15.11.2024
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Urteil22.07.2008Bundesgerichtshof5 StR 274/08
Vorinstanz:
  • Landgericht Dresden, Urteil05.02.2008, 7 KLs 415 Js 61098/98
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Bundesgerichtshof Urteil22.07.2008

BGH: Zur Korrektur eines Ausgangsurteils kann eine nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung nicht angeordnet werdenAls gefährlich geltender Kinderschänder muss nicht in Siche­rungs­ver­wahrung

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundes­ge­richtshofes hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung eines 49-jährigen wegen vielfachen Kindes­miss­brauchs verurteilten Mannes in der Siche­rungs­ver­wahrung durch das Landgericht Dresden aufgehoben. Trotz einer auf der Grundlage psychiatrischer Gutachten angenommenen Gefährlichkeit des Verurteilten lagen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 66 b StGB für eine nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung nicht vor. Sie darf nur in Ausnahmefällen angeordnet werden, in denen nach der Ausgangs­ver­ur­teilung neue Tatsachen für die Gefährlichkeit des Täters erkennbar geworden sind. Einer bloßen Korrektur des Ausgangsurteils steht dessen Rechtskraft zwingend entgegen.

Der bis dahin nicht bestrafte Verurteilte war 1999 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Er war geständig, zwischen Oktober 1995 und September 1998 gemeinsam mit wechselnden Mittätern nach Tschechien gereist zu sein, um dort kinderpor­no­gra­phische Aufnahmen zu machen. Der Verurteilte hatte den Kontakt mit Vätern und Müttern gesucht, die ihre Kinder gegen Bezahlung hierfür zur Verfügung stellten. An den Kindern – das jüngste war sieben Jahre alt – nahmen sodann der Verurteilte und sein jeweiliger Begleiter sexuelle Handlungen vor, die sie filmten oder fotografierten, um die so entstandenen Aufnahmen verkaufen zu können.

Siche­rungs­ver­wahrung wurde im Ausgangsurteil von 1999 nicht angeordnet

Die Maßregel der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 StGB) hatte das Landgericht nicht angeordnet. Ohne Hinzuziehung eines Sachver­ständigen wurde festgestellt, dass bei dem Verurteilten eine "pädophile Neigung" vorliege, die einen erheblichen Therapiebedarf erforderlich mache. Es liege indes ein "Ansatz zur Thera­pie­be­reit­schaft" vor, da der geständige Verurteilte überzeugt sei, durch seinen "starken Willen" die pädophile Neigung überwinden zu können.

Landgericht Dresden ordnete 2007 nachträgliche Siche­rungs­ver­wahrung an, ohne dass neue Tatsachen seit dem Ausgangsurteil von 1999 bekannt geworden waren - BGH hob diese Entscheidung auf

Nach Vollverbüßung der achtjährigen Freiheitsstrafe hatte das Landgericht Dresden bereits in einem ersten Urteil vom 23. April 2007 nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet und die Verhängung der Maßregel im Wesentlichen auf die nunmehr von psychiatrischen Sachver­ständigen gestellte Diagnose einer gefestigten Pädophilie gestützt, die prognostisch ungünstig mit einer schweren Persön­lich­keits­s­törung einhergehe. Im Blick darauf, dass die maßgeblichen Anknüp­fung­s­tat­sachen schon dem Ausgangsgericht im Jahr 1999 bekannt gewesen waren, konnte die bloße neue ungünstige Diagnose keine neue, erst nach der Verurteilung erkennbare Tatsache begründen. Dies ist aber für die Anordnung nachträglicher Siche­rungs­ver­wahrung unerlässlich. Der Bundes­ge­richtshof hatte deshalb durch Beschluss vom 10. Oktober 2007 (5 StR 376/07) dieses erste Urteil zur Verhängung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der Senat hatte es als nicht sicher ausschließbar erachtet, dass die aktuelle psychiatrische Beurteilung nicht doch auf früher nicht erkennbaren erheblichen neuen Anknüp­fung­s­tat­sachen beruhe.

Landgericht ordnet 2008 erneut nachträgliche Verwahrung wegen mangelnder Bereitschaft des Verurteilten zur Mitarbeit an einer Therapie an

In dem neuen Urteil vom 5. Februar 2008 hat das Landgericht nunmehr die mangelnde Bereitschaft des Verurteilten während des Strafvollzugs zur Mitarbeit an einer zur Herabsetzung der Wieder­ho­lungs­gefahr geeigneten Therapie als neue Tatsache bewertet. Hierin liege eine Haltung­s­än­derung des Verurteilten. Auch dies hielt rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil es vorausgesetzt hätte, dass das Landgericht im Jahr 1999 auf Grund der damals bekannten Fakten infolge der erklärten Thera­pie­be­reit­schaft die Möglichkeit eines die Gefährlichkeit des Verurteilten maßgeblich mindernden Thera­pie­e­er­folges hätte annehmen können. Dies war indes – was der Senat bereits in seinem ersten Beschluss dargelegt hatte – nicht der Fall. Es wäre im Jahr 1999 Aufgabe der Staats­an­walt­schaft und des Ausgangs­ge­richts gewesen, nach Ausschöpfung der vorhandenen Erkennt­nis­mög­lich­keiten, insbesondere Hinzuziehung eines Sachver­ständigen, zu prüfen, ob eine Maßregel zum Schutz der Allgemeinheit zu verhängen war. Versäumnisse bei der Aufklärung im Ausgangs­ver­fahren dürfen nicht im nachrangigen Verfahren über die Anordnung der nachträglichen Siche­rungs­ver­wahrung nachgeholt werden.

BGH hebt auch zweites LG-Urteil auf - Staats­an­walt­schaft und Gericht hätten Thera­pie­be­reit­schaft bereits 1999 überprüfen müssen

Da das Landgericht auch bei erneuter Prüfung keine weiteren nach der Verurteilung erkennbaren negativen Umstände feststellen konnte und solches in einem dritten Verfahren nicht mehr zu erwarten ist, hat der Senat mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils nunmehr den Antrag der Staats­an­walt­schaft auf nachträgliche Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung endgültig zurückgewiesen. Dem Landgericht wird es obliegen, durch eine engmaschige Ausgestaltung der nunmehr eintretenden Führungs­aufsicht einer vom Verurteilten ausgehenden Wieder­ho­lungs­gefahr entge­gen­zu­treten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 143/08 des BGH vom 22.07.2008

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