14.11.2024
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Dokument-Nr. 635

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Bundesgerichtshof Beschluss28.06.2005

BGH bestätigt Vorwurf des Markt­macht­miß­brauchs gegenüber Mainova AG

Der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs hat heute entschieden, daß der Betreiber eines Stromnetzes der allgemeinen Versorgung verpflichtet ist, den Betreibern von in seinem Versor­gungs­gebiet liegenden Arealnetzen den Zugang zu seinem Mittel­span­nungsnetz zu gewähren. Damit ist eine Unter­sa­gungs­ver­fügung des Bundes­kar­tellamts in letzter Instanz bestätigt worden, mit der der im Mehrheitsbesitz der Stadt Frankfurt a.M. stehenden Mainova AG der Mißbrauch einer markt­be­herr­schenden Stellung vorgeworfen worden war.

Zwei Unternehmen wollten in Frankfurt jeweils ein Arealnetz für einen größeren Neubau bzw. für ein Neubaugebiet betreiben. Unter einem Arealnetz versteht man ein aus einem oder mehreren Grundstücken bestehendes, zu Wohn- oder gewerblichen Zwecken genutztes Gebiet mit einem eigenen, der Versorgung der dort ansässigen Letzt­ver­braucher dienenden Nieder­span­nungsnetz. Es war geplant, die beiden Arealnetze an das Mittel­span­nungsnetz der Mainova anzuschließen. Für die Umspannung des zu beziehenden Stroms auf Niederspannung war jeweils eine eigene Umspannanlage vorgesehen. In beiden Fällen verweigerte Mainova den Anschluß der Arealnetze an ihr Mittel­span­nungsnetz. Dies führte dazu, daß der Betrieb der Arealnetze in beiden Fällen der Mainova überlassen werden mußte.

Das Bundes­kar­tellamt hatte in dem Verhalten der Mainova den Mißbrauch einer markt­be­herr­schenden Stellung gesehen. Dementsprechend hatte es das beanstandete Verhalten untersagt. Das Oberlan­des­gericht Düsseldorf hat die Beschwerde der Mainova zurückgewiesen.

Dagegen hat sich Mainova mit der Rechts­be­schwerde gewandt. Sie hat vor allem geltend gemacht, sie sei als Betreiber des Netzes der allgemeinen Stromversorgung gesetzlich gezwungen, jeden Letzt­ver­braucher an ihr Netz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifen zu versorgen. Dabei gehe das Gesetz von einer einheitlichen Netzstruktur aus. Ihr sei es unter diesen Umständen nicht zuzumuten, Areal­netz­be­treibern den Zugang zu ihrem Mittel­span­nungsnetz zu gewähren. Denn die Betreiber dieser Netze gingen nach dem Prinzip des „Rosinenpickens“ vor, indem sie sich einzelne lukrative Areale mit hoher Versor­gungs­dichte und verhältnismäßig großem Energiebedarf aussuchten.

Der Bundes­ge­richtshof ist dieser Argumentation nicht gefolgt, sondern hat in der Verweigerung des Anschlusses ebenfalls den Mißbrauch einer markt­be­herr­schenden Stellung gesehen. Mit der Liberalisierung der Energiemärkte habe sich das traditionelle Leitbild eines einheitlichen Versor­gungs­netzes geändert. Denn jeder Wettbewerber werde sich – gleichgültig ob die Versorgung über eine eigene Stichleitung, im Wege der Durchleitung oder durch Anschluß von Arealnetzen an das Mittel­span­nungsnetz des Netzbetreibers erfolgen solle – in erster Linie um die lukrativen Kunden bemühen. Der gesetzlichen Regelung sei dabei die Erwägung fremd, daß Wettbewerb nur dann gefördert werden solle, wenn die Gefahr eines „Rosinenpickens“ ausgeschlossen werden könne. Zwar sei es nicht auszuschließen, daß Mainova infolge des Wettbewerbs nicht im selben Maße wie früher zugunsten der struk­tur­schwachen Bereiche des Versor­gungs­netzes quersub­ven­ti­o­nieren könne. Dem Libera­li­sie­rungs­konzept liegt aber die Vorstellung zugrunde, daß die Verbrau­cher­preise infolge der Öffnung der Märkte sinken würden, so daß selbst für die struk­tur­schwachen Bereiche die negativen Effekte des Wettbewerbs durch die positiven zumindest ausgeglichen würden.

Auch die Beein­träch­tigung der Netzstruktur hat der Bundes­ge­richtshof nicht als Argument für die Anschluß­ver­wei­gerung gelten lassen. Zwar sei nicht zu leugnen, daß der Betrieb eines sicheren Netzes teurer werde, wenn es vermehrt zu einer Bildung von Inseln komme, die das allgemeine Netz nicht versorge. Der Bestand des Versor­gungs­ge­bietes von Mainova werde aber nicht gefährdet, weil sich die Verpflichtung, Arealnetze an das Mittel­span­nungsnetz anzuschließen, nur auf Neubauten und Neuer­schlie­ßungen beziehe. Im übrigen hat der Bundes­ge­richtshof darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung nach dem erst vor wenigen Tagen verabschiedeten neuen Energie­wirt­schafts­gesetz in einer Verordnung im einzelnen bestimmen könne, unter welchen Bedingungen der Anschluß von Arealnetzen für den Betreiber des allgemeinen Versor­gungs­netzes zumutbar sei. Die Bundesregierung habe es daher in der Hand, in Zukunft Bestimmungen zu treffen, die eine stärkere Berück­sich­tigung des allgemeinen Struk­tu­r­in­teresses ermöglichten.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf - Kart 35/03 (V)

Quelle: Pressemitteilung Nr. 97/05 des BGH vom 28.06.2005

der Leitsatz

GWB § 19 Abs. 1 und 4 Nr. 4; EnWG (1998) § 10 Abs. 1

a) Für den Tatbestand des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ist es ausreichend, daß der Normadressat über eine beherrschende Stellung auf dem Markt der Infra­s­truk­tu­r­ein­richtung verfügt.

b) Ein Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das in seinem Versor­gungs­gebiet Stromnetze verschiedener Spannungsebenen unterhält und insoweit Normadressat des kartell­recht­lichen Mißbrauchs­verbots ist, darf dem Betreiber eines der Versorgung von Neubauten oder Neuer­schlie­ßungen dienenden Arealnetzes den Zugang zu seinem Mittel­span­nungsnetz nicht unter Berufung auf sein Interesse an einer ausgeglichenen Kundenstruktur und einer möglichst kostengünstigen Struktur seines Nieder­span­nungs­netzes verweigern.

c) Der Normadressat des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB kann die Mitbenutzung der Infra­s­truk­tu­r­ein­richtung nicht mit der Begründung verweigern, daß der dadurch ermöglichte Wettbewerb auf dem vor- oder nachgelagerten Markt für ihn nachteilig sei. Er kann sich auch nicht darauf berufen, daß er Dritten den Zugang zu der Infra­s­truk­tu­r­ein­richtung generell verwehre.

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