18.10.2024
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Dokument-Nr. 5795

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Urteil19.03.2008BundesgerichtshofI ZR 166/05
Vorinstanzen:
  • Landgericht Bielefeld, Urteil30.11.2004, 4 O 624/02
  • Oberlandesgericht Hamm, Urteil23.08.2005, 4 U 10/05
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Bundesgerichtshof Urteil19.03.2008

BGH: Kirche darf trotz Urheberrecht Umbauarbeiten durchführenUrheber eines Bauwerks muss mit Veränderungen aufgrund wechselnder Bedürfnisse rechnen

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit dem Verhältnis zwischen dem Urheberrecht und dem kirchlichen Selbst­be­stim­mungsrecht ausein­an­der­zu­setzen.

Die Beklagte ist die katholische Kirchengemeinde St. Gottfried in Münster. Sie ist Eigentümerin der in den Jahren 1952 und 1953 erbauten Kirche St. Gottfried. Im Jahre 2002 gestaltete sie den Altarraum der Kirche um. Die Klägerin ist der Ansicht, durch diese Umgestaltung werde das Urheberrecht ihres im Jahre 1966 verstorbenen Vaters verletzt. Dieser hatte die Kirche entworfen und den Innenraum gestaltet. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den ursprünglichen Zustand des Altarraums wieder­her­zu­stellen.

Das Berufungs­gericht hat der Klage stattgegeben. Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Umbaumaßnahmen der Beklagten verstoßen nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs zwar gegen das urheber­rechtliche Änderungsverbot. Auch der Eigentümer eines Werkoriginals darf grundsätzlich keine Änderungen an dem ihm gehörenden Original vornehmen. Der Urheber hat grundsätzlich ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk der Mit- und Nachweilt unverändert erhalten bleibt. Ein derartiger Konflikt zwischen den Belangen des Urhebers und des Eigentümers kann jedoch letztlich nur durch eine Abwägung der jeweils betroffenen Interessen gelöst werden. Im Streitfall wiegt das Interesse der Beklagten an dem Umbau nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs schwerer als das Erhal­tungs­in­teresse des Urhebers.

Die Beklagte hatte dargetan, dass sie sich nur deshalb für die Umgestaltung entschieden habe, um die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils in ihrer Kirche räumlich umzusetzen und die Kirchenbesucher stärker in den Gottesdienst einzubeziehen. Das Berufungs­gericht hatte gemeint, die von der Beklagten angeführten Gründe für einen Umbau seien letztlich eine Frage des guten Geschmacks; es hat sie daher nicht als ausschlaggebend angesehen. Die Art und Weise, wie eine Pfarrgemeinde die heilige Messe feiern möchte, habe sich an der Gestaltung des Kirchenraums auszurichten, wenn diese urheber­rechtlich geschützt sei. Die Beklagte habe keine beachtlichen Gründe für ihre geänderte Litur­gie­auf­fassung aufgeführt. Der Bundes­ge­richtshof hat diese Auffassung nicht gebilligt. Sie beachtet - so der Bundes­ge­richtshof - nicht hinreichend das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht und das Grundrecht der Religi­o­ns­freiheit der Beklagten. Für die Beurteilung, ob und inwieweit liturgische Gründe für eine Umgestaltung des Kirche­n­in­nen­raumes bestehen, kommt es auf das Selbst­ver­ständnis der Kirchengemeinde an. Hat diese - wie im Streitfall die Beklagte - ihre Glaubens­über­zeugung substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, hat sich der Staat einer Bewertung dieser Glaubens­er­kenntnis zu enthalten.

Auf Seiten des Urhebers ist - so das Gericht - im Rahmen der Inter­es­se­n­ab­wägung bei einem Werk der Baukunst insbesondere zu berücksichtigen, dass der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für einen bestimmten Zweck verwenden möchte; er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben kann. So ist dem Schöpfer einer Kirche bewusst, dass die Kirchengemeinde das Gotteshaus für ihre Gottesdienste nutzen möchte; er muss daher gewärtigen, dass sich wandelnde Überzeugungen hinsichtlich der Gestaltung des Gottesdienstes das Bedürfnis nach einer entsprechenden Umgestaltung des Kirche­n­in­nenraums entstehen lassen. Das Interesse des Vaters der Klägerin an der unveränderten Erhaltung seines Werkes musste daher gegenüber dem mit Rücksicht auf das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht als besonders gewichtig zu bewertenden liturgischen Interesse der Beklagten an dem Umbau des Kirche­n­in­nenraums zurücktreten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 56/08 des BGH vom 20.03.2008

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