14.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil26.09.2002

Bundes­ge­richtshof läßt Anwalts-Hotline zu

Der u.a. für das Wettbe­wer­bsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, daß weder das Rechts­be­ra­tungs­gesetz noch das anwaltliche Berufs- und Gebührenrecht einer telefonischen Rechtsauskunft durch Anwälte über eine 0190er-Nummer entgegenstehen.

Der Bundes­ge­richtshof hatte in zwei Verfahren zu entscheiden, in denen die Betreiberin einer Anwalts-Hotline einmal von einer Rechts­an­walts­kammer und einmal von einer Münchener Anwaltssozietät auf Unterlassung in Anspruch genommen worden war. Die Beklagte ist eine GmbH, die für einen telefonischen Rechts­be­ra­tungs­dienst auch am Wochenende und außerhalb üblicher Geschäftszeiten wirbt. Rechtsfragen – so die Werbung – müßten nicht unbedingt in einer Kanzlei besprochen werden; häufig reiche schon ein kurzes Telefongespräch mit einem Rechtsanwalt. In einem der beiden Fälle hatte die Beklagte mit zehn 0190er-Nummern für verschiedene Rechtsgebiete geworben. Wählte man eine dieser Nummern, antwortete ein Rechtsanwalt, der in dem betreffenden Gebiet einen Inter­es­sen­s­chwerpunkt hatte. Im anderen Fall gab es nur eine Nummer für alle Rechtsgebiete. In der Werbung war ferner darauf hingewiesen worden, daß der Anruf 3,60 DM pro Minute koste. Diese Gebühren werden über die Deutsche Telekom eingezogen, die einen Anteil von 2,48 DM (zzgl. MwSt.) an die Beklagte ausbezahlt. Die Beklagte leitet diese Gesprächs­ge­bühren an den jeweiligen Rechtsanwalt als Vergütung für seine anwaltliche Leistung weiter. Die Beklagte erhält von den beteiligten Rechtsanwälten eine monatliche Pauschale sowie einen bestimmten Betrag für jede Zeiteinheit von dreieinhalb oder vier Stunden. Hat ein Anwalt einen solchen Zeitblock bei der Beklagten gebucht, werden alle in dieser Zeit über die fragliche 0190er-Nummer eingehenden Gespräche unmittelbar an ihn weitergeleitet.

In beiden Fällen hatten die Oberlan­des­ge­richte – das Kammergericht in Berlin und das OLG München – ein Verbot ausgesprochen, allerdings mit unter­schied­lichen Begründungen: Das Kammergericht sah in dem Angebot der Beklagten einen Verstoß gegen das Rechts­be­ra­tungs­gesetz. Durch den Anruf komme ein Vertrag zwischen dem Anrufer und der Beklagten zustande. Die Beklagte verspreche eine Rechtsberatung, die nur Rechtsanwälte erbringen dürften; ihr Verhalten verstoße daher gegen das Rechts­be­ra­tungs­gesetz. Das OLG München hatte das Angebot verboten, weil die Vereinbarung der Zeitvergütung gegen geltendes Gebührenrecht verstoße. Der Bundes­ge­richtshof hat beide Einwände nicht gelten lassen und hat die Klage in beiden Fällen abgewiesen. Richtig sei, daß eine Beratung durch die beklagte GmbH gegen das Rechts­be­ra­tungs­gesetz verstoße. Mit dieser komme aber kein Beratungs­vertrag zustande. Der Anrufer schließe mit dem Rechtsanwalt als seinem Gespräch­s­partner und Ratgeber den Vertrag. Die Anrufer seien an einem Kontakt zu einem Rechtsanwalt interessiert. Daher spreche alles dafür, daß das in der Herstellung der Gesprächs­ver­bindung liegende Angebot zum Abschluß eines Vertrages an den Rechtsanwalt gerichtet sei, der das Gespräch entgegennehme. Auch die gebüh­ren­recht­lichen Bedenken des OLG München hat der Bundes­ge­richtshof nicht geteilt. Zwar sehe die Gebührenordnung für den Regelfall eine streit­wert­ab­hängige Vergütung vor. In außer­ge­richt­lichen Angelegenheiten sei aber auch die Vereinbarung von Zeitvergütungen zulässig. In den meisten Fällen liege eine Gebüh­ren­un­ter­schreitung vor, die berufsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Gebüh­ren­über­schreitung, zu der es bei niedrigen Gegen­stands­werten ab einer Gesprächsdauer von zehn Minuten kommen könne, sei berufsrechtlich unbedenklich, wenn der Mandant darüber informiert sei, daß die vereinbarte Zeitvergütung zu einer höheren als der gesetzlich vorgesehenen Vergütung führe. Es könne nicht angenommen werden, daß die Rechtsbeartung über die 0190er-Nummern zu einer systematischen Mißachtung der Gebührenordnung führe oder darauf angelegt sei, daß der beratende Rechtsanwalt seine beruflichen Pflichten verletze.

Das in Rede stehende System berge Risiken hinsichtlich der Qualität der anwaltlichen Beratungs­leistung. Es bestehe die Gefahr, daß dem Anwalt bei der gebüh­ren­pflichtigen telefonischen Beratung nicht immer alle Umstände des Sachverhalts mitgeteilt werden und ohne das häufig notwendige gründliche Studium des Gesetzestexts oder eines Kommentars zu kurz kommen. Diese Gefahr könne jedoch ein generelles Verbot nicht rechtfertigen. Bei der Gesamtwürdigung hat sich der Bundes­ge­richtshof auch veranlaßt gesehen, darauf hinzuweisen, daß ein Bedarf der Bevölkerung an spontaner telefonischer Beratung über Rechtsfragen des Alltags nicht zu verkennen sei.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 96/2002 des BGH vom 27.09.2002

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