18.10.2024
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Sie sehen eine abgedunkelte Fassade von mehreren Hochhäusern, auf der ein Schutzschild leuchtet.

Dokument-Nr. 10665

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Urteil04.12.1985BundesgerichtshofIVa ZR 130/84
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW-RR 1986, 705Zeitschrift: NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Jahrgang: 1986, Seite: 705
  • VersR 1986, 254Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 1986, Seite: 254
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil04.12.1985

BGH: Brennenlassen einer Advents­kranzkerze ist nicht unbedingt grob fahrlässigBGH zum Nachweis der grob fahrlässigen Herbeiführung eines Brandschadens

Wer vorhat alle Kerzen zu löschen und dann - aus nicht geklärten Umständen - doch eine Kerze vergisst, hat einen sich hierdurch entwickelnden Brand nicht unbedingt grob fahrlässig herbeigeführt. Dies geht aus einem Urteil des Bundes­ge­richtshofs vom 04.12.1985 hervor.

Im zugrunde liegenden Fall verlangte eine Frau (Klägerin) von ihrer Brand­ver­si­cherung für einen Brandschaden eine Entschädigung von 16.000,- DM. In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember 1981 war es in ihrem Wohn- und Esszimmer zu einem Schwelbrand gekommen. Die Frau, die im Nachbarraum schlief, bemerkte den Brand erst am Morgen des 28. Dezember gegen 6.00 Uhr. Am Vorabend hatte sie Adventskranzkerzen, Kerzen an einer Krippe und eine dicke Kerze in einem Weihnachts­gesteck entzündet, das auf einem mit Stoff überzogenen Styroporwürfel stand.

Eine Kerze wohl nicht gelöscht

Die Frau löschte die auf dem Tisch und an der Krippe stehenden Kerzen. Auch die Kerze im Weihnachts­gesteck will sie gelöscht haben. In der Schadensanzeige bei der Versicherung und auch in der Verhandlung vor dem Landgericht gab sie jedoch an, das Löschen der Kerze im Gesteck möglicherweise vergessen zu haben. Von dieser Kerze ging unstreitig der Brand aus.

Versicherung hält sich für leistungsfrei

Die Versicherung verweigerte die Regulierung des Schadens. Sie hält sich aufgrund von § 61 VVG für leistungsfrei. Danach ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versi­che­rungs­nehmer den Versi­che­rungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt hat (vgl. zu § 61 VVG die Anmerkung unten).

Gerichte verurteilen Versicherung zur Schadens­re­gu­lierung

Das Landgericht und das Oberlan­des­gericht verurteilten die Versicherung jedoch zur Schadens­re­gu­lierung, weil die Versicherung den Nachweis der groben Fahrlässigkeit nicht erbringen konnte. Der Bundes­ge­richtshof (BGH) - als Revisi­ons­instanz - bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen. Es sei nicht erwiesen, dass die Frau den Versi­che­rungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit

Der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verlange einen objektiv schweren und subjektiv unent­schuldbaren Verstoß gegen die im konkreten Fall gebotene Sorgfalt, führte der BGH aus.

Grobe Fahrlässigkeit nicht erwiesen

Im vorliegenden Fall könne nicht aufgrund eines Anscheins­be­weises auch auf eine subjektive Fahrlässigkeit geschlossen werden. Es bestünde die "praktische Möglichkeit", dass es zu dem Vergessen der letzten brennenden Kerze auf eine Art und Weise gekommen sei, die gegen die Frau zwar den Vorwurf der Fahrlässigkeit bestehen lasse, nicht aber den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, nämlich nicht mehr verständlicher Nachlässigkeit.

Klägerin wollte alle Kerzen löschen

Die Frau habe beabsichtigt, alle Kerzen zu löschen. In einem solchen Fall liege die praktische Möglichkeit nicht fern, dass die Klägerin nur durch eine kurzfristige Ablenkung oder ein bloßes Übersehen gerade dieser nicht besonders auffälligen Flamme sich von ihrem beabsichtigten Auslöschen abbringen ließ. Es sei der Frau durchaus bewusst gewesen, dass es gefährlich sei, Kerzen unbeaufsichtigt weiter brennen zu lassen, führte der BGH weiter aus. Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frau sich oder ihr Eigentum der Verbren­nungs­gefahr aussetzen wollte.

Anmerkung

Bitte beachten Sie, dass § 61 VVG heute nicht mehr gültig ist. Bei grob fahrlässiger Herbeiführung eines Versi­che­rungsfalls wird die Versicherung nicht mehr komplett leistungsfrei, sondern kann ihre Leistung nach der Schwere des Verschuldens kürzen (vgl. § 81 VVG).

Erläuterungen
§ 61 VVG (gültig bis 31.12.2007)

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versi­che­rungs­nehmer den Versi­che­rungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführt.

§ 81 VVG (gültig seit 1.1.2008)

Herbeiführung des Versi­che­rungs­falles

(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versi­che­rungs­nehmer vorsätzlich den Versi­che­rungsfall herbeiführt.

(2) Führt der Versi­che­rungs­nehmer den Versi­che­rungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versi­che­rungs­nehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/pt)

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