21.11.2024
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Dokument-Nr. 14926

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Urteil20.12.2012Bundesgerichtshof3 StR 117/12
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JuS 2013, 470Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 470
  • NStZ 2013, 242Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ), Jahrgang: 2013, Seite: 242
  • ZD 2013, 273Zeitschrift für Datenschutz (ZD), Jahrgang: 2013, Seite: 273
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanz:
  • Landgericht Osnabrück, Urteil02.11.2011, 3 KLs 10/11
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil20.12.2012

Bei Massen-Gentests darf nicht nach Verwandtschaft gesucht werdenBGH bestätigt Verurteilung wegen Vergewaltigung trotz rechtswidrigen Umgangs mit Daten aus Reihengentest

Die Verurteilung eines heute 19-Jährigen aus Dörpen wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von 5 Jahren durch das Landgericht Osnabrück ist rechtskräftig, obwohl das DNA-Identi­fi­zierungs­muster rechtswidrig erlangt wurde. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs hervor.

Der Angeklagte hatte im Juli 2010 früh morgens in Dörpen als damals 16-Jähriger eine Fußgängerin zu Boden gerissen, massiv mit Fäusten geschlagen und anschließend vergewaltigt. Zu dieser Überzeugung war das Landgericht Osnabrück nach insgesamt 17 Verhand­lungstagen und der Vernehmung von 42 Zeugen und 4 Sachver­ständigen gelangt. Die Jugendkammer hat die Verurteilung im Wesentlichen darauf gestützt, dass mehrere DNA-Spuren des Angeklagten an Kleidungs­stücken des Opfers festgestellt werden konnten. Im Rahmen eines Reihengentests (§ 81 h StPO) von 2400 erwachsenen Männern aus der näheren Region wurde bei 2 Proben eine starke, aber keine volle Ähnlichkeit mit dem Tätermaterial festgestellt. Nach einer Entan­ony­mi­sierung dieser beiden Proben durch die Polizei hat sich herausgestellt, dass es sich bei diesen beiden Personen um Verwandte des Angeklagten handelte. Aufgrund dieses "Beinahetreffers" hat die Polizei einen Gerichts­be­schluss für eine DNA-Probe des Angeklagten erwirkt, der als Minderjähriger nicht in das Raster des Massengentests fiel.

Angeklagter erhebt Verfahrensrüge

Im Revisi­ons­ver­fahren vor dem Bundes­ge­richtshof hat der Angeklagte neben anderen Beanstandungen mit einer Verfahrensrüge insbesondere geltend gemacht, die bei der moleku­la­r­ge­ne­tischen Reihen­un­ter­suchung festgestellten DNA-Identi­fi­zie­rungs­muster hätten nicht auf verwandt­schaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen und im weiteren Verfahren nicht gegen ihn verwertet werden dürfen.

Mögliche verwandt­schaftliche Beziehung darf nicht als verdachts­be­gründend gegen Angeklagten verwendet werden

Der Bundes­ge­richtshof hat zunächst die von der Revision behaupteten Verfah­rens­fehler bei der Durchführung der DNA-Reihen­un­ter­suchung verneint. Jedoch hätte die bei der Auswertung der Proben festgestellte mögliche verwandt­schaftliche Beziehung zwischen dem Vater und dem Onkel des Angeklagten mit dem mutmaßlichen Täter nicht als verdachts­be­gründend gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen. Denn § 81 h Abs. 1 StPO erlaubt den Abgleich von DNA-Identi­fi­zie­rungs­mustern nur, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von einem der Teilnehmer der Reihen­un­ter­suchung stammt.

Rechtswidrig erlangtes Identi­fi­zie­rungs­muster dennoch verwertbar

Gleichwohl hat der Bundes­ge­richtshof entschieden, dass die Übereinstimmung des DNA-Identi­fi­zie­rungs­musters des Angeklagten mit demjenigen der Tatspur vom Landgericht bei seiner Überzeu­gungs­bildung verwertet werden durfte. Zwar sei dieses Identi­fi­zie­rungs­muster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermitt­lungs­rich­terliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81 a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihen­un­ter­suchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führe dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwer­tungs­verbot. Entscheidend hierfür sei der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihen­un­ter­su­chungen bisher völlig ungeklärt gewesen sei und das Vorgehen der Ermitt­lungs­be­hörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden könne. Der Verfah­rens­verstoß wiege daher nicht so schwer, dass demgegenüber die Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung hier zurücktreten müssten.

Hinweise zu den Recht­spre­chungen:

§ 81 h StPO lautet:

(1) Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass ein Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbst­be­stimmung begangen worden ist, dürfen Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungs­merkmale erfüllen, mit ihrer schriftlichen Einwilligung

1. Körperzellen entnommen,

2. diese zur Feststellung des DNA-Identi­fi­zie­rungs­musters und des Geschlechts moleku­la­r­ge­netisch untersucht und

3. die festgestellten DNA-Identi­fi­zie­rungs­muster mit den DNA-Identi­fi­zie­rungs­mustern von Spurenmaterial automatisiert abgeglichen werden,

soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt, und die Maßnahme insbesondere im Hinblick auf die Anzahl der von ihr betroffenen Personen nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat steht.

(2) Eine Maßnahme nach Absatz 1 bedarf der gerichtlichen Anordnung. Diese ergeht schriftlich. Sie muss die betroffenen Personen anhand bestimmter Prüfungs­merkmale bezeichnen und ist zu begründen. Einer vorherigen Anhörung der betroffenen Personen bedarf es nicht. Die Entscheidung, mit der die Maßnahme angeordnet wird, ist nicht anfechtbar.

(3) Für die Durchführung der Maßnahme gelten § 81 f Abs. 2 und § 81 g Abs. 2 entsprechend. Soweit die Aufzeichnungen über die durch die Maßnahme festgestellten DNA-Identi­fi­zie­rungs­muster zur Aufklärung des Verbrechens nicht mehr erforderlich sind, sind sie unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist zu dokumentieren.

(4) Die betroffenen Personen sind schriftlich darüber zu belehren, dass die Maßnahme nur mit ihrer Einwilligung durchgeführt werden darf. Hierbei sind sie auch darauf hinzuweisen, dass

1. die entnommenen Körperzellen ausschließlich für die Untersuchung nach Absatz 1 verwendet und unverzüglich vernichtet werden, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind, und

2. die festgestellten DNA-Identi­fi­zie­rungs­muster nicht zur Identi­täts­fest­stellung in künftigen Strafverfahren beim Bundes­kri­mi­nalamt gespeichert werden.

Quelle: Bundesgerichtshof und Landgericht Osnabrück/ra-online

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