03.12.2024
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Dokument-Nr. 3058

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Bundesgerichtshof Urteil18.09.2006

Absprachen bei der Wahl eines Aufsichts­rats­vor­sit­zenden erlaubt"Acting in concert" nur bei Haupt­ver­samm­lungen unzulässig

Der Bundes­ge­richtshof hatte in einem Rechtsstreit drei früherer WMF-Großaktionäre einerseits und dem WMF-Aktionär Helvetic GmbH andererseits zu entscheiden. Diese warfen den Beklagten vor, sie haben sich bei der Besetzung des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden 2003 abgestimmt, um WMF zu kontrollieren. Die Helvetic GmbH wollte daher Rechte wegen Nicht­un­ter­breitung eines Pflichtangebots geltend machen.

Die Klägerin, die Beklagte und ihre beiden Streit­hel­fe­rinnen (drei sog. Finan­z­in­vestoren) sind Großaktionäre einer großen deutschen, dem Mitbe­stim­mungs­gesetz unterliegenden Aktien­ge­sell­schaft; dabei halten die Klägerin ca. 33 % und die drei Finan­z­in­vestoren je ca. 17 % der stimm­be­rech­tigten Aktien. Alle vier Großaktionäre hatten im Jahr 1993 einen Vertrag geschlossen, in dem sie sich nicht nur gegenseitig Vorkaufsrechte auf ihre jeweiligen Aktienpakete einräumten, sondern auch eine gemeinsame Abstimmung bei den Aufsichts­rats­wahlen verabredeten. Im März 2003 hoben sie diese Vereinbarung auf, verständigten sich aber alle gleichwohl wieder auf die personelle Besetzung der Anteils­eig­nerseite für die für Juni 2003 anstehenden Wahlen zum Aufsichtsrat; keine Übereinstimmung konnten sie hinsichtlich der Person des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden herbeiführen.

Später einigte sich die Beklagte mit den beiden Streit­hel­fe­rinnen - ohne die Klägerin einzubeziehen - auf die Wahl des bisherigen Vorstands­vor­sit­zenden zum neuen Aufsichts­rats­vor­sit­zenden. Am Vorabend der Haupt­ver­sammlung wurde der Klägerin unterbreitet, dass man nur dann deren Vertrauensmann zum stell­ver­tre­tenden Aufsichts­rats­vor­sit­zenden wählen werde, wenn im Gegenzug die Klägerin sich dem Vorhaben, den Posten des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden mit dem bisherigen Vorstands­vor­sit­zenden zu besetzen, anschließen werde. In der Haupt­ver­sammlung wurden sodann die Aufsichts­rats­mit­glieder abredegemäß gewählt. Im Anschluss hieran wählte der neu gebildete Aufsichtsrat – unter anderem mit den Stimmen der Klägerin – den bisherigen Vorstands­vor­sit­zenden zum Aufsichts­rats­vor­sit­zenden.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe gemeinsam mit ihren beiden Streit­hel­fe­rinnen die Kontrolle über die Aktien­ge­sell­schaft erlangt. Da dies weder angezeigt wurde, noch ihr ein öffentliches Angebot unterbreitet wurde, verlangt sie im Wege der Teilklage Zahlung von 200.000 € Zinsen gemäß § 38 WpÜG (Wertpa­pier­über­nah­me­gesetz).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat ihr stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, in der zwischen der Beklagten und ihren beiden Streit­hel­fe­rinnen verabredeten und später durchgesetzten Wahl des neuen Aufsichts­rats­vor­sit­zenden sei ein abgestimmtes Verhalten im Sinne von § 30 Abs. 2 WpÜG zu sehen. Dieses „acting in concert“ führe dazu, dass sich die Beklagte die Stimmanteile der beiden Streit­hel­fe­rinnen zurechnen lassen müsse. Da alle drei zusammen über Stimmanteile in Höhe von ca. 51 % verfügten, habe die Beklagte hierdurch die Kontrolle über die Zielge­sell­schaft erlangt, ohne den ihr hieraus erwachsenen Pflichten nach § 35 WpÜG nachgekommen zu sein. Hiergegen richtet sich die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision der Beklagten.

Der II. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die klageabweisende landge­richtliche Entscheidung wieder­her­ge­stellt. Nach seiner Beurteilung beruht das Berufungsurteil in mehrfacher Hinsicht auf Rechtsirrtum: die Klägerin als Beteiligte an der Absprache kann Rechte wegen Nicht­un­ter­breitens eines Pflichtangebots nicht geltend machen; das abgestimmte Verhalten ist nach dem Gesetz nur für Abstimmungen in der Haupt­ver­sammlung verboten, und bei der Wahl des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden hat es sich nur um einen „Einzelfall“ i.S.v. § 30 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz WpÜG gehandelt, der von den Verpflichtungen nach dem WpÜG ausgenommen ist.

Erläuterungen

Vorinstanzen

LG München – Entscheidung vom 11.3.2004 - I – 5HK O 16972/03

Oberlan­des­gericht München – Entscheidung vom 27.4.2005 - 7 U 2793/04

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 127/06 des BGH vom 18.09.2006

der Leitsatz

WpÜG §§ 30 Abs. 2 Satz 1, 35 Abs. 1, 2, 38

AktG §§ 107 Abs. 1, 111 Abs. 5

a) Die Zurechnungsnorm des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG erfasst nur solche Vereinbarungen, die sich auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielge­sell­schaft, d.h. nur die Stimm­rechts­ausübung in der Haupt­ver­sammlung, beziehen.

b) Anders als die Wahl der Aufsichts­rats­mit­glieder durch die Haupt­ver­sammlung erfüllt die Wahl des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden aus der Mitte des Aufsichtsrats (§ 107 Abs. 1 AktG; § 27 MitbestG) nicht den Zurech­nung­s­tat­bestand des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG. Einer - von dem eindeutigen Geset­zes­wortlaut nicht gedeckten, extensiven - Anwendung dieser Norm auf Abstim­mungs­vorgänge innerhalb des Aufsichtsrats steht die unabhängige Rechtsstellung der Aufsichts­rats­mit­glieder entgegen, die allein dem Unter­neh­men­s­in­teresse verpflichtet sind und im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen unterliegen (§ 111 Abs. 5 AktG).

c) Anspruchs­be­rechtigt hinsichtlich eines (isolierten) Zinsanspruchs gemäß § 38 WpÜG ist nicht derjenige Aktionär der Zielge­sell­schaft, dessen Stimmrechte aufgrund seiner Beteiligung an dem abgestimmten Verhalten dem "Bieter" gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG dergestalt zuzurechnen sind, dass er seinerseits ebenfalls meldungs- und angebots­pflichtig (§ 35 WpÜG) wäre.

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