­be­strafung sondern eine justiz­ver­wal­tungs­rechtliche Pflicht

Es verstößt gegen das Resozi­a­li­sie­rungsgebot, wenn Gefangenen solch hohe Verfah­rens­kosten auferlegt werden, dass sie keine Chance haben, die Kosten in absehbarer Zeit zu begleichen. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht (BVerfG) ausgeführt. Im konkreten Fall wies das BVerfG allerdings die Verfas­sungs­be­schwerde eines Sexual­straf­täters, dem 6.500 € Gutachterkosten zu teuer waren, mit der Begründung, dass das Vorbringen nicht hinreichend substantiiert ist, ab.

Der Beschwer­de­führer wurde im Oktober 1987 wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten sowie zur Tragung der Verfah­rens­kosten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet. Er wurde seitdem mehrmals begutachtet. Die Kosten für die Progno­se­gut­achten machte die Staats­an­walt­schaft gegenüber dem Beschwer­de­führer geltend.

Der Beschwer­de­führer hat die Summe aller Forderungen auf ca. 6.500 € beziffert. Für die letzte Begutachtung wurden Kosten in Höhe von rd. 852 € in Ansatz gebracht. Hiergegen eingelegte Rechtsmittel des Beschwer­de­führers blieben vor dem Landgericht und Oberlan­des­gericht Koblenz ohne Erfolg. Seine Verfas­sungs­be­schwerde ist von der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nicht zur Entscheidung angenommen worden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die Verfas­sungs­be­schwerde ist teilweise unzulässig.

a) Die Auferlegung der Auslagen kann in Widerstreit mit dem Resozi­a­li­sie­rungsgebot geraten, wenn weder das vorhandene Vermögen des Verurteilten noch seine derzeitigen oder zukünftigen Einkünfte eine Befriedigung der Verbindlichkeit in absehbarer Zeit erwarten lassen und hierdurch die Wieder­ein­glie­derung in die Gesellschaft erschwert wird. Allerdings beeinträchtigt die Erhebung von Kosten nicht zwangsläufig die Wieder­ein­glie­derung des Verurteilten; es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. So treffen die Kosten den hart, der sie gerade noch bezahlen kann, während sie denjenigen relativ unbehelligt lassen, der sie entweder ohne Anstrengung begleichen kann oder bei dem jeder Vollstre­ckungs­versuch wegen Vermö­gens­lo­sigkeit sinnlos ist. Auf der Grundlage der geltenden Gesetze und weiteren Rechts­vor­schriften kann den unter­schied­lichen wirtschaft­lichen Verhältnissen der Verurteilten angemessen Rechnung getragen werden, sei es durch die Bewilligung von Zahlungs­er­leich­te­rungen, durch Absehen von einem Kostenansatz oder durch (auch teilweises) Unterbleiben der Vollstreckung der Kostenforderung.

Ob im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen das Resozi­a­li­sie­rungsgebot vorliegt, kann aufgrund des nicht hinreichend substantiierten Beschwer­de­vor­bringens nicht beurteilt werden. Der Beschwer­de­führer hat lediglich ausgeführt, er sei inzwischen allein wegen der Kosten der Pflicht­gut­achten „hoch verschuldet“, ohne dies näher zu konkretisieren. Seiner Verfas­sungs­be­schwerde ist auch nicht zu entnehmen, ob die Unzumutbarkeit der Kostenerhebung bereits im fachge­richt­lichen Verfahren eingewandt wurde.

b) Die nicht hinreichend substantiierten Ausführungen des Beschwer­de­führers lassen auch keine Prüfung der Frage zu, ob der Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz verletzt ist. Dabei bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhält­nis­mä­ßigkeit nicht schon von vornherein Bedenken gegen die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der straf­pro­zess­recht­lichen Kosten­re­ge­lungen (§§ 465, 464 a StPO). Der Kostenzuordnung nach diesen Regelungen liegt der Veran­las­sungs­gedanke zu Grunde. Dessen Kern ist die Ursächlichkeit des verurteilten Angeklagten für die Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens und damit auch für die Entstehung der hiermit verbundenen Kosten. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat das Veran­las­sungs­prinzip im straf­pro­zes­sualen Kostenrecht wiederholt als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen. Die Erwägung, es sei eher an dem ermittelten Täter als an der Gemeinschaft, die adäquaten Folgen seines sozial­schäd­lichen Verhaltens in Form der Kosten des gerichtlichen Verfahrens und der zur Abwehr künftiger Siche­rungs­maß­nahmen zu tragen, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Siche­rungs­ver­wahrung in erster Linie öffentlichen Sicher­heits­be­dürf­nissen dient, führt von Verfassungs wegen zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch das Strafverfahren sowie die Straf­voll­streckung dienen ganz überwiegend den Interessen der Allgemeinheit. Ob allerdings dem Beschwer­de­führer die Auferlegung der Auslagen hier zumutbar ist, lässt sich anhand der unvollständigen Angaben zu den persönlichen Einkommens- und Vermö­gens­ver­hält­nissen nicht beurteilen.

2. Im Übrigen ist die Verfas­sungs­be­schwerde unbegründet.

a) Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen weder gegen das Verbot der Mehrfach­be­strafung noch den Grundsatz der Schuld­an­ge­mes­senheit des Strafens. Bei der Auferlegung von Verfah­rens­kosten handelt es sich nicht um die Verhängung einer Strafe. Die Kostenpflicht des verurteilten Täters ist eine allgemeine justiz­ver­wal­tungs­rechtliche Pflicht, die ausschließlich fiskalische Gründe hat.

b) Die unter­schiedliche Ausgestaltung der Kostentragung in Unter­brin­gungs­sachen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einerseits und im straf­pro­zes­sualen Nachtrags­ver­fahren andererseits verstößt nicht gegen den Gleich­heits­grundsatz, da sie sachlich gerechtfertigt ist. Die Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit über die Unterbringung sind vor allem auf die Gewährung von Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Personen ausgerichtet, während bei der Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung und bei der fortgesetzten Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Schuld die Sicherung der Allgemeinheit vor den vom Verurteilten ausgehenden Gefahren im Mittelpunkt steht.

c) Die Rechtsanwendung in den angegriffenen Entscheidungen lässt einen Verfas­sungs­verstoß nicht erkennen. Nach den Vorschriften der Straf­pro­zess­ordnung (§§ 465, 464 a StPO) hat der Verurteilte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dazu gehören auch die Vollstre­ckungs­kosten, einschließlich der Kosten einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung. Ordnet das Gericht im Vorfeld einer Entscheidung über die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten für die Gefähr­lich­keits­prognose an, so ist es jedenfalls von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, die Kosten des Gutachtens zu den Vollstre­ckungs­kosten zu rechnen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 70/06 des BVerfG vom 01.08.2006

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