21.11.2024
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Dokument-Nr. 5751

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Bundesgerichtshof Urteil29.04.1999

Darf ein anderer Schriftsteller den berühmten Romans "Dr. Shiwago" fortsetzen?

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte erstmals über die Frage zu entscheiden, ob ein Roman ohne Zustimmung der Urheber­be­rech­tigten durch einen anderen Autor in der Weise benutzt werden kann, daß seine Geschichte in einem neuen Werk forterzählt wird.

Die Klägerin, ein italienisches Verlags­un­ter­nehmen, hat im Jahre 1957 den Roman "Dr. Shiwago" mit Zustimmung von Boris Pasternak in Italien erstmals in italienischer Übersetzung veröffentlicht. Als Fortsetzung zu diesem Roman erschien im Jahre 1994 im Verlag der Beklagten unter dem Pseudonym Alexander Mollin ein Werk mit dem Titel "Laras Tochter". Nach Ansicht der Klägerin wurden dadurch ihre urheber­recht­lichen Befugnisse an "Dr. Shiwago" verletzt, weil sich "Laras Tochter" als abhängige Bearbeitung unbefugt an "Dr. Shiwago" anlehne.

Das Berufungs­gericht (OLG Karlsruhe) hat der - insbesondere auf Unterlassung und Schadenersatz gerichteten - Klage stattgegeben. Der Bundes­ge­richtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Aus den Feststellungen des Berufungs­ge­richts ergebe sich, daß Mollin aus "Dr. Shiwago" urheber­rechtlich geschützten Romanstoff entlehnt habe. "Laras Tochter" übernehme als erzählerische Ausgangslage wesentliche Züge der in "Dr. Shiwago" geschaffenen Romanwelt mit ihren handelnden Personen, dem Geflecht ihrer Beziehungen untereinander, ihrem Schicksal und ihrer gesamten sonstigen Lebenssituation bis hin zu Schauplätzen, an denen sich in "Dr. Shiwago" entscheidendes Geschehen abspiele. "Laras Tochter" sei in den Handlungs­strängen so geschickt mit "Dr. Shiwago" verknüpft, daß der Leser vom Autor in den Anfangskapiteln weiter in der Romanwelt dieses Werkes geführt werden könne. Auch in den späteren Kapiteln, in denen sich die Handlung immer mehr von derjenigen des älteren Werkes löse, sei das jüngere Werk bemüht, beim Leser den Eindruck zu erwecken, die weitere Entwicklung der Geschichte von "Dr. Shiwago", wenn auch aus anderer Perspektive, mitzuerleben.

In diesen Entlehnungen liegt nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs eine Urheber­rechts­ver­letzung, da sich bei einem Roman der Urheber­rechts­schutz nicht auf die konkrete Textfassung beschränke, sondern auch für andere schöpferisch gestaltete Elemente gelte (wie den Gang der Handlung, die Charakteristik der handelnden Personen und ihrer Beziehungen untereinander, die Ausgestaltung von Szenen und die "Szenerie" des Romans).

Eine freie Benutzung in der Form, daß das ältere Werk nur noch als Anregung zu eigenem Werkschaffen erscheine, sei hier nicht gegeben. "Laras Tochter" werde nicht dadurch zu einem selbständigen Werk, daß es sich nach seinen Anfängen, die weitgehend von den Übernahmen aus "Dr. Shiwago" lebten, immer mehr von dem älteren Werk löse, neue Begebenheiten erzähle und dabei die Erzählhandlung auf das Schicksal und die Perspektive anderer, wenn auch teilweise aus "Dr. Shiwago" bekannter Personen verlagere. Dies hebe die Übernahmen nicht auf.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 38/1999 des BGH

der Leitsatz

1. Eine Erstver­öf­fent­lichung in einem Verbandsland im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Rom-Fassung der Revidierten Berner Übereinkunft ist auch bei einer erstmaligen Veröf­fent­lichung des Werkes in einer Übersetzung gegeben.

2. Der Inhaber umfassender ausschließ­licher Nutzungsrechte an einem Werk ist aufgrund seiner dinglichen Rechtsstellung befugt, die Verviel­fäl­tigung und Verbreitung einer unfreien Bearbeitung des Werkes zu untersagen, auch wenn ihm selbst eine Werknutzung in dieser Form nicht gestattet ist.

3. Einem Verlag, der Inhaber ausschließ­licher Nutzungsrechte an einem Sprachwerk ist, aber einem anderen ein ausschließ­liches (Unter-)Verlagsrecht eingeräumt hat, können Ansprüche aus Urheber­rechts­ver­letzung zustehen, wenn das Werk unbefugt in einer unfreien Bearbeitung benutzt wird, falls er - etwa wegen einer Beteiligung an den Einnahmen des Unter­li­zenz­nehmers - weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Rechts­ver­folgung hat. Ein Schaden­s­er­satz­an­spruch ist allerdings der Höhe nach auf den Ersatz des Schadens beschränkt, der dem Verlag selbst - trotz der Einräumung der Unterlizenz - durch die unbefugte Werknutzung entstanden ist.

4. Wenn die in einem urheber­rechtlich geschützten Roman erzählte Geschichte unter Übernahme wesentlicher, charak­te­ris­tischer Romangestalten fortgeschrieben wird, kann eine freie Benutzung nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden.

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