23.11.2024
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Dokument-Nr. 442

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Entscheidung27.04.2005Bundesgerichtshof2 StR 457/04
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Bundesgerichtshof Entscheidung27.04.2005

Bundes­ge­richtshof zur Strafbarkeit von Ausländern wegen unerlaubten Aufenthalts in der Bundesrepublik

Der 2. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte über die bisher zwischen den Strafgerichten, den Verwal­tungs­ge­richten und in der auslän­der­recht­lichen Literatur streitige Frage zu entscheiden, ob der einem Ausländer nach verwal­tungs­recht­lichen Grundsätzen wirksam erteilten Aufent­halts­ge­neh­migung für die Straf­tat­be­stände der §§ 92, 92 a AuslG sowie der §§ 95, 96 AufenthG Tatbe­stands­wirkung zukommt mit der Folge, daß für die Strafbarkeit eines Ausländers allein maßgeblich ist, ob eine formell wirksame Einreise- oder Aufent­halts­ge­neh­migung vorgelegen hat oder fehlte. Der Senat hat diese Frage im letztgenannten Sinne bejaht.

Dem Verfahren lag ein Urteil des Landgerichts Darmstadt zugrunde, das einen Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Schußwaffen und Munition zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der Angeklagte in sechs Fällen Ausländerinnen aus Rußland, Litauen und der Ukraine, indem er ihnen Zimmer vermietete, ihnen zum Teil bei der Aufnahme einer Tätigkeit oder gegen entsprechende Bezahlung auch bei der Verlängerung der Visa behilflich war. Dabei handelte es sich vorwiegend um Personen, die - wie er wußte - allein mit dem Zweck eingereist waren, in Deutschland einer Erwer­b­s­tä­tigkeit, u.a. der Prostitution, nachzugehen. Daß der Angeklagte den Frauen seine Unterstützung bereits vor Beantragung der Visa bzw. vor der Einreise zugesagt hatte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Die Frauen aus Rußland und der Ukraine verfügten nur über die für die Einreise und den Aufenthalt erforderlichen Touristenvisa, die ihnen aufgrund ihrer unvollständigen Angaben erteilt worden waren. Diese gestatteten die Aufnahme einer Erwer­b­s­tä­tigkeit nicht. Das Landgericht hat die Einreise und den Aufenthalt der Frauen trotz der vorliegenden Touristenvisa als unerlaubt angesehen, weil sie nicht über die für ihren tatsächlich beabsichtigten Aufent­haltszweck erforderliche Aufent­halts­ge­neh­migung verfügten. Es ist damit der überwiegenden Rechtsprechung der Verwaltungs- und Oberwal­tungs­ge­richte und Teilen der auslän­der­recht­lichen Kommen­ta­r­li­teratur gefolgt und der Auffassung des 3. Strafsenats des Bundes­ge­richtshofs (Urteil vom 11. Februar 2000 3 StR 308/99) entge­gen­ge­treten, der - in nicht tragenden Erwägungen die Ansicht vertreten hatte, daß eine unerlaubte Einreise nur dann vorliege, wenn der Ausländer ohne jegliches Visum einreise. Für eine der Frauen, die aus Litauen stammende K., die ohne Visum einreisen aber nicht arbeiten durfte, hat das Landgericht einen unerlaubten Aufenthalt bejaht, zu dem der Angeklagte Hilfe ge-leistet und damit den Tatbestand des Einschleusens erfüllt habe.

Der 2. Strafsenat ist der Meinung des 3. Strafsenats beigetreten und hat das Urteil teilweise aufgehoben. Nach Ansicht des 2. Strafsenats, der bei seiner Entscheidung das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwan­de­rungs­gesetz, durch das das Ausländergesetz aufgehoben und durch das Aufent­halts­gesetz ersetzt worden ist (BGBl 2004 I 1950 ff.), berücksichtigen mußte, sind Einreise und Aufenthalt eines mit einem Touristenvisum eingereisten Ausländers auch dann nicht „unerlaubt“, wenn es nicht dem tatsächlichen von dem Einreisenden von vornherein angestrebten Aufent­haltszweck entspricht. Auf die materiell-rechtliche Richtigkeit der Aufent­halts­ge­neh­migung kommt es nicht zwingend an. Bei der Auslegung von Straf­tat­be­ständen ist mit Rücksicht auf das Bestimmt­heitsgebot ein eindeutiger, objektiver Ausle­gungs­maßstab erforderlich, der nicht von der zufälligen Nachweisbarkeit der Tatumstände im Einzelfall abhängen darf. Deshalb muß eine nach verwal­tungs­recht­lichen Vorschriften wirksam erteilte Aufent­halts­ge­neh­migung im auslän­der­recht­lichen Strafrecht als wirksam zugrunde gelegt werden, selbst wenn sie rechts­miß­bräuchlich erlangt worden ist. Etwas anders kann nur dort gelten, wo der Gesetzgeber den durch Täuschung erschlichenen oder durch Drohung oder Bestechung erlangten Erlaubnissen durch gesetzliche Regeln die Wirksamkeit abspricht. Diesen Weg ist der Gesetzgeber im Ausländerrecht bisher nicht gegangen. Diese formale Betrachtung wird zudem durch die Geset­zes­ma­te­rialien des Aufent­halts­ge­setzes bestätigt. In der Begründung zu den Geset­ze­s­ent­würfen heißt es dazu, daß sich die Erfor­der­lichkeit des Aufent­halt­s­titels nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemißt.

Da die den Ausländerinnen im vorliegenden Fall erteilten Aufent­halts­ge­neh­mi­gungen nach den Feststellungen nicht unwirksam waren und sich die Ausländerinnen damit nicht wegen unerlaubter Einreise bzw. unerlaubten Aufenthalts strafbar gemacht haben, hat der 2. Strafsenat die Verurteilung des Angeklagten wegen Einschleusens von Ausländern in drei Fällen und den Strafausspruch insgesamt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. In der neuen Haupt­ver­handlung wird die Strafkammer allerdings zu klären haben, ob sich der Angeklagte durch Unterstützen beim Erschleichen der Visa wegen Einschleusens von Ausländern strafbar gemacht hat. Die Verurteilung des Angeklagten in drei weiteren Fällen hatte hingegen Bestand, da er in zwei Fällen den Ausländerinnen bei der Verlängerung ihrer mit falschen Angaben erlangten Visa bzw. der Litauerin, die nicht über die entsprechende Erlaubnis verfügte, bei der Aufnahme einer Erwer­b­s­tä­tigkeit behilflich war.

Hinweis zur Vorinstanz: LG Darmstadt - 360 Js 18.982/03 15 KLs

Die einschlägigen Vorschriften haben folgenden Wortlaut:

Ausländergesetz:

Erläuterungen

§ 92 a Einschleusen von Ausländern

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 92 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 oder Abs. 2 bezeichneten Handlungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und

1. dafür einen Vermö­gens­vorteil erhält oder sich versprechen läßt oder

2. wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahre wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1

1. gewerbsmäßig oder

2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt.

(3) – (5) …

§ 92 Straf­vor­schriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe vor bestraft, wer

1. entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 sich ohne Aufent­halts­ge­neh­migung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 besitzt,

...

6. entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist oder ...

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. ...

2. unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Aufent­halts­ge­neh­migung oder Duldung zu beschaffen, oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(2a) - (4) ...

§ 3 Erfordernis der Aufent­halts­ge­neh­migung

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einer Aufent­halts­ge­neh­migung. Das Bundes­mi­nis­terium des Innern sieht zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates Befreiungen vom Erfordernis der Aufent­halts­ge­neh­migung vor. (2) – (5) …

§ 58 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1. eine erforderliche Aufent­halts­ge­neh­migung nicht besitzt,

2. einen erforderlichen Paß nicht besitzt oder …

(2) …

Aufent­halts­gesetz:

§ 96 Einschleusen von Ausländern

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 2 bezeichneten Handlungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und

1. dafür einen Vermö­gens­vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder

2. wiederholt oder zu Gunsten von mehreren Ausländern handelt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1

1. gewerbsmäßig handelt,

2. …

(3) – (5) …

§ 95 Straf­vor­schriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,

2. ohne erforderlichen Aufent­halt­stitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, vollziehbar ausrei­se­pflichtig ist und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,

3. entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,

4. einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,

5. …

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. …

2. unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufent­halt­stitel zu beschaffen oder einen so beschafften Aufent­halt­stitel wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) –(5) …

§ 3 Passpflicht

(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechts­ver­ordnung befreit sind.

(2) Das Bundes­mi­nis­terium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle kann in begründeten Einzelfällen vor der Einreise des Ausländers für den Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt von bis zu sechs Monaten Ausnahmen von der Passpflicht zulassen.

§ 14 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,

2. den nach § 4 erforderlichen Aufent­halt­stitel nicht besitzt oder …

(2) …

Quelle: Pressemitteilung Nr. 64/2005 des BGH vom 27.04.2005

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