Im zugrunde liegenden Fall verlangte eine Frau (Klägerin) von ihrer Brandversicherung für einen Brandschaden eine Entschädigung von 16.000,- DM. In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember 1981 war es in ihrem Wohn- und Esszimmer zu einem Schwelbrand gekommen. Die Frau, die im Nachbarraum schlief, bemerkte den Brand erst am Morgen des 28. Dezember gegen 6.00 Uhr. Am Vorabend hatte sie Adventskranzkerzen, Kerzen an einer Krippe und eine dicke Kerze in einem Weihnachtsgesteck entzündet, das auf einem mit Stoff überzogenen Styroporwürfel stand.
Die Frau löschte die auf dem Tisch und an der Krippe stehenden Kerzen. Auch die Kerze im Weihnachtsgesteck will sie gelöscht haben. In der Schadensanzeige bei der Versicherung und auch in der Verhandlung vor dem Landgericht gab sie jedoch an, das Löschen der Kerze im Gesteck möglicherweise vergessen zu haben. Von dieser Kerze ging unstreitig der Brand aus.
Die Versicherung verweigerte die Regulierung des Schadens. Sie hält sich aufgrund von § 61 VVG für leistungsfrei. Danach ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt hat (vgl. zu § 61 VVG die Anmerkung unten).
Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilten die Versicherung jedoch zur Schadensregulierung, weil die Versicherung den Nachweis der groben Fahrlässigkeit nicht erbringen konnte. Der Bundesgerichtshof (BGH) - als Revisionsinstanz - bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen. Es sei nicht erwiesen, dass die Frau den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.
Der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verlange einen objektiv schweren und subjektiv unentschuldbaren Verstoß gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt, führte der BGH aus.
Im vorliegenden Fall könne nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises auch auf eine subjektive Fahrlässigkeit geschlossen werden. Es bestünde die "praktische Möglichkeit", dass es zu dem Vergessen der letzten brennenden Kerze auf eine Art und Weise gekommen sei, die gegen die Frau zwar den Vorwurf der Fahrlässigkeit bestehen lasse, nicht aber den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, nämlich nicht mehr verständlicher Nachlässigkeit.
Die Frau habe beabsichtigt, alle Kerzen zu löschen. In einem solchen Fall liege die praktische Möglichkeit nicht fern, dass die Klägerin nur durch eine kurzfristige Ablenkung oder ein bloßes Übersehen gerade dieser nicht besonders auffälligen Flamme sich von ihrem beabsichtigten Auslöschen abbringen ließ. Es sei der Frau durchaus bewusst gewesen, dass es gefährlich sei, Kerzen unbeaufsichtigt weiter brennen zu lassen, führte der BGH weiter aus. Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frau sich oder ihr Eigentum der Verbrennungsgefahr aussetzen wollte.
Bitte beachten Sie, dass § 61 VVG heute nicht mehr gültig ist. Bei grob fahrlässiger Herbeiführung eines Versicherungsfalls wird die Versicherung nicht mehr komplett leistungsfrei, sondern kann ihre Leistung nach der Schwere des Verschuldens kürzen (vgl. § 81 VVG).
Erläuterungen
§ 61 VVG (gültig bis 31.12.2007)
Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt.
§ 81 VVG (gültig seit 1.1.2008)
Herbeiführung des Versicherungsfalles
(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.
(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.12.2010
Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/pt)