18.10.2024
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Dokument-Nr. 1109

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Bundesgerichtshof Urteil18.10.2005

BGH zur Überprüfung von Preisen für die Durchleitung elektrischer Energie durch fremde Stromnetze

Ein Strom­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das das Netz eines anderen zur Durchleitung elektrischer Energie nutzt, kann eine zivil­ge­richtliche Überprüfung der Höhe des vertraglich vereinbarten Netznut­zungs­entgelts am Maßstab "guter fachlicher Praxis" (§ 6 Abs. 1 EnWG) verlangen, wenn sich dieses Entgelt nach der vertraglichen Vereinbarung nach den jeweils aktuellen Preisen des Netzbetreibers richten soll. Dies hat der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs entschieden.

In dem entschiedenen Fall hatte das klagende Strom­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das bundesweit Strom anbietet, aber über kein eigenes Netz verfügt, mit dem Betreiber des Stromnetzes in der Stadt Mannheim einen Rahmenvertrag über die Nutzung dieses Stromnetzes geschlossen. Darin war vorgesehen, dass sich das Durch­lei­tungs­entgelt nach dem jeweils geltenden Preisblatt des Netzbetreibers bestimmt. Das Strom­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen hatte sich bei Vertragsschluss vorbehalten, „die … in Rechnung gestellten Entgelte im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen energie- und kartell­rechtlich überprüfen zu lassen“.

Das Landgericht Mannheim hat die mit dem Ziel einer solchen Überprüfung erhobene Klage abgewiesen. Die Berufung zum Oberlan­des­gericht Karlsruhe hatte keinen Erfolg. Das Oberlan­des­gericht hat angenommen, die Voraussetzungen für eine Überprüfung der Höhe der Netznut­zungs­entgelte am Maßstab "billigen Ermessens" (§ 315 Abs. 3 BGB) oder auf der Grundlage der einschlägigen energie­wirt­schafts- und kartell­recht­lichen Normen (§ 6 Abs. 1 EnWG a.F.; § 19 Abs. 4, § 20 Abs. 1 GWB) lägen nicht vor.

Dem ist der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs nicht gefolgt. Er sieht in der vertraglich vorgesehenen dynamischen Verweisung auf die jeweils geltenden Preisblätter des Netzbetreibers ein einseitiges Preis­be­stim­mungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB. Seine Ausübung ist gemäß § 315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprüfen, ob sie billigem Ermessen entspricht. Der Anwendung des § 315 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass § 6 Abs. 1 EnWG (i.d.F. vom 26.8.1998 bzw. vom 20.5.2003) die Bedingungen der Netzüberlassung gesetzlich festlegt. Durch den vom Energie­wirt­schafts­gesetz vorgesehenen Maßstab "guter fachlicher Praxis" wird der allgemeine Maßstab des "billigen Ermessens" vielmehr konkretisiert. Eine gute fachliche Praxis soll dabei auch der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen (§ 6 Abs. 1 Satz 4 EnWG a.F.) und muss sich an diesem Ziel messen lassen.

Der Bundes­ge­richtshof weist darauf hin, dass dem Netzbetreiber die Darlegungslast für die Billigkeit seiner Preisbestimmung obliegt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Tarife des beklagten Netzbetreibers von der für die Preis­ge­neh­migung nach § 12 BTOElt zuständigen Behörde nicht beanstandet worden sind. Die öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Geneh­mi­gungs­emp­fänger und ist für die privat­rechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB nicht vorgreiflich.

Um dem beklagten Netzbetreiber Gelegenheit zu geben, zur Angemessenheit seiner Tarife vorzutragen, hat der Bundes­ge­richtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Der Bundes­ge­richtshof tritt dabei der Auffassung entgegen, bei Beachtung der Preis­fin­dungs­prin­zipien der Anlage 3 zur Verbän­de­ver­ein­barung Strom II plus könne auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet werden. Eine solche Vermutung sieht § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG a. F. nur für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 vor. Die Erwägung, der Gesetzgeber habe für eine Übergangszeit Rechts­si­cherheit schaffen wollen, verbietet es, die Vermu­tungs­wirkung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes über das Jahr 2003 hinaus auszudehnen.

Der Bundes­ge­richtshof bestätigt ferner seine Rechtsprechung, dass die Vermutung der Einhaltung guter fachlicher Praxis auch für ihren zeitlichen Geltungsbereich den Missbrauch einer markt­be­herr­schenden Stellung im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 1 GWB nicht ausschließt. Die kartell­rechtliche Prüfung ist vielmehr von der energie­wirt­schafts­recht­lichen grundsätzlich unabhängig.

Vorinstanzen:

LG Mannheim – Entscheidung vom 30.12.2003 – 22 O 64/02 (Kart)

Oberlan­des­gericht Karlsruhe – Entscheidung vom 27.10.2004 – 6 U 22/04

Hinweis auf den Gesetzestext:

Erläuterungen
§ 315 BGB. Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertrags­schlie­ßenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

§ 6 Abs. 1 EnWG a. F.

Betreiber von Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­netzen haben anderen Unternehmen das Versorgungsnetz für Durchleitungen zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die guter fachlicher Praxis entsprechen und nicht ungünstiger sind, als sie von ihnen in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. 2Dies gilt nicht, soweit der Betreiber nachweist, dass ihm die Durchleitung aus betrie­bs­be­dingten oder sonstigen Gründen unter Berück­sich­tigung der Ziele des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 3Die Ablehnung ist schriftlich zu begründen. 4Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne des Satzes 1 dienen der Erreichung der Ziele des § 1 und der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs. 5Bei Einhaltung der Verbän­de­ver­ein­barung über Kriterien zur Bestimmung von Netznut­zungs­ent­gelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz. Nr. 85 b vom 8. Mai 2002) wird bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet, es sei denn, dass die Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die Anwendung einzelner Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. 6§ 19 Abs. 4 und § 20 Abs. 1 und 2 des Gesetzes gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen bleibt unberührt.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 144/2005 des BGH vom 18.10.2005

der Leitsatz

BGB § 315; EnWG 2003 § 6

a) Hat ein Unternehmen dem Betreiber eines Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­netzes für die Netznutzung ein Entgelt zu entrichten, das der Netzbetreiber als nach der Verbän­de­ver­ein­barung Strom II plus ermittelten allgemein geltenden Tarif festgesetzt hat, ist regelmäßig anzunehmen, dass der Netzbetreiber das Entgelt nach billigem Ermessen zu bestimmen hat und die Billigkeit seiner Bestimmung der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

b) Das Günstig­keits­prinzip und die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne des § 6 Abs. 1 EnWG 2003 konkretisieren für den Anwen­dungs­bereich der Vorschrift den nach § 315 BGB zu beachtenden Maßstab billigen Ermessens.

c) Auf Netznut­zungs­entgelte, die für die Zeit seit dem 1. Januar 2004 zu entrichten sind, findet die an die Einhaltung der Verbän­de­ver­ein­barung Strom II plus geknüpfte Vermutung der Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis keine Anwendung mehr.

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