In dem zugrunde liegenden Fall weigerte sich ein Mandant die Vergütung einer Rechtsanwaltskanzlei für eine außergerichtliche Tätigkeit gegen eine Fondsgesellschaft zu zahlen. Der Mandant führte an, den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen zu haben. Die Anwaltskanzlei versuchte unter Zuhilfenahme einer Gesellschaft eine Vielzahl von Mandanten in Kapitalanlagefällen zu gewinnen. Die Kanzlei hatte der Gesellschaft dazu Blankovollmachten übergeben. Die Gesellschaft schrieb Verbraucher an, die sich an die Fondsgesellschaft beteiligt hatten. Wurde eine solche Vollmacht unterschrieben, übersandte die Gesellschaft diese mitsamt den Unterlagen des Mandanten an die Anwaltskanzlei, die dann ohne Kontaktaufnahme mit dem Mandanten mittels eines Serienbriefs Ansprüche gegen die Fondsgesellschaft geltend machte. Die Anwaltskanzlei hielt den Widerruf des Anwaltsvertrags für unzulässig und erhob Klage auf Zahlung.
Sowohl das Amtsgericht Niebüll als auch das Landgericht Flensburg wiesen die Klage ab. Nach Auffassung des Landgerichts habe der Mandant den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen dürfen, da dieser als Fernabsatzvertrag zu werten sei. Gegen diese Entscheidung legte die Anwaltskanzlei Revision ein.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Revision der Anwaltskanzlei zurück. Ein Vergütungsanspruch für die außergerichtliche Tätigkeit bestehe nicht, da der Mandant den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen habe.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs könne ein Anwaltsvertrag grundsätzlich den Regeln über Fernabsatzgeschäfte unterfallen. Die Existenz und Zulässigkeit von Anwalts- und Steuerberater-Hotlines oder die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen über das Internet belegen, dass sich auch Rechtsanwälte moderner Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln bedienen. Der Schutz der Verbraucher gebiete es, die Regeln des Fernabsatzrechts insbesondere in diesen Fällen auch auf Anwaltsverträge zu erstrecken.
Der vorliegende Anwaltsvertrag sei als Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312 b Abs. 1 BGB (neu: § 312 c Abs. 1 BGB) zu werten, so der Bundesgerichtshof, da er unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurde. In diesem Fall werde zudem vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt sei. Es obliege dem Unternehmen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines solchen Systems erfolgt sei. Dies sei der Anwaltskanzlei nicht gelungen.
Zwar betonte der Bundesgerichtshof, dass ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht vorliege, wenn ein Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer bzw. Telefon- und Faxanschlüsse vorhalte. Jedoch sei im vorliegenden Fall möglich, dass sich die Anwaltskanzlei der Gesellschaft bewusst bediene, um eine Vielzahl von Mandanten in Kapitalanlagefällen ohne persönlichen Kontakt zu den potentiellen Mandanten und unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen. Ein solcher Strukturvertrieb oder ein diesem vergleichbares Vertriebssystem erfülle die Voraussetzungen für ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem.
Für unerheblich hielt der Bundesgerichtshof den Umstand, ob und wie eine Kanzlei neben einer möglichen Bewältigung von Fernabsatzgeschäften auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von Anwaltsverträgen nutze. Es sei nicht erforderlich, dass der Unternehmer sein gesamtes Geschäft über Fernkommunikationsmittel abwickle.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.06.2018
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (zt/NJW 2018, 690/rb)