18.10.2024
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Dokument-Nr. 26024

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Urteil23.11.2017BundesgerichtshofIX ZR 204/16
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2018, 690Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2018, Seite: 690
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Niebüll, Urteil07.10.2015, 8 C 79/15
  • Landgericht Flensburg, Urteil22.07.2016, 7 S 53/15
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil23.11.2017

BGH: Widerruf eines als Fernab­satz­vertrag zu wertenden Anwaltsvertrags möglichGewinnung einer Vielzahl von Mandanten mittels Zuhilfenahme eines Dritten und unter ausschließ­licher Verwendung von Fern­kommuni­kations­mitteln

Bedient sich ein Rechtsanwalt eines Dritten, um eine Vielzahl von Mandanten ohne persönlichen Kontakt und unter ausschließ­licher Verwendung von Fern­kommuni­kations­mitteln zu gewinnen, so liegt ein Fernab­satz­ge­schäft im Sinne von § 312 c Abs. 1 BGB vor. Ist der Mandant ein Verbraucher, kann er den so zustande gekommenen Anwaltsvertrag widerrufen. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall weigerte sich ein Mandant die Vergütung einer Rechts­an­walts­kanzlei für eine außer­ge­richtliche Tätigkeit gegen eine Fonds­ge­sell­schaft zu zahlen. Der Mandant führte an, den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen zu haben. Die Anwaltskanzlei versuchte unter Zuhilfenahme einer Gesellschaft eine Vielzahl von Mandanten in Kapita­l­an­la­ge­fällen zu gewinnen. Die Kanzlei hatte der Gesellschaft dazu Blanko­voll­machten übergeben. Die Gesellschaft schrieb Verbraucher an, die sich an die Fonds­ge­sell­schaft beteiligt hatten. Wurde eine solche Vollmacht unterschrieben, übersandte die Gesellschaft diese mitsamt den Unterlagen des Mandanten an die Anwaltskanzlei, die dann ohne Kontaktaufnahme mit dem Mandanten mittels eines Serienbriefs Ansprüche gegen die Fonds­ge­sell­schaft geltend machte. Die Anwaltskanzlei hielt den Widerruf des Anwaltsvertrags für unzulässig und erhob Klage auf Zahlung.

Amtsgericht und Landgericht wiesen Klage ab

Sowohl das Amtsgericht Niebüll als auch das Landgericht Flensburg wiesen die Klage ab. Nach Auffassung des Landgerichts habe der Mandant den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen dürfen, da dieser als Fernabsatzvertrag zu werten sei. Gegen diese Entscheidung legte die Anwaltskanzlei Revision ein.

Bundes­ge­richtshof verneint ebenfalls Vergü­tungs­an­spruch

Der Bundes­ge­richtshof bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher die Revision der Anwaltskanzlei zurück. Ein Vergü­tungs­an­spruch für die außer­ge­richtliche Tätigkeit bestehe nicht, da der Mandant den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen habe.

Anwaltsverträge können Regeln über Fernab­satz­ge­schäfte unterliegen

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs könne ein Anwaltsvertrag grundsätzlich den Regeln über Fernabsatzgeschäfte unterfallen. Die Existenz und Zulässigkeit von Anwalts- und Steuerberater-Hotlines oder die Versteigerung anwaltlicher Beratungs­leis­tungen über das Internet belegen, dass sich auch Rechtsanwälte moderner Vertriebsformen unter Einsatz von Fernkom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mitteln bedienen. Der Schutz der Verbraucher gebiete es, die Regeln des Fernab­satz­rechts insbesondere in diesen Fällen auch auf Anwaltsverträge zu erstrecken.

Anwaltsvertrag als widerruflicher Fernab­satz­vertrag zu werten

Der vorliegende Anwaltsvertrag sei als Fernab­satz­vertrag im Sinne von § 312 b Abs. 1 BGB (neu: § 312 c Abs. 1 BGB) zu werten, so der Bundes­ge­richtshof, da er unter ausschließ­licher Verwendung von Fernkom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mitteln geschlossen wurde. In diesem Fall werde zudem vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienst­leis­tungs­system erfolgt sei. Es obliege dem Unternehmen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines solchen Systems erfolgt sei. Dies sei der Anwaltskanzlei nicht gelungen.

Vorliegen eines auf Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienst­leis­tungs­systems

Zwar betonte der Bundes­ge­richtshof, dass ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienst­leis­tungs­system nicht vorliege, wenn ein Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer bzw. Telefon- und Faxanschlüsse vorhalte. Jedoch sei im vorliegenden Fall möglich, dass sich die Anwaltskanzlei der Gesellschaft bewusst bediene, um eine Vielzahl von Mandanten in Kapita­l­an­la­ge­fällen ohne persönlichen Kontakt zu den potentiellen Mandanten und unter ausschließ­licher Verwendung von Fernkom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mitteln zu gewinnen. Ein solcher Struk­tur­vertrieb oder ein diesem vergleichbares Vertriebssystem erfülle die Voraussetzungen für ein auf den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienst­leis­tungs­system.

Möglichkeit des anderweitigen Vertrags­schlusses unerheblich

Für unerheblich hielt der Bundes­ge­richtshof den Umstand, ob und wie eine Kanzlei neben einer möglichen Bewältigung von Fernab­satz­ge­schäften auch andere Möglichkeiten zum Abschluss von Anwalts­ver­trägen nutze. Es sei nicht erforderlich, dass der Unternehmer sein gesamtes Geschäft über Fernkom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mittel abwickle.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (zt/NJW 2018, 690/rb)

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