18.10.2024
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Sie sehen ein altes Ehepaar auf einer Parkbank.

Dokument-Nr. 26518

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Bundesgerichtshof Urteil04.10.2018

BGH zum Entgeltanspruch eines Pflege­heim­be­treibers beim vorzeitigen HeimwechselZahlungs­an­spruch auf Tag der Beendigung der tatsächlichen Leistungs­er­bringung begrenzt

Ein Pflege­heim­be­treiber hat bei einem vorzeitigen Heimwechsel eines Leistungen der sozialen Pflege­ver­si­cherung beziehenden Bewohners keinen Anspruch auf Zahlung des Entgeltes. Dies hat der Bundes­ge­richtshof in seiner Entscheidung bekanntgegeben.

Im vorliegenden Fall ist der an Multiple Sklerose erkrankte Kläger auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen und bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Er verlangt von dem Beklagten, der ein Pflegeheim betreibt, Rückzahlung von Heimkosten. Von Dezember 2013 bis zum 14. Februar 2015 war der Kläger in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Nach dem Wohn- und Betreu­ungs­vertrag konnte der Bewohner das Vertrags­ver­hältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen.

Kläger wechselt in auf Multiple-Sklerose spezialisiertes Pflegeheim

Ende Januar 2015 fand der Kläger einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim. Daraufhin kündigte er mit Schreiben vom 28. Januar 2015 den Wohn- und Betreu­ungs­vertrag mit dem Beklagten zum 28. Februar 2015. Da in dem anderen Pflegeheim kurzfristig schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am 14. Februar 2015 aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz.

Kläger begehrt Rückzahlung der Heimkosten aufgrund Auszugs

Der Beklagte stellte dem Kläger - nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 - Heimkosten für den gesamten Monat Februar 2015 in Höhe von 1.493,03 € in Rechnung, die der Kläger zunächst vollständig bezahlte. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozia­l­leis­tungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der bezahlten 1.493,03 €, was der Beklagte jedoch ablehnte.

Kläger macht fehlenden Rechtsgrund geltend

Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlung des Heimentgelts sei für die zweite Februarhälfte 2015 ohne Rechtsgrund erfolgt, da mit seinem Auszug am 14. Februar 2015 seine Zahlungspflicht entsprechend dem Grundsatz der taggenauen Abrechnung gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI erloschen sei.

Berufung gegen erstin­sta­nz­liches Urteil zugunsten des Klägers erfolglos

Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 1.493,03 € nebst Zinsen und vorge­richt­lichen Rechts­an­walts­kosten gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.

Revision des Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen

Der Bundes­ge­richtshof hat die Revision des Beklagten Im Wesentlichen zurückgewiesen. Das Rechtsmittel hat nur Erfolg, soweit die Klageforderung auf zwei Berech­nungs­fehlern beruht (insgesamt 362,63 €).

Zahlungspflicht endet mit Auszug

Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Der Beklagte hat das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurück­zu­er­statten, da die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs am 14. Februar 2014 gemäß § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI in Verbindung mit § 15 Abs. 1 WBVG endete.

Prinzip der tagesgleichen Vergütung

§ 87 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI, dem das Prinzip der tagesgleichen Vergütung zugrunde liegt, bestimmt, dass die im Begriff des Gesamt­hei­mentgelts zusam­men­ge­fassten Zahlungs­ansprüche der Einrichtung für den Tag der Aufnahme des Pflege­be­dürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts taggenau berechnet werden. Danach besteht der Zahlungsanspruch des Heimträgers nur für die Tage, in denen sich der Pflege­be­dürftige tatsächlich im Heim aufhält (Berechnungstage). In Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis ordnet § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag endet, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt.

Auch zivilrechtliche Vergü­tungs­pflicht in § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI geregelt

Nach seinem eindeutigen Wortlaut regelt § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers, sondern erfasst ebenso die zivilrechtliche Vergü­tungs­pflicht des Heimbewohners. Es handelt sich um eine gegenüber den heimver­trag­lichen Bestimmungen des Wohn- und Betreu­ungs­ver­trags­ge­setzes vorrangige Sonderregelung zugunsten von Heimbewohnern, die gleichzeitig Leistungs­be­zieher der Pflege­ver­si­cherung sind. Dieser Vorrang kommt darin zum Ausdruck, dass abweichende Vereinbarungen nichtig sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87 a Abs. 1 Satz 4 SGB XI).

Vorliegen eines "Entlassen" auch bei Auszug vor Ablauf der Kündigungsfrist

Die Systematik des § 87 a Abs. 1 SGB XI sowie die Entste­hungs­ge­schichte und der daraus ableitbare Zweck des Gesetzes sprechen dafür, dass ein "Entlassen" im Sinne des § 87 a Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB XI auch dann vorliegt, wenn der Pflege­be­dürftige - nach einer Kündigung des Heimver­trags­ver­hält­nisses - vor Ablauf der Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG endgültig auszieht.

Heiment­gelt­be­rechnung nur durch aufnehmende Pflege­ein­richtung

Dass der Begriff "Entlassen" auch den Umzug beziehungsweise die Verlegung des Pflege­be­dürftigen in ein anderes Heim erfasst, erschließt sich aus der Regelung des § 87 a Abs. 1 Satz 3 SGB XI. Darin wird klargestellt, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners gegenüber dem bisherigen Pflegeheim nicht für den Umzugs-/Verlegungstag besteht und insofern ein Heimentgelt nur durch die aufnehmende Pflege­ein­richtung berechnet werden darf. Damit bringt das Gesetz zugleich zum Ausdruck, dass für die restlichen Tage des Monats, in dem der Auszugs-/Verlegungstag liegt, kein Entgelt mehr an das bisherige Pflegeheim zu zahlen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Heimbewohner, der Leistungen der sozialen Pflege­ver­si­cherung bezieht, die Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG einhält.

Vergü­tungs­pflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit

Der Regelung des § 87 a Abs. 1 Satz 5 bis 7 SGB XI über die Vergü­tungs­pflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit vom Heim ist zu entnehmen, dass ein Vergü­tungs­an­spruch der Einrichtung (gegebenenfalls unter Berück­sich­tigung ersparter Aufwendungen) voraussetzt, dass der Pflege­be­dürftige das Heim nur vorübergehend im Sinne des § 87 a Abs. 1 Satz 5, 6 SGB XI verlässt (z.B. wegen eines Kranken­haus­auf­enthalts) und deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes hat.

Gesetz bezweckt Schutz des Heimbewohners oder des Kostenträgers vor doppelter Inanspruchnahme

Die Entste­hungs­ge­schichte der in § 87 a Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB XI enthaltenen Regelungen und der Gesetzeszweck bestätigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Zahlungspflicht des Heimbewohners mit dem Tag enden soll, an dem er die Pflege­ein­richtung endgültig verlässt, mag dies auch vor Ablauf einer Kündigungsfrist geschehen. § 87 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI bezweckt den Schutz des Heimbewohners (bzw. seiner Erben) oder seines Kostenträgers vor der doppelten Inanspruchnahme für etwaige Leerstände nach dem Auszug (oder dem Tod) des Heimbewohners. Nach der üblichen Praxis der Heimträger werden die durch Leerstände verursachten Kosten im Rahmen der Auslas­tungs­ka­l­ku­lation sowie durch gesonderte Wagnis- und Risikozuschläge in die Pflegesätze eingerechnet und anschließend anteilig auf die Heimbewohner umgelegt. Dies hat den Gesetzgeber veranlasst, den Zahlungs­an­spruch des Einrich­tungs­trägers bei Versterben oder bei einem Auszug des Heimbewohners auf den Tag der Beendigung der tatsächlichen Leistungs­er­bringung zu begrenzen, weil ansonsten die Zeit des Leerstandes zulasten des Heimbewohners doppelt berücksichtigt würde.

Endgültiges Pflege­heim­ver­lassen für Beklagte aufgrund Kündigung deutlich erkennbar

Danach endete die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten am 14. Februar 2015. Als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflege­ver­si­cherung fällt er in den Anwen­dungs­bereich des § 87 a Abs. 1 SGB XI. Aus der Kündigung vom 28. Januar 2015 war für den Beklagten erkennbar, dass der Kläger das Pflegeheim endgültig verlassen wollte. Da der Beklagte nach dem Auszug des Klägers keine Leistungen mehr erbracht hat und auch nicht verpflichtet war, den Pflegeplatz freizuhalten, besteht insofern nach den Grundsätzen des § 87 a Abs. 1 Satz 1, 2 SGB XI auch kein Vergü­tungs­an­spruch.

Erläuterungen
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 87 a SGB XI

Berechnung und Zahlung des Heimentgelts

(1)1Die Pflegesätze, die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie die gesondert berechenbaren Inves­ti­ti­o­ns­kosten (Gesamt­hei­mentgelt) werden für den Tag der Aufnahme des Pflege­be­dürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts berechnet (Berechnungstag). ²Die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger endet mit dem Tag, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt. ³Zieht ein Pflege­be­dürftiger in ein anderes Heim um, darf nur das aufnehmende Pflegeheim ein Gesamt­hei­mentgelt für den Verlegungstag berechnen. 4Von den Sätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarungen zwischen dem Pflegeheim und dem Heimbewohner oder dessen Kostenträger sind nichtig. 5Der Pflegeplatz ist im Fall vorübergehender Abwesenheit vom Pflegeheim für einen Abwesen­heits­zeitraum von bis zu 42 Tagen im Kalenderjahr für den Pflege­be­dürftigen freizuhalten. 6Abweichend hiervon verlängert sich der Abwesen­heits­zeitraum bei Kranken­haus­auf­ent­halten und bei Aufenthalten in Rehabi­li­ta­ti­o­ns­ein­rich­tungen für die Dauer dieser Aufenthalte. 7In den Rahmenverträgen nach § 75 sind für die nach den Sätzen 5 und 6 bestimmten Abwesen­heits­zeiträume, soweit drei Kalendertage überschritten werden, Abschläge von mindestens 25 vom Hundert der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung und der Zuschläge nach § 92 b vorzusehen.

§ 11 Wohn- und Betreu­ungs­ver­trags­gesetz (WBVG)

Kündigung durch den Verbraucher

(1)1Der Verbraucher kann den Vertrag spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen ...

§ 15 Wohn- und Betreu­ungs­ver­trags­gesetz

Besondere Bestimmungen bei Bezug von Sozia­l­leis­tungen

(1)1In Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem Elften Buch Sozial­ge­setzbuch in Anspruch nehmen, müssen die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozial­ge­setzbuch sowie den aufgrund des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozial­ge­setzbuch getroffenen Regelungen entsprechen. ²Vereinbarungen, die diesen Regelungen nicht entsprechen, sind unwirksam.

Quelle: Bundesgerichtshof/ ra-online

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