23.11.2024
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Dokument-Nr. 32176

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Urteil16.09.2022BundesgerichtshofV ZR 69/21
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Köln, Urteil21.07.2020, 204 C 171/19
  • Landgericht Köln, Urteil18.03.2021, 29 S 146/20
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Bundesgerichtshof Urteil16.09.2022

Gebäude­versicherung: Wohnungs­ei­gentümer müssen sich Versicherungs-Selbstbehalt im Schadensfall teilenBGH zur Verteilung des im Gebäude­versi­che­rungs­vertrag vereinbarten Selbstbehalts auf die Wohnungs­ei­gentümer

Bei einem Leitungs­wasser­schaden, der im räumlichen Bereich des Sondereigentums eines Wohnungs­ei­gen­tümers eingetreten ist, ist der im Gebäude­versi­che­rungs­vertrag vereinbarte Selbstbehalt - vorbehaltlich einer abweichenden Regelung - von allen Wohnungs­ei­gen­tümern gemein­schaftlich zu tragen. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Die Parteien bilden eine Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft. Zu der Anlage gehören die Wohnungen der Beklagten und die gewerbliche Einheit der Klägerin. Die Gemeinschaft unterhält eine Gebäudeversicherung, die neben anderen Risiken auch Leitungs­was­ser­schäden abdeckt (sog. verbundene Gebäu­de­ver­si­cherung). Der Versi­che­rungs­schutz besteht für das gesamte Gebäude, ohne dass zwischen Sonder- und Gemein­schafts­ei­gentum unterschieden wird. In der Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Leitungen (Kupferrohre) wiederholt Wasserschäden in den Wohnungen der Beklagten auf, die sich allein im Jahr 2018 auf rd. 85.000 € beliefen. Die Gemeinschaft macht deshalb bereits seit geraumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das Unternehmen geltend, das die Leitungen verlegt hat. Bislang ist die Praxis in der Gemeinschaft so, dass die Verwalterin bei einem Wasserschaden ein Fachunternehmen mit der Schadens­be­sei­tigung beauftragt und die Kosten von dem Gemein­schaftskonto begleicht. Sie nimmt die Versicherung in Anspruch und legt die Kosten unter Abzug der Versi­che­rungs­leistung nach Mitei­gen­tums­an­teilen um, und zwar auch insoweit, als die Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden sind. Aufgrund der Schadens­häu­figkeit beträgt der in jedem Schadensfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen 7.500 €. Dies hat zur Folge, dass die Versicherung nur noch ca. 25 % der Schäden erstattet. Gestützt auf die Behauptung, die Mängel an den Leitungen seien jeweils hinter den Absper­rein­rich­tungen in den betroffenen Wohneinheiten aufgetreten, verlangt die Klägerin mit ihrer auf zwei Anträge gestützten Beschlus­ser­set­zungsklage eine von der bisherigen Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts. Sie will erreichen, dass sie nicht aufgrund des im Versi­che­rungs­vertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an den Kosten für die Beseitigung von Leitungs- und Folgeschäden beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich an dem Sondereigentum der Beklagten entstanden sind; auch verweist sie darauf, dass in ihrer Einheit bislang kein Schaden aufgetreten ist.

Vorinstanzen wiesen die Klage ab

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem Landgericht ist erfolglos geblieben. Dagegen hat sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision gewandt.

Bundes­ge­richtshof gibt der Klage teilweise statt

Keinen Erfolg hatte die Revision, soweit sich die Klägerin mit dem Antrag zu 1 gegen die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Verwal­tung­s­praxis wendet. Anders verhält es sich im Hinblick auf den Antrag zu 2, der einen Anspruch der Klägerin auf die künftige Änderung des Kosten­ver­tei­lungs­sch­lüssels zum Gegenstand hat. Insoweit hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die für den Erfolg einer Beschlus­ser­set­zungsklage erforderliche Beschluss­kom­petenz der Wohnungseigentümer betreffend den Antrag zu 1 ist gegeben. Kommt es für die Beurteilung, ob eine Verwal­tungs­maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, - wie hier - auf eine umstrittene und höchst­rich­terlich ungeklärte Rechtsfrage an, ist die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer berechtigt, durch Mehrheits­be­schluss zu entscheiden, welche Auffassung für die künftige Verwal­tung­s­praxis maßgeblich sein soll. Dass der Rechtsstreit gegen das Unternehmen, das die Kupfer­rohr­lei­tungen verlegt hatte, noch nicht abgeschlossen ist, lässt den Regelungsbedarf für die Beschlus­ser­set­zungsklage nicht entfallen. Hierauf muss sich die Klägerin nicht verweisen lassen, zumal die Dauer des Verfahrens nicht absehbar ist.

BGH: Selbstbehalt ist wie die Versi­che­rungs­prämie auch anteilig zu verteilen

Da die in der Gemeinschaft derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts bei einem Leitungswasserschaden nach Mitei­gen­tums­an­teilen rechtmäßig ist, kann die Klägerin nicht verlangen, dass ein ihrer Rechts­auf­fassung entsprechender Beschluss durch das Gericht ersetzt wird. Hierauf zielt der Antrag zu 1. Tritt in einer Wohnungs­ei­gen­tums­anlage aufgrund einer defekten Wasserleitung ein Schaden ein, ist ein von der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer in der verbundenen Gebäu­de­ver­si­cherung vereinbarter Selbstbehalt, durch den der Versicherer einen bestimmten Teil des ansonsten versicherten Interesses nicht zu ersetzen hat, wie die Versi­che­rungs­prämie nach dem gesetzlichen bzw. vereinbarten Vertei­lungs­sch­lüssel zu verteilen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Leitungs­was­ser­schaden an dem Gemein­schafts­ei­gentum oder – ausschließlich oder teilweise - an dem Sondereigentum entstanden ist. Zwar stellt nach versi­che­rungs­recht­lichen Maßstäben die Vereinbarung eines Selbstbehalts im Versi­che­rungs­vertrag, bei dem der Versicherer einen bestimmten Betrag des versicherten Schadens nicht ersetzen muss, einen Fall der bewussten Unter­ver­si­cherung dar. Es würde jedoch der Interessenlage der Wohnungs­ei­gentümer bei Abschluss einer verbundenen Gebäu­de­ver­si­cherung nicht gerecht, wenn der geschädigte Sonde­rei­gentümer den Selbstbehalt alleine tragen müsste. Die Entscheidung für einen Selbstbehalt im Versi­che­rungs­vertrag ist regelmäßig damit verbunden, dass die Gemeinschaft als Versi­che­rungs­nehmerin eine herabgesetzte Prämie zu zahlen hat. Das ist für die Wohnungs­ei­gentümer wegen der damit einhergehenden Verringerung des Hausgeldes wirtschaftlich sinnvoll. Von sonstigen Fällen einer bewussten Unter­ver­si­cherung unterscheidet sich der Selbstbehalt wegen des typischerweise überschaubaren und genau festgelegten Risikos. Grundlage der Entscheidung zugunsten eines Selbstbehalts ist dabei die Erwartung der Wohnungs­ei­gentümer, dass dieses durch Mehrheits­ent­scheidung eingegangene Risiko für alle vom Versi­che­rungs­umfang erfassten Sachen gemein­schaftlich getragen wird.

An dem Ergebnis ändert sich nichts, wenn der Versicherer – wie hier - die Fortsetzung des Vertrags­ver­hält­nisses in einer schaden­ge­neigten Wohnungs­ei­gen­tums­anlage von der Vereinbarung eines Selbstbehaltes abhängig macht. Auch dann kommt die Vereinbarung eines Selbstbehalts allen Wohnungs­ei­gen­tümern zugute, und zwar deshalb, weil andernfalls deren Anspruch gegen die Gemeinschaft auf angemessene Versicherung des gemein­schaft­lichen Eigentums zum Neuwert nicht erfüllt werden könnte. Im Ergebnis stellt daher der im Schadensfall in der verbundenen Gebäu­de­ver­si­cherung verbleibende Selbstbehalt bei wertender Betrachtung wie die Versi­che­rungs­prämie einen Teil der Gemein­schafts­kosten gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG dar.

BGH: Wohnungs­ei­gentümer können den Vertei­lungs­sch­lüssel für die Zukunft ändern

Diese Überlegungen rechtfertigen allerdings nicht die Abweisung des Antrags zu 2. Mit diesem Antrag will die Klägerin erreichen, dass der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten getragen wird, während sie ihrerseits für den Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit aufkommen muss. Das ist so zu verstehen, dass der derzeit maßgebliche Vertei­lungs­sch­lüssel für die Zukunft geändert werden soll. Hierzu sind die Wohnungs­ei­gentümer gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG befugt. Ein Anspruch eines einzelnen Wohnungs­ei­gen­tümers (wie der Klägerin) auf eine solche Beschluss­fassung ist aber nur dann gegeben, wenn gemäß § 10 Abs. 2 WEG ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungs­ei­gentümer, unbillig erscheint. Da es insoweit an hinreichenden Feststellungen fehlt, hat der Bundes­ge­richtshof die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Für das weitere Verfahren hat er darauf hingewiesen, dass eine – im Vergleich zu den übrigen Eigentümern – unbillige Belastung der Klägerin in Betracht kommen könnte, wenn das (alleinige bzw. jedenfalls überwiegende) Auftreten der Leitungs­was­ser­schäden im Bereich der Wohneinheiten auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes in den Wohneinheiten einerseits und der Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte. Nicht ausreichend wäre es demgegenüber, wenn die Ursache bei gleichen baulichen Verhältnissen in einem unter­schied­lichen Nutzungs­ver­halten läge.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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