23.11.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.

Dokument-Nr. 32889

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Urteil11.05.2023BundesgerichtshofIII ZR 41/22
Vorinstanzen:
  • Landgericht Heilbronn, Urteil17.12.2023, I 4 O 83/00
  • Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil09.02.2022, 4 U 28/21
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil11.05.2023

Sechswöchige Betrie­bs­un­ter­sagung im "erster Lockdown“ verhältnismäßigKeine verfassungs­rechtliche Verpflichtung des Staates zur Regelung von Ausgleichs­ansprüchen

Der Bundes­ge­richtshof hat über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnah­me­ausfälle haftet, die durch die vorübergehende landesweite Schließung von Frisörbetrieben im Frühjahr 2020 im Rahmen der Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus entstanden sind ("erster Lockdown").

Die Klägerin ist selbständig tätig und betreibt einen Frisörsalon in gemieteten Räumlichkeiten. Durch Verordnungen vom 17. und 20. März 2020 untersagte das beklagte Land Baden-Württemberg vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen. Dazu gehörten auch Frisörgeschäfte. Der Betrieb der Klägerin war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Die Klägerin war auch nicht anste­ckungs­ver­dächtig. Aus dem Sofort­hil­fe­programm des beklagten Landes erhielt sie 9.000 €, die sie allerdings zurückzahlen muss. Die Klägerin hat geltend gemacht, das beklagte Land schulde ihr eine Entschädigung in Höhe von 8.000 € für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen (Verdien­st­ausfall, Betrie­bs­ausgaben). Die Maßnahme sei zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem Oberlan­des­gericht erfolglos geblieben.

BGH verneint Staatshaftung

Der BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach Gewer­be­trei­benden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infek­ti­o­ns­schutz­rechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betrie­bs­schließung oder Betrie­bs­be­schränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach den Vorschriften des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschä­di­gungs­ansprüche zustehen.

Staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger

Die sechswöchige Betrie­bs­un­ter­sagung für Frisöre war auch unter Berück­sich­tigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verhältnismäßig. Die landes­recht­lichen Regelungen, die Betrie­bs­schlie­ßungen anordneten, verfolgten das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch die der Überlastung des Gesund­heits­systems, zu bekämpfen. Damit erfüllte der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger und verfolgte mithin einen legitimen Zweck.

Grund­recht­s­eingriff durch verschiedenen und umfangreiche staatlichen Hilfsmaßnahmen relativiert

Das Gewicht des Eingriffs in die vorgenannten Grund­rechts­po­si­tionen wurde durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die von der Betrie­bs­un­ter­sagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert. Allein die "Soforthilfe Corona", die ab dem 25. März 2020 zur Verfügung stand, und für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 € betragen konnte, führte in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro. Der Verord­nungsgeber hatte zudem von Anfang an eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick und verfolgte ein schrittweises Öffnungskonzept.

Begrenzte finanzielle Leistungs­fä­higkeit des Staates

Der Umstand, dass die infek­ti­o­ns­schutz­recht­lichen Betrie­bs­un­ter­sa­gungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§ 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadensersatz- oder Entschä­di­gungs­ansprüche begründen, ist auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber war verfas­sungs­rechtlich nicht verpflichtet, für Belastungen, wie sie für die Klägerin mit der in den Betrie­bs­un­ter­sa­gungen liegenden Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichs­ansprüche zu regeln. Eine Betrie­bs­schließung von sechs Wochen war angesichts der gesamten wirtschaft­lichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie und unter Berück­sich­tigung des grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Unter­neh­mer­risikos nicht unzumutbar. Die finanzielle Leistungs­fä­higkeit des Staates ist begrenzt. Dementsprechend muss der Staat in Pandemiezeiten sich gegebenenfalls auf seine Kardi­na­l­pflichten zum Schutz der Bevölkerung beschränken.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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