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Dokument-Nr. 3180

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Urteil11.10.2006BundesgerichtshofXII ZR 79/04
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Bundesgerichtshof Urteil11.10.2006

Unscheidbarkeit der Ehe kann mit ordre public unvereinbar seinBeharren auf gescheiterer Ehe verstößt gegen Grundsatz von Schutz der Ehe und Familie

Der Bundes­ge­richtshof hatte über den Schei­dungs­antrag einer syrischen Staats­an­ge­hörigen zu entscheiden. Beide Parteien, auch der Ehemann ist Syrer, lebten seit Jahren getrennt als Asylbewerber in Deutschland und haben eine jetzt zehnjährige Tochter. Der Ehemann gehört einer katholischen, die Ehefrau der syrisch-orthodoxen Kirche an. Sie waren 1993 in Syrien von einem Priester der chaldäischen Kirche getraut worden.

Die Vorinstanzen hatten die Scheidung abgelehnt, weil für die Parteien nach dem hier anzuwendenden syrischen Recht das Ostkirchenrecht maßgeblich sei, nämlich der 1990 von Papst Johannes Paul II. promulgierte Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO). Danach könne die Ehe nicht geschieden werden. Das sei mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar, wie der Bundes­ge­richtshof 1964 in zwei Entscheidungen bestätigt habe. Denn Art. 6 Abs. 1 GG schütze vor allem die bestehende Ehe.

Auf die Revision der Antragstellerin hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Verhandlung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen:

Dieses wird zunächst zu prüfen haben, ob die Ehe der Parteien überhaupt wirksam geschlossen wurde. Das richtet sich, da die Religi­o­ns­zu­ge­hö­rigkeit des Ehemannes nicht eindeutig festgestellt ist, aufgrund der Weiter­ver­weisung des syrischen Kolli­si­ons­rechts entweder nach dem CCEO oder nach dem Codex Iuris Canonici (CIC). Fehlt es danach an einer der Wirksam­keits­vor­aus­set­zungen nach kanonischem Recht (etwa, weil die Ehe wie hier vor dem Priester einer Kirche geschlossen wurde, der keine der Parteien angehört), wird es bei der Abweisung des Schei­dungs­an­trages verbleiben müssen, da eine in Wirklichkeit nicht bestehende Ehe nicht geschieden werden kann.

Erweist sich die Ehe als wirksam geschlossen, wird zu prüfen sein, ob zumindest die Ehefrau nach Art. 12 der Genfer Flücht­lings­kon­vention Flücht­lings­status hatte. Dann wäre sie im Schei­dungs­ver­fahren wie eine Deutsche zu behandeln mit der Folge, daß deutsches Recht anzuwenden ist.

Ist dies nicht der Fall, wird das Oberlan­des­gericht zu prüfen haben, ob die Anwendung des dann einschlägigen kanonischen Rechts im Einzelfall wegen Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG und dem deutschen ordre public außer Betracht bleiben muß.

Insoweit hat der Senat ausgeführt, er halte an seinen vor 42 Jahren ergangenen Entscheidungen nicht mehr fest. Diese seien vor der Eherechtsreform vom 14. Juni 1976 und damit zu einer Zeit ergangen, als eine Ehe auch nach deutschem Recht nur aus Verschulden eines oder beider Ehepartner geschieden werden konnte. Inzwischen habe das Bundes­ver­fas­sungs­gericht mit seiner "Spanie­rent­scheidung" vom 4. Mai 1971 in Fällen mit Auslandsbezug eine stärkere Beachtung der Grundrechte gefordert und betont, Art. 6 Abs. 1 GG schütze auch die Möglichkeit, durch Scheidung die Freiheit zur Eheschließung wieder­zu­er­langen.

Auch sei der Begriff des ordre public nicht statisch, sondern folge dem Wandel der elementaren Wertvor­stel­lungen der deutschen und zunehmend auch der europäischen Rechts­ge­mein­schaft. Dieser Wandel zeige sich auch darin, dass es in Europa, soweit ersichtlich, vor staatlichen Gerichten unscheidbare Ehen inzwischen nur noch in Andorra, Malta und dem Vatikanstaat gebe.

Deshalb könne es sich im Einzelfall als nicht hinnehmbar erweisen, einen Ehegatten gegen seinen Willen an einer unheilbar zerrütteten Ehe lebenslang festzuhalten. Insoweit sei gegebenenfalls auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich andernfalls einen erneuten Kinderwunsch nur um den Preis eines Ehebruchs erfüllen könnte und der Tochter endgültig die Chance genommen würde, mit einem neuen Partner ihrer Mutter in einer durch das Institut der Ehe gefestigten Familie aufzuwachsen.

Erläuterungen

Vorinstanzen

AG Singen – Entscheidung vom 29.7.2003 - 4 F 30/03

OLG Karlsruhe - Entscheidung vom 23.4.2004 - 5 UF 205/03

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 135/06 des BGH vom 12.10.2006

der Leitsatz

§ 2 Abs. 1; Genfer Abkommen Art. 12; Syrien: PersonalstatutG Nr. 59 Art. 308; Syrien: RelGe­mein­schaf­ten­Statut Art. 23; Codex Iuris Canonici (CIC) cann. 1117, 1127, 1141; Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) cann. 780 § 2, 781 § 1 Nr.1, 853

a) Zu den Voraussetzungen des kanonischen Rechts für die Wirksamkeit einer Ehe, die syrische Staats­an­ge­hörige in Syrien vor dem Priester einer chaldäischen Kirche geschlossen haben, wenn der Ehemann entweder der römisch-katholischen oder der (as)syrisch-katholischen und die Ehefrau der syrisch-orthodoxen Kirche angehört.

b) Zur Frage des auf den Schei­dungs­antrag der Ehefrau anzuwendenden Sachrechts, wenn beide Parteien im Zeitpunkt der Rechts­hän­gigkeit als Asylbewerber oder zumindest als Bezieher von Leistungen nach dem Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz in Deutschland lebten.

c) Zur Frage, ob die Unscheidbarkeit der Ehe nach kanonischem Recht mit Art. 6 Abs. 1 GG und deutschem ordre public vereinbar ist (Aufgabe des Senats­be­schlusses BGHZ 41, 136, 147 und des Senatsurteils BGHZ 42, 7, 11).

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