Dokument-Nr. 635
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Bundesgerichtshof Beschluss28.06.2005
BGH bestätigt Vorwurf des Marktmachtmißbrauchs gegenüber Mainova AG
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, daß der Betreiber eines Stromnetzes der allgemeinen Versorgung verpflichtet ist, den Betreibern von in seinem Versorgungsgebiet liegenden Arealnetzen den Zugang zu seinem Mittelspannungsnetz zu gewähren. Damit ist eine Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts in letzter Instanz bestätigt worden, mit der der im Mehrheitsbesitz der Stadt Frankfurt a.M. stehenden Mainova AG der Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorgeworfen worden war.
Zwei Unternehmen wollten in Frankfurt jeweils ein Arealnetz für einen größeren Neubau bzw. für ein Neubaugebiet betreiben. Unter einem Arealnetz versteht man ein aus einem oder mehreren Grundstücken bestehendes, zu Wohn- oder gewerblichen Zwecken genutztes Gebiet mit einem eigenen, der Versorgung der dort ansässigen Letztverbraucher dienenden Niederspannungsnetz. Es war geplant, die beiden Arealnetze an das Mittelspannungsnetz der Mainova anzuschließen. Für die Umspannung des zu beziehenden Stroms auf Niederspannung war jeweils eine eigene Umspannanlage vorgesehen. In beiden Fällen verweigerte Mainova den Anschluß der Arealnetze an ihr Mittelspannungsnetz. Dies führte dazu, daß der Betrieb der Arealnetze in beiden Fällen der Mainova überlassen werden mußte.
Das Bundeskartellamt hatte in dem Verhalten der Mainova den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gesehen. Dementsprechend hatte es das beanstandete Verhalten untersagt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Beschwerde der Mainova zurückgewiesen.
Dagegen hat sich Mainova mit der Rechtsbeschwerde gewandt. Sie hat vor allem geltend gemacht, sie sei als Betreiber des Netzes der allgemeinen Stromversorgung gesetzlich gezwungen, jeden Letztverbraucher an ihr Netz anzuschließen und zu allgemeinen Tarifen zu versorgen. Dabei gehe das Gesetz von einer einheitlichen Netzstruktur aus. Ihr sei es unter diesen Umständen nicht zuzumuten, Arealnetzbetreibern den Zugang zu ihrem Mittelspannungsnetz zu gewähren. Denn die Betreiber dieser Netze gingen nach dem Prinzip des „Rosinenpickens“ vor, indem sie sich einzelne lukrative Areale mit hoher Versorgungsdichte und verhältnismäßig großem Energiebedarf aussuchten.
Der Bundesgerichtshof ist dieser Argumentation nicht gefolgt, sondern hat in der Verweigerung des Anschlusses ebenfalls den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gesehen. Mit der Liberalisierung der Energiemärkte habe sich das traditionelle Leitbild eines einheitlichen Versorgungsnetzes geändert. Denn jeder Wettbewerber werde sich – gleichgültig ob die Versorgung über eine eigene Stichleitung, im Wege der Durchleitung oder durch Anschluß von Arealnetzen an das Mittelspannungsnetz des Netzbetreibers erfolgen solle – in erster Linie um die lukrativen Kunden bemühen. Der gesetzlichen Regelung sei dabei die Erwägung fremd, daß Wettbewerb nur dann gefördert werden solle, wenn die Gefahr eines „Rosinenpickens“ ausgeschlossen werden könne. Zwar sei es nicht auszuschließen, daß Mainova infolge des Wettbewerbs nicht im selben Maße wie früher zugunsten der strukturschwachen Bereiche des Versorgungsnetzes quersubventionieren könne. Dem Liberalisierungskonzept liegt aber die Vorstellung zugrunde, daß die Verbraucherpreise infolge der Öffnung der Märkte sinken würden, so daß selbst für die strukturschwachen Bereiche die negativen Effekte des Wettbewerbs durch die positiven zumindest ausgeglichen würden.
Auch die Beeinträchtigung der Netzstruktur hat der Bundesgerichtshof nicht als Argument für die Anschlußverweigerung gelten lassen. Zwar sei nicht zu leugnen, daß der Betrieb eines sicheren Netzes teurer werde, wenn es vermehrt zu einer Bildung von Inseln komme, die das allgemeine Netz nicht versorge. Der Bestand des Versorgungsgebietes von Mainova werde aber nicht gefährdet, weil sich die Verpflichtung, Arealnetze an das Mittelspannungsnetz anzuschließen, nur auf Neubauten und Neuerschließungen beziehe. Im übrigen hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung nach dem erst vor wenigen Tagen verabschiedeten neuen Energiewirtschaftsgesetz in einer Verordnung im einzelnen bestimmen könne, unter welchen Bedingungen der Anschluß von Arealnetzen für den Betreiber des allgemeinen Versorgungsnetzes zumutbar sei. Die Bundesregierung habe es daher in der Hand, in Zukunft Bestimmungen zu treffen, die eine stärkere Berücksichtigung des allgemeinen Strukturinteresses ermöglichten.
Vorinstanz: OLG Düsseldorf - Kart 35/03 (V)
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.06.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 97/05 des BGH vom 28.06.2005
der Leitsatz
GWB § 19 Abs. 1 und 4 Nr. 4; EnWG (1998) § 10 Abs. 1
a) Für den Tatbestand des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ist es ausreichend, daß der Normadressat über eine beherrschende Stellung auf dem Markt der Infrastruktureinrichtung verfügt.
b) Ein Energieversorgungsunternehmen, das in seinem Versorgungsgebiet Stromnetze verschiedener Spannungsebenen unterhält und insoweit Normadressat des kartellrechtlichen Mißbrauchsverbots ist, darf dem Betreiber eines der Versorgung von Neubauten oder Neuerschließungen dienenden Arealnetzes den Zugang zu seinem Mittelspannungsnetz nicht unter Berufung auf sein Interesse an einer ausgeglichenen Kundenstruktur und einer möglichst kostengünstigen Struktur seines Niederspannungsnetzes verweigern.
c) Der Normadressat des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB kann die Mitbenutzung der Infrastruktureinrichtung nicht mit der Begründung verweigern, daß der dadurch ermöglichte Wettbewerb auf dem vor- oder nachgelagerten Markt für ihn nachteilig sei. Er kann sich auch nicht darauf berufen, daß er Dritten den Zugang zu der Infrastruktureinrichtung generell verwehre.
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