23.12.2024
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Dokument-Nr. 34661

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Urteil20.12.2024BundesgerichtshofV ZR 243/23
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Koblenz, Urteil18.05.2022, 133 C 1875/21 WEG
  • Landgericht Koblenz, Urteil20.11.2023, 2 S 29/22 WEG
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Bundesgerichtshof Urteil20.12.2024

Zum Erster­rich­tungs­an­spruch eines Wohnungs­ei­gen­tümers bei sogenanntem stecken­ge­bliebenen Bau

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass ein Wohnungs­ei­gentümer im Fall eines sogenannten stecken­ge­bliebenen Baus zwar grundsätzlich einen Anspruch auf erstmalige plangerechte Errichtung des Gemein­schafts­ei­gentums gegen die Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer hat; der Anspruch scheidet aber aus, wenn die erstmalige Errichtung des gemein­schaft­lichen Eigentums den übrigen Wohnungs­ei­gen­tümern nicht zuzumuten ist.

Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer. Das Grundstück war mit einer Abbru­chim­mobilie bebaut. Diese sollte durch eine - inzwischen insolvente - General­bau­un­ter­nehmerin abgerissen und ein neues Gebäude errichtet werden. Das Bauvorhaben kam bereits während der Abrissarbeiten zum Stillstand. Die Beschlus­s­anträge der Klägerin, die Verwalterin zu beauftragen, Angebote für die restlichen Abrissarbeiten, die Abdichtung der Nachbargiebel und die Erstellung der Ausfüh­rungspläne für das Objekt einzuholen, die Aufträge zu vergeben und die Arbeiten durchführen zu lassen sowie eine Sonderumlage zu erheben, wurden in einer Eigen­tü­mer­ver­sammlung vom 16. September 2021 abgelehnt.

Bisheriger Prozessverlauf

Mit der Klage verlangt die Klägerin u.a. die gerichtliche Ersetzung der beantragten Beschlüsse. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Beschluss ersetzt, dass ein Sachver­stän­di­gen­gut­achten zu den voraus­sicht­lichen Kosten für den Abriss des Bestands­ge­bäudes und die Errichtung des Gemein­schafts­ei­gentums eingeholt, die Verwalterin mit der Einholung von Angeboten für das Gutachten beauftragt und die Beklagte zur Beschluss­fassung über die Vergabe des Auftrags und dessen Finanzierung verpflichtet wird. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wollte die Beklagte die Wieder­her­stellung des amtsge­richt­lichen Urteils erreichen.

Der unter anderem für das Wohnungs­ei­gen­tumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde:

Im Ausgangspunkt steht der Klägerin ein Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemein­schafts­ei­gentums zu. Dabei liegt der hier gegebene Fall insofern besonders, als einem Erwerber wie der Klägerin schon in diesem frühen Stadium Ansprüche aus dem Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz zustehen können. Nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts besteht nämlich eine Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer und die Erwerber sind bereits Wohnungs­ei­gentümer, obwohl das - nicht von dem teilenden Eigentümer, sondern von einer General­bau­un­ter­nehmerin auf der Grundlage mit den Erwerbern geschlossener Werkverträge - zu errichtende Gebäude nicht einmal ansatzweise fertiggestellt ist. Im weitaus häufigeren Fall der Aufteilung durch einen Bauträger bedarf es dagegen für das Entstehen wohnungs­ei­gen­tums­recht­licher Ansprüche nicht nur der Anlegung der Wohnungs­grund­bücher, sondern auch eines gewissen Baufortschritts. Denn das Wohnungs­ei­gen­tums­gesetz findet im Verhältnis zu den Erwerbern erst dann Anwendung, wenn sie entweder als Wohnungs­ei­gentümer in das Grundbuch eintragen worden sind, wozu es jedenfalls bei einem Bauträ­ger­vertrag regelmäßig nicht vor Errichtung des Gebäudes kommt, oder wenn sie gemäß § 8 Abs. 3 WEG als sogenannte "werdende" Wohnungs­ei­gentümer gelten, was u.a. die Übergabe der Räume und damit ebenfalls deren vorherige Errichtung erfordert.

Ist jedoch - wie hier - das Binnen­ver­hältnis zwischen den Erwerbern und der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer entstanden, kann jeder Wohnungs­ei­gentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG) verlangen, dass das Gemein­schafts­ei­gentum erstmals in einen der Teilungs­er­klärung entsprechenden - mithin plangerechten - Zustand versetzt wird. Das entspricht ständiger höchst­rich­ter­licher Rechtsprechung und gilt auch für die erstmalige Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemein­schafts­ei­gentums bei einem stecken­ge­bliebenen Bau.

Der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemein­schafts­ei­gentums besteht unabhängig vom Fertig­stel­lungsgrad des Gebäudes. § 22 WEG, wonach der Wiederaufbau eines zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstörten Gebäudes nicht verlangt werden kann, wenn der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt ist, ist entgegen verbreiteter Auffassung auf den stecken­ge­bliebenen Bau nicht analog anwendbar. Denn abgesehen davon, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, handelt es sich bei § 22 WEG um eine eng begrenzte und auf den Fall der Zerstörung eines bereits errichteten Gebäudes zugeschnittene Ausnah­me­vor­schrift, deren starre Kriterien für den Fall des stecken­ge­bliebenen Baus nicht sachgerecht sind.

Begrenzt wird der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemein­schafts­ei­gentums vielmehr auch im Fall des stecken­ge­bliebenen Baus durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach entfällt der Anspruch, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungs­ei­gen­tümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. Die Entscheidung darüber durfte das Landgericht nicht - wie durch die Beschlus­ser­setzung geschehen - der Gemeinschaft der Wohnungs­ei­gentümer überantworten. Denn es ist Sache des Tatgerichts, unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung über die Unzumutbarkeit der erstmaligen Errichtung zu entscheiden. Dies wird das Landgericht nunmehr unter Berück­sich­tigung der Ausführungen des Senats zu möglichen in die Abwägung einfließenden Kriterien nachzuholen haben. Unter anderem wird der Fertig­stel­lungsgrad der zu errichtenden Anlage und demgemäß der Umfang der von den Wohnungs­ei­gen­tümern in Angriff zu nehmenden Arbeiten sowie die Höhe der noch zu tätigenden Investitionen von erheblicher Bedeutung sein. So wird es regelmäßig für eine Unzumutbarkeit der Ersterrichtung sprechen, wenn es zu Kosten­stei­ge­rungen von über 50 % des ursprünglich Kalkulierten kommt. Hierin liegt indes keine starre Grenze. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls können schon geringere Kosten­stei­ge­rungen zur Unzumutbarkeit führen. Auch wirtschaftlich sinnvolle Alternativen werden zu betrachten sein. Findet sich etwa ein Investor, der bereit ist, alle Einheiten im derzeitigen "unfertigen" Zustand zu einem den Umständen nach angemessenen Preis abzukaufen, mag den Interessen einzelner Bauwilliger im Vergleich zu den Interessen einer verkaufs­willigen Mehrheit weniger Gewicht beizumessen sein. Vorinstanzen: AG Koblenz - Urteil vom 18. Mai 2022 - 133 C 1875/21 WEG LG Koblenz - Urteil vom 20. November 2023 - 2 S 29/22 WEG

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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