21.11.2024
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Sie sehen ein altes Ehepaar auf einer Parkbank.

Dokument-Nr. 28781

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Bundessozialgericht Urteil26.05.2020

BSG: Genehmigungs­fiktion begründet keinen eigenständigen Anspruch auf beantragte SachleistungVorliegen einer vorläufigen Rechtsposition

Stellen Versicherte bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Leistungen, muss die Krankenkasse hierüber innerhalb kurzer Fristen entscheiden. Versäumt sie diese Fristen, gilt die Leistung als genehmigt (§ 13 Absatz 3a Satz 6 SGB V). Wie der 1. Senat des Bundes­sozial­gerichts 2020 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden hat, begründet die Genehmigungs­fiktion keinen eigenständigen Anspruch auf die beantragte Sachleistung. Sie vermittelt dem Versicherten (nur) eine vorläufige Rechtsposition.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger beantragte zur Behandlung seiner Gangstörung die Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra. Dieses Medikament ist nur zur Behandlung einer Gangstörung bei Multipler Sklerose zugelassen; der Kläger leidet jedoch an einer anderen Krankheit. Die Beklagte lehnte den Antrag erst nach Ablauf der maßgeblichen Frist ab. Der Kläger hat sich das Medikament nicht selbst beschafft, sondern verlangt die zukünftige Versorgung im Wege der Sachleistung auf "Kassenrezept". Die Vorinstanzen haben - gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des 1. Senats zur Geneh­mi­gungs­fiktion - die Beklagte verurteilt, den Kläger entsprechend ärztlicher Verordnung mit einem Arzneimittel zu versorgen.

Aus der Geneh­mi­gungs­funktion ergibt sich kein Sachleis­tungs­an­spruch

Das BSG hat das Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts aufgehoben, weil sich allein aus der Geneh­mi­gungs­fiktion kein Sachleis­tungs­an­spruch ergibt, und die Sache an das Landes­so­zi­al­gericht zurückverwiesen. Es bleibt nur ein möglicher Anspruch nach den vom Bundes­so­zi­al­gericht entwickelten Grundsätzen zum Off-Label-Use. Dazu hat das Landes­so­zi­al­gericht - nach seiner Rechts­auf­fassung folgerichtig - bisher keine Feststellungen getroffen.

Eingetretene Geneh­mi­gungs­fiktion ist kein Verwaltungsakt

Die vorläufige Rechtsposition erlaubt es dem Versicherten, sich die Leistung selbst zu beschaffen. Das bewirkt die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verfah­rens­be­schleu­nigung und sanktioniert verspätete Entscheidungen der Krankenkasse. Sie muss die Kosten der selbst­be­schafften Leistung nämlich auch dann erstatten, wenn nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Versicherte im Zeitpunkt der Selbst­be­schaffung "gutgläubig" war. Gutgläubig war er dann, wenn er weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des Anspruchs hatte. Die eingetretene Geneh­mi­gungs­fiktion ist kein Verwaltungsakt und schließt das Verwal­tungs­ver­fahren nicht ab. Die Krankenkasse ist deshalb weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den Leistungsantrag zu entscheiden. Die durch die Geneh­mi­gungs­fiktion eröffnete Möglichkeit der Selbst­be­schaffung endet, wenn über den materiell-rechtlichen Leistungs­an­spruch bindend entschieden worden ist oder sich der Antrag anderweitig erledigt hat. Die bestands­kräftige Entscheidung über den Leistungsantrag vermittelt dem Versicherten positive Kenntnis darüber, ob er die beantragte Leistung beanspruchen kann. Während eines laufenden Widerspruchs- oder Gerichts­ver­fahrens bleibt das Recht, sich die Leistung selbst zu beschaffen, erhalten, solange der Versicherte gutgläubig ist.

Quelle: Bundessozialgericht, ra-online(pm/ku)

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