15.11.2024
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Dokument-Nr. 5792

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Urteil19.03.2008BundesgerichtshofVIII ZR 68/07
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Böblingen, Urteil28.04.2006, 4 C 594/06
  • Landgericht Stuttgart, Urteil29.01.2007, 5 S 166/06
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil19.03.2008

Zustellung eines Vollstre­ckungs­be­scheids an eine prozessunfähige Partei setzt Einspruchsfrist in GangIm Interesse der Rechts­si­cherheit darf der formelle Akt der Zustellung nicht wegen nicht erkennbarer Mängel in Frage gestellt werden

Der Bundes­ge­richtshof hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Zustellung eines Vollstre­ckungs­be­scheids an eine – aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar – prozessunfähige Partei die Einspruchsfrist in Gang setzt.

Der Kläger erwirkte gegen den Beklagten wegen einer Mietforderung in Höhe von 900 € einen Vollstre­ckungs­be­scheid des Amtsgerichts Stuttgart, der dem Beklagten am 24. September 2003 zugestellt wurde. Sein Einspruch ging am 6. März 2006 bei dem Amtsgericht ein.

Beklagter war zum Zeitpunkt der Zustellung geschäfts­unfähig

Der Beklagte hat geltend gemacht, die Einspruchsfrist sei mangels wirksamer Zustellung des Vollstre­ckungs­be­scheids noch nicht abgelaufen, weil er von Mitte 2002 bis Ende 2004 wegen einer Alkoho­le­r­krankung geschäfts­unfähig gewesen sei. Das Amtsgericht hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Geschäfts­un­fä­higkeit unerheblich - Frist wurde in Gang gesetzt

Die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Zustellung des Vollstre­ckungs­be­scheids an den Beklagten am 24. September 2003 die zweiwöchige Einspruchsfrist (§ 700 Abs. 1, § 339 ZPO) auch dann in Gang gesetzt hat, wenn der Beklagte zu diesem Zeitpunkt geschäfts- und damit auch prozessunfähig war. Das entsprach bereits unter Geltung von § 171 Abs. 1 ZPO alter Fassung* der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs (BGHZ 104, 109). Daran ist auch unter Geltung von § 170 Abs. 1 ZPO neuer Fassung** festzuhalten. Die dafür maßgeblichen Gründe bestehen unverändert fort.

BGH: Beklagter kann Nichtig­keitsklage erheben

Zum einen sieht die Zivil­pro­zess­ordnung eine Nichtig­keitsklage gegen einen Vollstre­ckungs­be­scheid auch für den Fall vor, dass eine Partei im Verfahren nicht ordnungsgemäß vertreten war (§ 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 Abs. 3 ZPO). Dies setzt voraus, dass ein Vollstre­ckungs­be­scheid rechtskräftig werden kann, obwohl der (unerkannt) Geschäfts­un­fähige im Verfahren nicht vertreten war.

BGH: Im Interesse der Rechts­si­cherheit darf der formelle Akt der Zustellung nicht wegen nicht erkennbarer Mängel in Frage gestellt werden

Zum anderen ist es im Interesse von Rechtsfrieden und Rechts­si­cherheit geboten, Prozesse möglichst bald durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung zu beenden. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der formelle Akt der Zustellung in seiner Wirkung, die Rechts­be­helfsfrist in Lauf zu setzen, durch Mängel, die bei der Zustellung nicht erkennbar sind und erst in einem längeren Verfahren geprüft werden müssten, in Frage gestellt würde.

Die betroffene Partei ist durch die Möglichkeit der Nichtig­keitsklage ausreichend geschützt. Die (einmonatige) Frist für die Erhebung einer solchen Klage beginnt erst mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter bzw. – bei nur vorübergehender Geschäfts­un­fä­higkeit – mit der erneuten Zustellung an die wieder prozessfähige Partei. Da eine erneute Zustellung hier noch nicht erfolgt ist, steht dem Beklagten die Möglichkeit der Nichtig­keitsklage noch zur Verfügung.

Erläuterungen:

Erläuterungen
*§ 171 Abs. 1 ZPO (in der bis zum 30. Juni 2002 gültigen Fassung) lautete: "Die Zustellungen, die an eine Partei bewirkt werden sollen, erfolgen für die nicht prozessfähigen Personen an ihre gesetzlichen Vertreter."

**§ 170 Abs. 1 ZPO (in der Fassung des am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Zustel­lungs­re­form­ge­setzes vom 25. Juni 2001, BGBl. I S. 1206) lautet: "Bei nicht prozessfähigen Personen ist an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam."

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 55/08 des BGH vom 19.03.2008

der Leitsatz

ZPO § 170 Abs. 1

Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstre­ckungs­be­scheids an eine - aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar - prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang (Bestätigung von BGHZ 104, 109).

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