21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.

Dokument-Nr. 4192

Drucken
Urteil07.05.2007BundesgerichtshofII ZR 281/05
Vorinstanzen:
  • Landgericht Limburg an der Lahn, Urteil06.12.2004, 1 O 683/03
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil20.10.2005, 16 U 3/05
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil07.05.2007

Zeitliche Beschränkung der Beteiligung eines neu eintretenden Vertragsarztes an einer Gemein­schaft­s­praxis ist zulässigKein Verstoß gegen das "Hinaus­kün­di­gungs­verbot"

Der Bundes­ge­richtshof hatte nach dem so genannten "LaborärzteFall" erneut über die Frage der Zulässigkeit eines freien Hinaus­kün­di­gungs­rechts bei einer ärztlichen Gemein­schaft­s­praxis zu entscheiden.

Die Parteien sind Fachärzte für Innere Medizin, die früher gemeinsam eine internistische und nephrologische Gemein­schaft­s­praxis betrieben haben. Die Klägerin ist jetzt selbständig tätig (ohne Dialyse), will aber gerichtlich festgestellt wissen, dass die von dem Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung des Gesell­schafts­ver­trages wegen Verstoßes gegen das so genannte "Hinaus­kün­di­gungs­verbot" unwirksam ist. Das Landgericht und das Oberlan­des­gericht haben angenommen, dass das für die Dauer von zehn Jahren im Gesell­schafts­vertrag vereinbarte Übernahmerecht des Beklagten es soll nach dem Vertrag selbst bei einer gegen ihn gerichteten fristlosen Kündigung gelten nichtig ist, dass es aber unter Heranziehung von § 139 BGB auf drei Jahre reduziert werden kann. Der II. Zivilsenat hatte in dem "LaborärzteFall" ein solches "Hinaus­kün­di­gungsrecht" nicht für schlechthin unwirksam erklärt, wenn es das Ziel verfolge, zu überprüfen, ob ein neu in eine Gemein­schaft­s­praxis von Ärzten aufgenommener Berufsträger zu den Partnern "passt". Diese Prüfungs­mög­lichkeit kann aber nur für einen begrenzten Zeitraum anerkannt werden. In dem damals entschiedenen Fall war die Frist mit zehn Jahren weit überschritten. In dem nun zu entscheidenden Fall hatte das Landgericht die bis zur Kündigung verstrichene Zeit von 3 ½ Jahren für zu lang angesehen, während das Oberlan­des­gericht nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt entschieden hat, dass die Klägerin sich auf die wegen Überschreitung der Frist an sich unwirksame Kündigung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht berufen könne, da sie schon nach 2 Jahren und 7 Monaten von der beabsichtigten Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt sichere Kenntnis gehabt habe, die gesell­schafts­rechtlich auf Dauer nicht hinnehmbare "Damokles-Schwert"-Situation damit bereits vor Fristablauf entfallen war.

Der Senat hat die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision der Klägerin zurückgewiesen. Er hat die im "Laborärzte-Fall" mangels Entschei­dungs­er­heb­lichkeit offen gelassene Frage, für welchen begrenzten Zeitraum den aufnehmenden Berufsträgern die Möglichkeit zugebilligt werden kann, zu prüfen, ob der Partner "passt", in Übereinstimmung mit den Insta­nz­ge­richten dahin entschieden, dass bei der hier gegebenen, nach dem früheren Zulassungsrecht gegründeten Gemein­schaft­s­praxis die Frist einen Kündi­gungs­zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten darf. Bei der Festsetzung dieser Frist hat der Senat berücksichtigt, dass diese sowohl den Zeitraum des gegenseitigen Kennenlernens umfassen als auch noch ausreichend Zeit eröffnen muss, mögliche, zwischen den Gesellschaftern auftretende Differenzen auszuräumen und zu für beide Seiten tragfähigen Kompromissen zu gelangen. Er hat zudem die bei ärztlichen Gemein­schaft­s­praxen anders als bei anderen Freiberuflern (z.B. Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschafts­prüfern) bisher bestehenden öffentlich-rechtlichen Restriktionen bei der Gestaltung des beruflichen Zusammenwirkens in den Blick genommen.

Der Senat ist dem Berufungs­gericht auch darin gefolgt, dass sich die Klägerin auf die wegen Überschreitens der höchst­zu­lässigen Kündigungsfrist von drei Jahren unwirksame Kündigung des Beklagten nicht berufen kann, da nach dem vom Oberlan­des­gericht zutreffend festgestellten Sachverhalt das Berufen auf die Unwirksamkeit treuwidrig ist. Mit seiner Rechtsprechung zur Sitten­wid­rigkeit überlanger Hinaus­kün­di­gungs­klauseln will der Senat sicherstellen, dass jedes Mitglied einer Perso­nen­ge­sell­schaft (oder einer GmbH) seine Rechte und Pflichten unabhängig von dem Wohlwollen der Mehrheit in Selbst­ver­ant­wortung ausüben soll und nicht unter dem "Damokles-Schwert" des jederzeitigen Ausschlusses stehen dürfe. Diese Situation, die der Senat für jeden Gesellschafter mit der Begrenzung der Kündigungsfrist zeitlich einschränken will, bestand aber für die Beklagte bereits vor Ablauf der höchst­zu­lässigen Frist von drei Jahren nicht mehr.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 55/07 des BGH vom 07.05.2007

der Leitsatz

BGB §§ 138, 705 ff.

a) Das grundsätzlich nicht anzuerkennende Recht, einen Mitge­sell­schafter ohne Vorhandensein eines sachlichen Grundes aus einer Gesellschaft ausschließen zu dürfen, kann ausnahmsweise dann als nicht sittenwidrig angesehen werden, wenn ein neuer Gesellschafter in eine seit langer Zeit bestehende Vertrags­a­rzt­praxis aufgenommen wird und das Ausschlie­ßungsrecht allein dazu dient, dem Aufnehmenden binnen einer angemessenen Frist die Prüfung zu ermöglichen, ob zu dem neuen Partner das notwendige Vertrauen hergestellt werden kann und ob die Gesellschafter auf Dauer in der für die gemeinsame Berufsausübung erforderlichen Weise harmonieren können; eine Prüfungsfrist von zehn Jahren überschreitet den anzuerkennenden Rahmen bei weitem (Bestätigung von Sen.Urt. v. 8. März 2004 - II ZR 165/02, ZIP 2004, 903, 904 f. "Laborärzte-Fall").

b) Bei einer im Jahr 2000 nach dem zu dieser Zeit gültigen Zulassungsrecht gegründeten ärztlichen Gemein­schaft­s­praxis beträgt die höchstzulässige Frist, innerhalb derer der aufnehmende Vertragsarzt prüfen kann, ob eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem eintretenden Vertragsarzt auf Dauer möglich ist, drei Jahre.

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil4192

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI