23.11.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.
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Bundesgerichtshof Urteil24.09.1985

BGH zur Unwirksamkeit eines generellen Haftungs­aus­schlusses durch AGBUnfall auf dem Nürburgring: Verletzter Teilnehmer eines Fahrerlehrgangs hat Anspruch auf Schadensersatz

Der Kläger forderte Schadensersatz wegen Verletzungen, die er als Teilnehmer an einem Fahrerlehrgang auf dem Nürburgring erlitten hatte. In Folge eines Unfalls hatte er das rechte Bein verloren. Die daraufhin in Anspruch genommene gegnerische Haftpflicht­ver­si­cherung meinte u.a., wegen eines vertraglichen Haftungs­aus­schlusses zwischen Kläger und Veranstalter des Lehrgangs keinen Schadensersatz leisten zu müssen. Erst in der Revision gab der Bundes­ge­richtshof dem Kläger Recht und wies die Klage an das Oberlan­des­gericht Koblenz zurück.

Veranstalter des 18. Internationalen Lehrgangs für Wagen und Motorräder war der Internationale Verband der BMW-Clubs e.V. Für die mehrtätige Veranstaltungen waren eine Antischleu­der­schule und Gefah­ren­training vorgesehen. Den Teilnehmern sollte unter anderem vermittelt werden, ihr Fahrzeug auf der Ideallinie zu beherrschen. Bei einer Fahrvorführung, bei der ein Rennfahrer die Ideallinie demonstrieren sollte, verlor dieser die Kontrolle über den bei der Beklagten haftpflicht­ver­si­cherten BMW. Der Wagen erfasste den Kläger am Rand der Strecke vor der Leitplanke. Ihm musste aufgrund der schweren Verletzungen das rechte Bein ab Mitte des Unterschenkels amputiert werden.

Rennfahrer startete, bevor sich Übungs­teil­nehmer in Sicherheit bringen konnten

Mit seiner Klage machte er einen Feststel­lungs­an­spruch hinsichtlich des materiellen Zukunfts­schadens geltend. Er berief sich darauf, dass der Rennfahrer den Unfall überwiegend verschuldet habe, da er entgegen der ausdrücklichen Weisung mit stark überhöhter Geschwindigkeit herangekommen sei, ehe die Teilnehmer der Übungsgruppe ihre Plätze hätten einnehmen können. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung bestätigte das Urteil.

Haftungs­aus­schluss in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen ...

Das Berufungs­gericht begründete seine Entscheidung mit der vertraglichen Haftungs­frei­stellung zwischen Veranstalter und Kläger. In den Ausschrei­bungs­be­din­gungen war folgende Klausel enthalten: "[...] Der Veranstalter sowie alle mit der Veranstaltung in Verbindung stehenden Organisationen lehnen für sich den Fahrern [...] gegenüber jede Haftung für Personen-, Sach- und Vermö­gens­schäden [...] ab. Die Teilnehmer fahren fahren in jeder Hinsicht auf eigene Gefahr [...]." Weiterhin hieß es: "Mit Abgabe der Nennung verzichtet jeder Teilnehmer auf die Anrufung der ordentlichen Gerichte."

... ist unwirksam

Dieser Haftungsausschluss - so das Berufungs­gericht - schließe den Klageanspruch aus. Zwar sei ein genereller Haftungs­aus­schluss für jedes Verschulden nach § 11 Nr. 7 des Gesetzes über Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen (AGBG) unwirksam. Bei dem Fahrerlehrgang sei aber der Ausschluss für leichte Fahrlässigkeit zulässig. Dem widersprach der BGH in seiner Revisi­ons­ent­scheidung: Diese Klausel sei wegen Verstoßes gegen § 11 Nr. 7 AGBG unwirksam.

Keine Reduktion des generellen Haftungs­aus­schlusses auf gesetzlich zulässigen Teil

Nach Wortlaut und Sinn habe die Klausel der Ausschrei­bungs­be­din­gungen auch die Haftung des Unfallfahrers ausschließen sollen, denn die Klausel nenne alle mit der Veranstaltung in Verbindung stehenden Einzelpersonen. Einer derart umfassenden formularmäßigen Freizeichnung stehe das AGBG entgegen. Danach sei ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für einen Schaden, der auf einer grob fahrlässigen Vertrags­ver­letzung des Verwenders oder seines Erfül­lungs­ge­hilfen beruhe, in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen unwirksam.

Verwender der AGB trägt Formu­lie­rungs­risiko

Der Veranstalter habe die Haftung für sich und seine Helfer umfassend, also für jedes Verschulden, formularmäßig abbedingen wollen. Es sei gefestigte Rechtsprechung des BGH, Klauseln in AGB, die gegen §§ 9 bis 11 AGBG verstoßen, grundsätzlich als insgesamt unwirksam zu behandeln und sie nicht auf dem Wege einer sogenannten "geltungs­er­hal­tenden Reduktion" auf den gesetzlich zulässigen Restbestand zurückzuführen. Dieses Ziel würde unterlaufen, wenn es dem Verwender möglich bliebe, seine AGB einseitig in seinem Interesse auszugestalten, um es dann der Initiative seines Vertrags­partners und den Gerichten zu überlassen, dass derartige Klauseln auf das gerade noch zulässige Maß zurückgeführt werden.

Geltungs­er­haltende Reduktion nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig

Dem Prinzip, dass die Benutzung von Formu­l­a­r­be­din­gungen stets auf das Risiko des Verwenders gehe, entspreche es vielmehr in aller Regel, eine das Interesse des Verwenders im Übermaß herausstellende und gesetzlich verbotene Klausel insgesamt als ungeschrieben zu behandeln und an ihrer Stelle die gesetzliche Regelung treten zu lassen. Etwas anderes könne nur in den Fällen, in denen die Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel eine Lücke in der gesetzlichen Regelung offenbare, die die beteiligten Interessen beider Seiten unangemessen geregelt sein lasse, gelten.

Fahrertraining bedarf keiner rechtlichen Sonderlösung

Dies sei vorliegend aber nicht der Fall. Denn von einer solchen "geset­ze­s­er­gän­zenden" Klausel könne nur dann gesprochen werden, wenn die betroffenen Interessen in ihrer typischen Verknüpfung Sonderlösungen erheischen, für die die gesetzliche Regelung nicht konzipiert sei. Allein der Umstand, dass die Teilnehmer an dem Fahrerlehrgang mit Antischleu­der­schule und Gefah­ren­training ein gewisses, dem Training typischerweise innewohnendes erhöhtes Risiko eingegangen seien, rechtfertige es nicht, die Haftung des Veranstalters und seiner Beauftragten für die Gefahr, wie sie sich im Streitfall verwirklicht habe, im Wege der vertrags­er­gän­zenden Auslegung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu beschränken.

Unfall war nicht als voraussehbare Möglichkeit einkalkuliert

Die Demonstration der "Ideallinie" habe nicht typischerweise die Gefahr in sich geborgen, dass der Demonstrant die Herrschaft über sein Fahrzeug verlieren konnte, wie dies beispielsweise bei Autorennen als voraussehbare Möglichkeit einkalkuliert werde. Bei dem Fahrerlehrgang sei es vielmehr gerade um eine mögliche Verringerung der Unfallrisiken durch bessere Beherrschung der Fahrerrisiken ausgerichtet. Keineswegs sei das Training von vornherein durch Risiken geprägt gewesen, wie sie sich schließlich verwirklichten.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)

der Leitsatz

PflVG 1965 § 3 Nr. 8; AGBG §§ 6 Abs. 2, 11 Nr. 7

a) Der Geschädigte ist durch § 3 Nr. 8 PflVG nicht gehindert, nach rechtskräftiger Abweisung seiner Schaden­s­er­satzklage gegen den Halter des schädigenden Kraftfahrzeugs den Fahrer desselben und wegen dessen Haftung den Haftpflicht­ver­si­cherer nach § 3 Nr. 1 PflVG in Anspruch zu nehmen.

b) Bei Verstoß einer formularmäßigen Haftungs­frei­zeichnung gegen § 11 Nr. 7 AGB-G ist die Klausel grundsätzlich insgesamt unwirksam und nicht im Wege "geltungs­er­hal­tender Reduktion" auf einen Restbestand zurückzuführen, mit dem sie nicht in Widerspruch zu den §§ 9 bis 11 AGB-G steht. Die Ersetzung der unwirksamen Freizeich­nungs­klausel durch eine den gesetzlichen Haftungsmaßstab abändernde Regelung im Wege ergänzender Vertrags­aus­legung kommt nur für Sonderlagen in Betracht, in denen die gesetzliche Risiko­ver­teilung für den Verwender und seine Leute selbst bei voller Berück­sich­tigung der Interessen der anderen Seite typischer Weise unangemessen ist.

c) Zur formularmäßigen Haftungs­frei­zeichnung für jedes Verschulden zugunsten des Veranstalters eines Fahrerlehrgangs zur besseren Beherrschung des Kraftfahrzeugs in Gefah­ren­si­tua­tionen.

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