14.11.2024
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Entscheidung03.03.2005BundesgerichtshofGSSt 1/04
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Bundesgerichtshof Entscheidung03.03.2005

Großer Senat für Strafsachen des BGH zur Zulässigkeit von Urteils­ab­sprachen und der Wirksamkeit des Rechts­mit­tel­ver­zichts

Der Große Senat für Strafsachen des Bundes­ge­richtshofs hatte aufgrund einer Vorlage des 3. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, inwieweit der im Zusammenhang mit einer Urteils­ab­sprache erklärte Rechts­mit­tel­verzicht wirksam ist.

Die Straf­pro­zeß­ordnung kennt die Verständigung als Erledigungsart und verbindliche Zusagen über das Verfah­ren­s­er­gebnis nicht. Gleichwohl hat sich eine Praxis dahin entwickelt, daß die Verfah­rens­be­tei­ligten das Urteilsergebnis einschließlich der Strafobergrenze absprechen. In nicht wenigen Fällen wird zugleich auch der Rechts­mit­tel­verzicht vereinbart.

Die Wirksamkeit eines solchen Rechts­mit­tel­ver­zichts hängt zunächst von der Vorfrage ab, inwieweit Urteils­ab­sprachen überhaupt zulässig sind. Diese Vorfrage hat der Große Senat für Strafsachen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs dahin beantwortet, daß Urteils­ab­sprachen grundsätzlich zulässig sind. Angesichts der hohen Belastung der Strafjustiz sind solche verfah­rens­öko­no­mischen Erledigungen unerläßlich, um die Funkti­o­ns­fä­higkeit der Straf­rechts­pflege aufrecht­zu­er­halten. Außerdem können Gesichtspunkte des Zeugen- und Opferschutzes für eine Verfahrensweise sprechen, die eine umfassende Beweisaufnahme unnötig macht. Urteils­ab­sprachen müssen aber die durch Verfassung und Straf­pro­zeß­ordnung gesetzten Grenzen einhalten. Dazu gehören insbesondere der Grundsatz des fairen Verfahrens, das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung und die Schuld­an­ge­mes­senheit der Strafe. Das Gericht muß daher den Anklagevorwurf und insbesondere das Geständnis des Angeklagten sorgfältig überprüfen. Absprachen über den Schuldspruch sind grundsätzlich unzulässig. Der Angeklagte darf auch nicht dadurch zu einer Absprache gedrängt werden, daß ihm für ein „streitiges“ Verfahren eine unangemessen hohe Strafe angekündigt wird (Drohung mit der „Sanktionsschere“).

Für die Wirksamkeit des Rechts­mit­tel­ver­zichts im Rahmen einer Urteils­ab­sprache gilt: Das Gericht darf im Rahmen einer Urteils­ab­sprache an der Erörterung eines Rechts­mit­tel­ver­zichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken. Nach jedem Urteil, dem eine Urteils­ab­sprache zugrunde liegt, ist der Angeklagte neben der gesetzlich vorge­schriebenen Rechts­mit­tel­be­lehrung stets auch darüber zu belehren, daß er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechts­mit­tel­verzicht nicht zum Gegenstand hatte. Der nach einer Urteils­ab­sprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der Angeklagte nicht qualifiziert belehrt worden ist.

Der Große Senat für Strafsachen hebt hervor, daß er mit seiner Entscheidung an die Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung stößt. Er appelliert deshalb an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und, bejahendenfalls, die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Urteils­ab­sprachen gesetzlich zu regeln. Es ist primär Aufgabe des Gesetzgebers, die grundsätzlichen Fragen der Gestaltung des Strafverfahrens und damit auch die Rechtsregeln, denen die Urteils­ab­sprache unterworfen sein soll, festzulegen.

Hinweis auf die Vorinstanzen: LG Lüneburg – 22 KLs 15/02 und LG Duisburg – 33 KLs 4/02

Quelle: Pressemitteilung Nr. 58/05 des BGH vom 18.04.2005

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