15.11.2024
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Dokument-Nr. 636

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Bundesgerichtshof Beschluss28.06.2005

BGH zum Mißbrauchs­vorwurf wegen nach § 19 Abs. 1 i.V.m Abs. 4 GWB überhöhter Netznut­zungs­entgelte

Der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs hat seine Entscheidung in dem Verfahren Bundes­kar­tellamt ./. Stadtwerke Mainz AG verkündet, in dem es u.a. darum geht, ob das Bundes­kar­tellamt seine Beurteilung, die Stadtwerke Mainz forderten mißbräuchlich überhöhte Netznut­zungs­entgelte für die Durchleitung von Strom in ihrem Netzgebiet, auf einen Vergleich der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse stützen und als Vergleichs­un­ter­nehmen die RWE Net AG (jetzt: RWE Energy AG, fortan: RWE) heranziehen darf.

Die Stadtwerke Mainz betreiben das Mittel- und Nieder­span­nungs­stromnetz in der Stadt Mainz sowie in angrenzenden Gemeinden. Dritten Unternehmen stellen sie ihr Leitungsnetz zur Durchleitung zur Verfügung. Das Netznut­zungs­entgelt, das die Durchleiter zu entrichten haben, ermitteln die Stadtwerke nach den Regeln der Anlage 3 der „Verbän­de­ver­ein­barung Strom II Plus“. Das Bundes­kar­tellamt hat der Stadtwerke Mainz AG im April 2003 – nach umfangreichen Ermittlungen - untersagt, in bestimmten Netzebenen Netznut­zungs­entgelte zu erheben, die insgesamt den Betrag von 40.800.000 € im Jahr überschreiten. Dabei hat sich die Behörde auf einen Vergleich der Erlöse gestützt, die einerseits die Stadtwerke Mainz, andererseits die als Vergleichs­un­ter­nehmen herangezogene RWE je Kilometer Leitungslänge erzielen; das dabei ermittelte Kosten­sen­kungs­po­tential der Stadtwerke Mainz liegt nach dieser Vergleichs­un­ter­suchung bei mehr als 10 Mio. € jährlich. Auf die Beschwerde der Stadtwerke Mainz AG hat das Oberlan­des­gericht Düsseldorf (WuW/E DE-R 1439 ff.) die Unter­sa­gungs­a­n­ordnung aufgehoben. Auf die Rechts­be­schwerde des Bundes­kar­tellamts hat der Kartellsenat des Bundes­ge­richtshofs den Beschluß des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Er ist in seiner Entscheidung, die auf der Grundlage des noch geltenden, demnächst außer Kraft tretenden Energie­wirt­schafts­ge­setzes ergangen ist, dem Beschwer­de­gericht in wesentlichen Punkten nicht gefolgt. Nach seiner Beurteilung ist die in der Unter­sa­gungs­a­n­ordnung enthaltene Festlegung einer statischen Erlösobergrenze keine unzulässige Preis­re­gu­lierung, weil die Stadtwerke Mainz AG selbst entscheiden kann, auf welche Weise sie die ihr aufgegebene Erlössenkung umsetzt. Auch der Vergleich der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse sei nicht schlechthin unzulässig. Vielmehr führe diese Preis­er­mitt­lungs­methode – anders als ein Tarifvergleich, welcher von den jeweils zur Verfügung stehenden Tarif­spiel­räumen verfälscht werden könne und einen Preis­hö­hen­miß­brauch nicht ohne weiteres aufdecke – in aller Regel zu Vergleichs­zahlen, die eine effektivere Mißbrauchs­kon­trolle ermöglichten, weil mit der Einbeziehung der Leitungslänge ein wesentlicher Kostenfaktor des Netzbetriebs in die Betrachtung einfließe. Auf dem von dem Bundes­kar­tellamt eingeschlagenen Wege könne in sachgerechter Weise der Preis ermittelt werden, der sich im Falle eines – mit Rücksicht auf die tatsächliche Monopol­si­tuation nicht möglichen – effektiven Wettbewerbs ergäbe.

RWE scheide als Vergleichs­un­ter­nehmen nicht etwa deswegen aus, weil sie bedeutend größer als die Stadtwerke Mainz AG sei, auf mehr Ebenen als diese tätig sei und in anders strukturieren Räumen ihre Leistung erbringe. Es sei insbesondere nicht erforderlich, auf einen kommunal geprägten Anbieter von Dienst­leis­tungen für Netzdurch­lei­tungen abzustellen. Insoweit sei die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß sich auch bei diesen Anbietern von Netzdienst­leis­tungen im Schutze des bisherigen Monopols Strukturen entwickelt hätten, die von einer Kosten­üb­er­hö­hungs­tendenz gekennzeichnet seien.

Entscheidende Voraussetzung für die Tragfähigkeit des angestellten Erlösvergleichs ist nach der Auffassung des Kartellsenats jedoch, daß durch Zu- und Abschläge auf die Zahlen, die für die beiden unterschiedlich strukturierten Gebiete ermittelt worden sind, eine Vergleich­barkeit der je Kilometer Leitungslänge erzielten Erlöse herbeigeführt wird. Hierbei dürfen nur solche Faktoren Berück­sich­tigung finden, mit denen jeder Anbieter von Netzdienst­leis­tungen in dem Gebiet der Stadtwerke Mainz konfrontiert wäre. Die Beurteilung des Beschwer­de­ge­richts zu diesem Komplex beruht auf nicht einwandfrei getroffenen Feststellungen, so daß der Senat außerstande war, abschließend zu beurteilen, ob die für das Vergleichs­un­ter­nehmen ermittelten Zahlen für den Vergleich hinreichende Aussagekraft besitzen oder ob und ggf. in welchem Umfang sie durch weitere Zu- und Abschläge zu korrigieren sind. Deswegen mußte die Sache an die Vorinstanz zur Klärung der offenen tatsächlichen Fragen zurückverwiesen werden.

Ferner hat der Kartellsenat ausgesprochen, daß (im Unterschied zu der zu § 103 a GWB a.F. ergangenen Rechtsprechung) die Entgelte der Stadtwerke Mainz nicht bereits dann mißbräuchlich überhöht sind, wenn das Vergleichs­un­ter­nehmen niedrigere Entgelte fordert als die Stadtwerke. Auch für Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen gelten nach dem Gesetz gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen in der jetzt geltenden Fassung (6. Novelle) die allgemeinen Verhal­tens­regeln; das bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß ein erheblicher Abstand zwischen den von den Stadtwerken Mainz erzielten Erlösen und den noch näher festzu­stel­lenden entsprechenden Zahlen des Vergleichs­un­ter­nehmens vorliegen muß, ehe eine Unter­sa­gungs­a­n­ordnung ergehen darf. Ferner hat der Kartellsenat als mit § 6 Abs. 1 Satz 6 EnwG, nach dem die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbe­wer­bs­be­schrän­kungen von den Regelungen des Energie­wirt­schafts­ge­setzes unberührt bleiben, nicht in Einklang stehend die Ansicht des Beschwer­de­ge­richts verworfen, ein Unternehmen, das wie die Stadtwerke Mainz AG seine Entgelte nach der Verbände-vereinbarung Strom II Plus ermittele, habe die Vermutung der Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis (§ 6 Abs. 1 EnWG) auf seiner Seite, womit ein Mißbrauch nach § 19 Abs. 4 GWB ausgeschlossen sei.

Vorinstanz: OLG Düsseldorf – Kart 18/03 (V)

Quelle: Pressemitteilung Nr. 95/05 des BGH vom 28.06.2005

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