14.11.2024
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Dokument-Nr. 1071

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Urteil10.10.2005BundesgerichtshofII ZR 148/03 und II ZR 90/03
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Bundesgerichtshof Urteil10.10.2005

BGH stärkt Kontrolle durch Aktionäre - zu den Anforderungen an eine Kapitalerhöhung auf dem Wege des genehmigten KapitalsRechtsschutz der Aktionäre gegen unrechtmäßiges, kompetenz-überschrei­tendes Handeln der Organe der Aktien­ge­sell­schaft

Der Bundes­ge­richtshof hatte über die Revisionen einer Minder­heits­ak­ti­onärin in zwei Klageverfahren gegen die Commerzbank im Zusammenhang mit der Ausübung des genehmigten Kapitals durch deren Vorstand zu entscheiden.

Die Haupt­ver­sammlung der beklagten Bank hatte ihren Vorstand rechtswirksam ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Grundkapital gegen Bar- und gegen Sacheinlagen bis zu bestimmten Höchst­nenn­be­trägen zu erhöhen und dabei jeweils das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen. Von diesen Ermächtigungen machte der Vorstand der Beklagten mit Zustimmung des Aufsichtsrats Gebrauch. Die Kapita­l­e­r­hö­hungen wurden in das Handelsregister eingetragen, nachdem die klagende Aktionärin vergeblich versucht hatte, dies auf dem Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern.

1. Das von der Klägerin daraufhin mit dem Ziel angestrengte Haupt­sa­che­ver­fahren, der Beklagten weitere Ausübungen des noch nicht voll ausgeschöpften genehmigten Kapitals durch den Vorstand ohne dessen vorherigen schriftlichen Bericht an die Aktionäre zu untersagen, war in allen drei Rechtszügen erfolglos.

Der II. Zivilsenat (II ZR 148/03) hat entschieden, dass der Vorstand im Rahmen des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) nicht verpflichtet ist, vor Ausübung der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung und zum Bezugs­rechts­aus­schluss die Aktionäre (schriftlich) über den Ausschluss des Bezugsrechts und dessen Gründe zu unterrichten; vielmehr ist er - wie der Senat bereits in seinem Grundsatzurteil „Siemens/Nold“ (BGHZ 136, 133; vgl. dazu Presseerklärung Nr. 41/1997) ausgesprochen hat - lediglich gehalten, nach Inanspruchnahme der Ermächtigung über die Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Haupt­ver­sammlung der Gesellschaft zu berichten und Rede und Antwort zu stehen.

2. Im Paral­lel­rechtsstreit (II ZR 90/03) hat die Klägerin die mit Zustimmung des Aufsichtsrats gefassten Vorstands­be­schlüsse über die mit dem Bezugs­rechts­aus­schluss verbundenen Kapita­l­e­r­hö­hungen gestaffelt mit der (aktien­recht­lichen) Anfechtungs- bzw. Nichtig­keits­fest­stel­lungsklage sowie der (allgemeinen) Feststel­lungsklage angegriffen. Die Vorinstanzen haben sämtliche Klageanträge als unzulässig abgewiesen. Demgegenüber hat der II. Zivilsenat die hilfsweise verfolgte allgemeine Feststel­lungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO - auch noch nach der Eintragung der Kapita­l­e­r­hö­hungen im Handelsregister und der Ausgabe der neuen Aktien - für zulässig erachtet und insoweit die Sache an die Vorinstanz zur Nachholung der gebotenen Sachprüfung zurückverwiesen.

Hat der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugs­rechts­aus­schluss unter Verstoß gegen seine Amtspflichten Entscheidungen getroffen, die von den gesetzlichen Vorgaben und/oder dem Ermäch­ti­gungs­be­schluss der Haupt­ver­sammlung nicht gedeckt sind, so kann der dadurch in seinen Mitglied­s­chafts­rechten beeinträchtigte Aktionär - wie der Senat bereits in dem Grundsatzurteil „Siemens/Nold“ (BGHZ 136, 133) entschieden hat - das pflichtwidrige Organhandeln zum Gegenstand nicht nur einer (vorbeugenden) Unter­las­sungsklage, sondern auch einer (allgemeinen) Feststel­lungsklage machen, die jeweils gegen die Gesellschaft zu richten sind.

Maßgebliche Erwägung für die Zulassung eines derartigen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen unrechtmäßiges, kompe­tenz­über­schrei­tendes Organhandeln war, dass die durch die „Siemens/Nold “- Entscheidung beabsichtigte und bewirkte Erleichterung bei der Herbeiführung eines Ermäch­ti­gungs­be­schlusses zur Schaffung von genehmigtem Kapital nicht zu einer die Mitglied­s­chafts­rechte der Aktionäre, darunter insbesondere das Bezugsrecht, ungerecht­fertigt verkürzenden, unkon­trol­lierten Blanket­ter­mäch­tigung der Geschäfts­leitung führen darf. Mit dem Absenken der Anforderungen an den Ermäch­ti­gungs­be­schluss zur Schaffung genehmigten Kapitals wurde allein auf die Erfordernisse des Wirtschafts­lebens reagiert, Beteiligungs- und Erwerbschancen schnell und flexibel nutzen zu können. Keinesfalls aber sollte der vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutz der Aktionäre herabgesetzt und der Kompe­tenz­bereich des Vorstands zu Lasten der Haupt­ver­sammlung erweitert werden. Angesichts der Lockerung der präventiven Schranken bei der Erteilung der Ermächtigung muss sichergestellt sein, dass im Rahmen der Ausübung der Ermächtigung eine angemessene, systemkonforme gerichtliche Kontroll­mög­lichkeit zur Verfügung steht; diese besteht - neben der im Hinblick auf das Zeitmoment nur beschränkt möglichen (vorbeugenden) Unter­las­sungsklage - vornehmlich in der allgemeinen Feststel­lungsklage gemäß § 256 ZPO.

Die in einem solchen Fall von dem Feststel­lungs­kläger aufgeworfene Frage nach der Rechts­wid­rigkeit der mit einem Bezugs­rechts­au­schluss verbundenen Kapitalerhöhung berührt dessen Stellung als Aktionär und damit sein Rechts­ver­hältnis zur Gesellschaft. Sofern nämlich Vorstand und Aufsichtsrat unter Überschreitung des ihnen durch das Gesetz und den Ermäch­ti­gungs­be­schluss gesteckten Rahmens pflichtwidrig von dem genehmigten Kapital Gebrauch machen, tun sie dies als Organe der Gesellschaft. Es ist daher Sache der Gesellschaft, durch ihre Organe Abhilfe zu schaffen und den betroffenen Aktionären dadurch Genüge zu tun, dass entweder – sofern noch möglich – eine (weitere) künftige Verletzung ihrer durch Art. 14 GG geschützten Mitglied­s­chafts­rechte bei einer etwaigen weiteren Ausschöpfung der erteilten Ermächtigung unterbleibt oder etwa bereits eingetretene Schäden kompensiert werden (vgl. BGHZ 83, 122, 126, 134 - Holzmüller). Wollte die Gesellschaft aber entgegen einem Feststel­lungs­urteil den tatsächlich geschaffenen Zustand zum Nachteil der klagenden Aktionäre aufrecht­er­halten, so könnte das für diese die Grundlage für die Geltendmachung konkreter Sekun­dä­ransprüche im Klagewege bilden sowie entsprechende Anträge in der Haupt­ver­sammlung, etwa auf Versagung der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, auf Abberufung der Aufsichts­rats­mit­glieder (§ 103 AktG) oder auf Geltendmachung von Ersatz­ansprüchen nach § 147 AktG, rechtfertigen.

Voristanzen:

Landgericht Frankfurt am Main – Entscheidungen vom 22.1.2001 - 3/1 O 134/00 und 5.2.2001 – 3/1 O 139/00

Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main – Entscheidungen vom 1.4.2004 - 5 U 54/01 und 4.2.2003 – 5 U 63/01

Quelle: Pressemitteilung Nr. 135/05 des BGH vom 10.10.2005, bearbeitet von der ra-online Redaktion

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