Dokument-Nr. 636
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Bundesgerichtshof Beschluss28.06.2005
BGH zum Mißbrauchsvorwurf wegen nach § 19 Abs. 1 i.V.m Abs. 4 GWB überhöhter Netznutzungsentgelte
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Entscheidung in dem Verfahren Bundeskartellamt ./. Stadtwerke Mainz AG verkündet, in dem es u.a. darum geht, ob das Bundeskartellamt seine Beurteilung, die Stadtwerke Mainz forderten mißbräuchlich überhöhte Netznutzungsentgelte für die Durchleitung von Strom in ihrem Netzgebiet, auf einen Vergleich der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse stützen und als Vergleichsunternehmen die RWE Net AG (jetzt: RWE Energy AG, fortan: RWE) heranziehen darf.
Die Stadtwerke Mainz betreiben das Mittel- und Niederspannungsstromnetz in der Stadt Mainz sowie in angrenzenden Gemeinden. Dritten Unternehmen stellen sie ihr Leitungsnetz zur Durchleitung zur Verfügung. Das Netznutzungsentgelt, das die Durchleiter zu entrichten haben, ermitteln die Stadtwerke nach den Regeln der Anlage 3 der „Verbändevereinbarung Strom II Plus“. Das Bundeskartellamt hat der Stadtwerke Mainz AG im April 2003 – nach umfangreichen Ermittlungen - untersagt, in bestimmten Netzebenen Netznutzungsentgelte zu erheben, die insgesamt den Betrag von 40.800.000 € im Jahr überschreiten. Dabei hat sich die Behörde auf einen Vergleich der Erlöse gestützt, die einerseits die Stadtwerke Mainz, andererseits die als Vergleichsunternehmen herangezogene RWE je Kilometer Leitungslänge erzielen; das dabei ermittelte Kostensenkungspotential der Stadtwerke Mainz liegt nach dieser Vergleichsuntersuchung bei mehr als 10 Mio. € jährlich. Auf die Beschwerde der Stadtwerke Mainz AG hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (WuW/E DE-R 1439 ff.) die Untersagungsanordnung aufgehoben. Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs den Beschluß des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Er ist in seiner Entscheidung, die auf der Grundlage des noch geltenden, demnächst außer Kraft tretenden Energiewirtschaftsgesetzes ergangen ist, dem Beschwerdegericht in wesentlichen Punkten nicht gefolgt. Nach seiner Beurteilung ist die in der Untersagungsanordnung enthaltene Festlegung einer statischen Erlösobergrenze keine unzulässige Preisregulierung, weil die Stadtwerke Mainz AG selbst entscheiden kann, auf welche Weise sie die ihr aufgegebene Erlössenkung umsetzt. Auch der Vergleich der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse sei nicht schlechthin unzulässig. Vielmehr führe diese Preisermittlungsmethode – anders als ein Tarifvergleich, welcher von den jeweils zur Verfügung stehenden Tarifspielräumen verfälscht werden könne und einen Preishöhenmißbrauch nicht ohne weiteres aufdecke – in aller Regel zu Vergleichszahlen, die eine effektivere Mißbrauchskontrolle ermöglichten, weil mit der Einbeziehung der Leitungslänge ein wesentlicher Kostenfaktor des Netzbetriebs in die Betrachtung einfließe. Auf dem von dem Bundeskartellamt eingeschlagenen Wege könne in sachgerechter Weise der Preis ermittelt werden, der sich im Falle eines – mit Rücksicht auf die tatsächliche Monopolsituation nicht möglichen – effektiven Wettbewerbs ergäbe.
RWE scheide als Vergleichsunternehmen nicht etwa deswegen aus, weil sie bedeutend größer als die Stadtwerke Mainz AG sei, auf mehr Ebenen als diese tätig sei und in anders strukturieren Räumen ihre Leistung erbringe. Es sei insbesondere nicht erforderlich, auf einen kommunal geprägten Anbieter von Dienstleistungen für Netzdurchleitungen abzustellen. Insoweit sei die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß sich auch bei diesen Anbietern von Netzdienstleistungen im Schutze des bisherigen Monopols Strukturen entwickelt hätten, die von einer Kostenüberhöhungstendenz gekennzeichnet seien.
Entscheidende Voraussetzung für die Tragfähigkeit des angestellten Erlösvergleichs ist nach der Auffassung des Kartellsenats jedoch, daß durch Zu- und Abschläge auf die Zahlen, die für die beiden unterschiedlich strukturierten Gebiete ermittelt worden sind, eine Vergleichbarkeit der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse herbeigeführt wird. Hierbei dürfen nur solche Faktoren Berücksichtigung finden, mit denen jeder Anbieter von Netzdienstleistungen in dem Gebiet der Stadtwerke Mainz konfrontiert wäre. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts zu diesem Komplex beruht auf nicht einwandfrei getroffenen Feststellungen, so daß der Senat außerstande war, abschließend zu beurteilen, ob die für das Vergleichsunternehmen ermittelten Zahlen für den Vergleich hinreichende Aussagekraft besitzen oder ob und ggf. in welchem Umfang sie durch weitere Zu- und Abschläge zu korrigieren sind. Deswegen mußte die Sache an die Vorinstanz zur Klärung der offenen tatsächlichen Fragen zurückverwiesen werden.
Ferner hat der Kartellsenat ausgesprochen, daß (im Unterschied zu der zu § 103 a GWB a.F. ergangenen Rechtsprechung) die Entgelte der Stadtwerke Mainz nicht bereits dann mißbräuchlich überhöht sind, wenn das Vergleichsunternehmen niedrigere Entgelte fordert als die Stadtwerke. Auch für Energieversorgungsunternehmen gelten nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der jetzt geltenden Fassung (6. Novelle) die allgemeinen Verhaltensregeln; das bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß ein erheblicher Abstand zwischen den von den Stadtwerken Mainz erzielten Erlösen und den noch näher festzustellenden entsprechenden Zahlen des Vergleichsunternehmens vorliegen muß, ehe eine Untersagungsanordnung ergehen darf. Ferner hat der Kartellsenat als mit § 6 Abs. 1 Satz 6 EnwG, nach dem die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von den Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes unberührt bleiben, nicht in Einklang stehend die Ansicht des Beschwerdegerichts verworfen, ein Unternehmen, das wie die Stadtwerke Mainz AG seine Entgelte nach der Verbände-vereinbarung Strom II Plus ermittele, habe die Vermutung der Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis (§ 6 Abs. 1 EnWG) auf seiner Seite, womit ein Mißbrauch nach § 19 Abs. 4 GWB ausgeschlossen sei.
Vorinstanz: OLG Düsseldorf – Kart 18/03 (V)
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.06.2005
Quelle: Pressemitteilung Nr. 95/05 des BGH vom 28.06.2005
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