24.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil07.04.2011

BSG: Stalking ist nicht generell als tätlicher Angriff anzusehenAusschließlich psychische Einwirkungen für Opferent­schä­digung nicht ausreichend

Stalking-Opfer, das heißt Personen, die unter beharrlichen Nachstellungen gelitten haben, können nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Leistungen nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz rechnen. Demnach ist die Drohung mit Gewalt nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn die Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht. Hingegen reichen "gewaltlose", insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer für eine Opferent­schä­digung nicht aus. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­so­zi­al­ge­richts hervor.

Nach dem Opferent­schä­di­gungs­gesetz kann jemand Versor­gungs­leis­tungen beanspruchen, wenn er infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

Im zugrunde liegenden Fall hatte die inzwischen 60-jährige Klägerin mehrere Monate mit einem alkoholkranken Mann zusammengelebt. Ab Oktober 2001 versuchte sie, diese Beziehung zu beenden. Der Mann akzeptierte dies nicht und stellte der Klägerin über zwei Jahre lang nach. Er lauerte ihr immer wieder auf, um sie zu verfolgen und mit ihr zu sprechen, rief sie häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit an und sandte ihr SMS, Briefe, Postkarten und "Geschenke". Darüber hinaus veranlasste er missbräuchlich u.a. Einsätze von Polizei, Notarzt und Feuerwehr zur Wohnung der Klägerin. Wiederholt kam es zu Bomben- oder Todesdrohungen des Mannes gegenüber der Klägerin und ihren Familien­an­ge­hörigen. Obwohl gegen ihn zwei gerichtliche Schutz­a­n­ord­nungen nach dem Gewalt­schutz­gesetz ergangen waren, ließ er nicht von der Klägerin ab, bis er schließlich wegen Bedrohung und mehrfachen Verstoßes gegen die Schutz­a­n­ord­nungen zu Freiheits­s­trafen verurteilt wurde. Über den gesamten Zeitraum der Nachstellungen kam es – abgesehen von einem Griff an den Arm mit Herumreißen der Klägerin vor einem Geschäft – nicht zu körperlichen Übergriffen.

Jahrelange Nachstellungen führten bei Klägerin zur Feststellung einer Schwer­be­hin­der­te­nei­gen­schaft

Die Klägerin wechselte infolge der jahrelangen Nachstellungen zweimal ihre Wohnung und ließ Auskunfts­s­perren (Adresse, Telefonnummer) einrichten. Sie erkrankte schließlich an einer posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen; diese Erkrankung führte bei ihr zur Feststellung der Schwer­be­hin­der­te­nei­gen­schaft.

Drohung mit Gewalt nur bei unmittelbar bevorstehender Gewaltanwendung als tätlicher Angriff anzusehen

Nach Auffassung des Bundes­so­zi­al­ge­richts ist Stalking, das seit 2007 ein besonderer Straftatbestand ist, nicht generell als tätlicher Angriff im Sinne des Opferent­schä­di­gungs­ge­setzes zu werten. Dieser Begriff setzt grundsätzlich eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus. Je geringer dabei die Kraftanwendung durch den Täter ist, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Drohung mit Gewalt ist nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn die Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht. Hingegen reichen "gewaltlose", insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer nicht aus.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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