23.11.2024
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Dokument-Nr. 32037

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Beschluss02.08.2022BundesgerichtshofX ZR 53/21
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht München, Urteil08.12.2020, 243 C 10984/20
  • Landgericht München I, Urteil22.06.2021, 13 S 669/21
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss02.08.2022

Stornokosten bei Reiserücktritt zu Corona-Pandemie-Beginn: BGH ruft den EuGH mit der Frage an, ob die Umstände für einen Reiserücktritt schon zum Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen oder auch spätere Umstände zu berücksichtigen sindVorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu den Folgen eines Reiserücktritts wegen Covid 19

Der unter anderem für Pauscha­l­rei­serecht zuständige X. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Auslegung der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegt.

Der Kläger buchte bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12. April 2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 Euro.

In Japan waren Anfang Februar Schutzmasken im gesamten Land ausverkauft. Ende Februar schlossen die großen Vergnü­gungsparks, sportliche Großver­an­stal­tungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 26. Februar 2020 beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großver­an­stal­tungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen.

Der Kläger trat am 1. März 2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 1.537 Euro (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26. März 2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung von 1.537 Euro nebst Zinsen und vorge­richt­lichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro verurteilt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht den zu zahlenden Betrag auf 14,50 Euro zuzüglich vorge­richt­licher Kosten in Höhe von 83,54 Euro reduziert und die weitergehende Klage abgewiesen.

Mit seiner vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Rückzah­lungs­an­spruch in voller Höhe weiter.

Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs

Nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie) ab. Deshalb hat er die relevante Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt.

Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reise­ver­an­stalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651 h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschä­di­gungs­an­spruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651 h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außer­ge­wöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

In Insta­nz­recht­sprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen, oder ob der Entschä­di­gungs­an­spruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktritts­er­klärung aufgetreten sind.

Im Streitfall hat das Landgericht auf den Zeitpunkt der Rücktritts­er­klärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beein­träch­tigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 1. März 2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war. Der Bundes­ge­richtshof hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das Landgericht sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 1. März 2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infek­ti­o­ns­gefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste er die Sache an das Landgericht zurückverweisen.

Eine Zurück­ver­weisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschä­di­gungs­an­spruch schon wegen des nach dem Rücktritt am 26. März 2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der Bundes­ge­richtshof neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind. Er hat die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt, weil aufgrund einer Vorlage des öster­rei­chischen Obersten Gerichtshofs vom 25. Januar 2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651 h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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